Handball-Bundesligist TVB Stuttgart geht neue Wege: Mannschaft und Mitarbeiter des Vereins spenden künftig ein Prozent ihres Gehalts. Gibt es bald Nachahmer?

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Stuttgart - Handball steht ja oft im Schatten von König Fußball. Wobei es schon mal Ausnahmen gibt, wie bei den TV-Quoten im Kalenderjahr 2019, als das WM-Halbfinale der deutschen Nationalmannschaft gegen Norwegen in den meist gesehenen Sendungen mit 11,901 Millionen Zuschauern knapp die Nase vorne hatte. „Unser Anspruch muss sein, den Abstand zum Fußball weiter zu verkürzen“, sagte daraufhin der DHB-Vizepräsident Bob Hanning.

 

Da trifft es sich ganz gut, dass der Bundesligist TVB Stuttgart auch mal über den Tellerrand hinausblickt. Die Schwaben haben ja schon in der Vergangenheit Mut bewiesen, beispielsweise mit dem Umzug nach und der Namensänderung zu Stuttgart. Jetzt gehen sie nochmals einen ganz neuen Weg – abseits des Feldes. Der gesamte Verein, ob Spieler, Trainer oder Mitarbeiter, sie alle werden von Januar an ein Prozent ihres Gehalts für soziale Zwecke spenden. Das ist ein Novum im Handball, wobei sich der TVB von der seit 2017 bestehenden Bewegung Common Goal hat inspirieren lassen, in der bekannte Fußballer wie Mats Hummels oder zuletzt auch Jürgen Klopp einen kleinen Teil ihres Einkommens abtreten. Lesen Sie auch: TVB führt Common Goal ein

„Das ist ein historischer Moment“, sagte am Donnerstag bei der Präsentation in Stuttgart Thomas Preiss von Common Goal, der sich davon erhofft, dass die Bewegung künftig auch im Handball Nachahmer findet. TVB-Pressechef Philipp Klaile hatte die Idee bereits im Frühjahr, wegen des großen Umbruchs innerhalb des Kaders hat sich die Umsetzung allerdings etwas in die Länge gezogen. Wobei die Mannschaft sofort Feuer und Flamme war. „Das Schwierigste war nicht, die Spieler zu überzeugen“, sagt Kapitän Johannes Bitter, „sondern sie nach einem Training mal zusammenzubringen.“ Auch Frank Bohmann als Geschäftsführer der Handball-Bundesliga (HBL) zeigt sich von der Idee begeistert: „Ein Prozent klingt vielleicht nicht viel“ – weil Handballer in der Spitze vielleicht 250 000 Euro im Jahr verdienen. „Aber das ist ein Meilenstein für den Handball“, sagte er und hofft nun, dass das Beispiel des TVB Schule macht.

Apropos Schule: Die Stuttgarter wollen mit dem Projekt etwas bewegen und haben sich deshalb der Organisation Share & Play angeschlossen, die von dem ehemaligen Handballprofi Carlos Prieto gegründet wurde und die wiederum mit Common Goal zusammenarbeitet, nachdem Prieto nach seiner 19-jährigen Karriere etwas zurückgeben wollte. „Meine spanische Leidenschaft und die deutsche Organisationsstruktur sind ein Supermix.“ Wobei TVB-Trainer Jürgen Schweikardt in seiner Funktion als Geschäftsführer des Vereins betont: „Wir haben uns noch für keine Schule entschieden.“

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Eine passende Partnerschaft wird noch gesucht. Das ist gar nicht so einfach, wie der TVB in der Vergangenheit erfahren musste, nachdem der Verein schon lange Kindercamps oder Ähnliches organisiert. „Ich sollte mal mit David Schmidt eine Unterrichtsstunde halten“, sagt Bitter, „da kamen dann 50 Schüler, von denen gerade mal zehn Sportsachen dabeihatten, die Hälfte nur zuschaute und zwei der Kinder sich nach fünf Minuten in den Haaren lagen. Da wussten wir: Hier läuft etwas falsch.“

Deshalb hat das Engagement der TVB-Sportler einen nachhaltigen Ansatz: „Wir suchen keine neuen Handballer, aber wir wollen Kindern über unsere Sportart Perspektiven für ihren Lebensweg aufzeigen“, sagt Schweikardt. In diesem Zusammenhang hat der Verein nun auch eine eigene Sozialinitiative unter dem passenden Namen Blaue Brücke (blau wegen der Vereinsfarbe, Brücke wegen der Verbindung Business und soziales Engagement) ins Leben gerufen, mit dem der TVB künftig mithilfe von Sponsoren weitere soziale Projekte in der Region unterstützen will. Schweikardt: „Ich bin sehr stolz darauf, dass Mannschaft und Mitarbeiter sich komplett dazu bereit erklärt haben.“

Das ist mit Ausnahme des Fußballclubs FC Nordsjaelland/Dänemark bisher einzigartig, im Handball sowieso. Und wird somit auch zu einem festen Gesprächspunkt für künftige Spieler. Wobei Schweikardt betont: „Das ist nicht Bestandteil des Vertrags, sondern erfolgt auf freiwilliger Basis.“ Sein Tischnachbar Bitter widerspricht: „Aus meiner Sicht ist es nicht freiwillig – wir inspirieren Mitspieler.“

„Jogi“ Bitter ist mit seinen 37 Jahren als dreifacher Papa prädestiniert dafür – erst recht, wenn er an diesem Freitag auch noch ins Aufgebot für die Nationalmannschaft berufen werden sollte, die bei der EM im Januar dann für neue Einschaltquoten-Rekorde sorgen will.

Schauen Sie in unserer Bildergalerie nach, wer im Common Goal aktiv ist.