Tom Clancys „The Division“ ist ein düsteres Endzeit-Szenario: New York ist entvölkert, weil Terroristen ein Virus frei gesetzt haben. Schläferagenten sollen die Stadt zurückerobern. Mit dem raffinierten Mix aus Taktik und Rollenspiel könnte sich das als einfallslos verschrieene Shooter-Genre neu erfinden.

New York/Stuttgart - Manhattan und der Time Square sind das Herz von New York. Auf dem Broadway, einer der Lebensadern der Stadt, kann man tagsüber kaum stehenbleiben, ohne angerempelt zu werden. An den Kreuzungen herrscht ein solches Gewimmel von Menschen und Fahrzeugen, dass man sich fragt, warum hier nicht alle paar Minuten ein Unfall passiert.

 

Doch nun ist der Verkehr zum Erliegen gekommen. Autowracks blockieren die Straßen, die schneebedeckten Plätze sind gespenstisch leer. Ausgerechnet am Black Friday nach Thanksgiving, dem traditionellen Start des Weihnachtsgeschäfts, haben Terroristen tausende Banknoten mit einem Virus infiziert, das sich in rasender Geschwindigkeit ausbreitet. Plünderer und marodierende Banden erobern die Stadt.

Das Spiel entführt in ein düsteres Szenario

Das alles findet zum Glück nur in dem Spiel „Tom Clancy´s: The Division“ statt. Nach Einschätzung von Sicherheitsexperten ist ein tatsächlicher Anschlag mit Biowaffen aber ein durchaus realistisches Szenario. Und Banknoten wären zur Verbreitung von Erregern bestens geeignet. Etwa 3000 Keime tummeln sich auf einem Dollarschein, von denen sich nur 20 Prozent sicher bestimmen lassen.

Die schwedischen Entwickler von „The Division“ haben solche Details akribisch zusammengetragen, um ihrer düsteren Vision mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Aber natürlich ist das alles infizierende Geld auch ein starkes Symbol für die Gefahren der Globalisierung. „Wir wollen aufzeigen, wie schnell die dünne Firnis der Zivilisation im Ernstfall reißen kann“, sagt Magnus Jansen, Creative Director des schwedischen Studios Massive Entertainment bei der Präsentation des Spiels in New York. Keine andere Stadt stehe so für den Höhepunkt der menschlichen Entwicklung – und spätestens seit dem 9. September 2001 steht sie auch für die menschliche Verletzlichkeit.

Kurz vor 9/11 hatten Wissenschaftler unter dem Codenamen „Dark Winter“ einen Angriff mit Biowaffen auf US-Metropolen simuliert. In einem solchen Fall könnte die öffentliche Ordnung in weniger als zwei Wochen zusammenbrechen. Ein Drittel der Bevölkerung könnte ums Leben kommen – nicht allein durch das Virus, sondern auch durch das entstehende Chaos. Auch die namensgebende Schutztruppe „The Division“ hat laut Jansen ein reales Vorbild in den „Stay Behind Units“ aus dem Kalten Krieg. Sie sollen zum Einsatz kommen, wenn die Staatsmacht nicht mehr für die öffentliche Sicherheit zu sorgen vermag.

Der Spieler schlüpft in die Rolle eines dieser Agenten, die für Ordnung sorgen und die Infrastruktur wieder instand setzen sollen. Allein oder im Team mit bis zu drei Mitstreitern rückt man aus in das verwüstete New York. Menschen und herrenlose Hunde irren durch die Straßen. Nie kann man sich sicher sein, ob jemand hilfsbedürftig ist oder im nächsten Moment zum Angriff übergeht. „Wir wollten die Ohnmacht angesichts einer solchen Situation spürbar machen, um den Spieler zu motivieren, selbst die Initiative zu ergreifen“, erklärt Martin Hultberg, der das Konzept maßgeblich mitentwickelt hat.

Um den Eindruck noch zu verstärken, bauten die Entwickler Midtown-Manhattan maßstabgetreu nach. „Man könnte unsere Version von New York durchaus als interaktiven 3D-Stadtplan verwenden“, so Hultberg. Ist der Blick der Schweden auf die Stadt ein typisch europäischer? „Kann gut sein“, antwortet er nach kurzem Überlegen. „Wir sehen sicher andere Details als amerikanische Kollegen.“ So haben die Entwickler besonders genau hingeschaut, wo die Millionenstadt ihre verletzliche Seiten hat, also auf das New York der Baustellen und verlassenen Gebäude. An den Wänden sind zahlreiche Zeugnisse urbaner Subkultur zu finden, und während bei anderen Spielen die Häuserwände meist tote Tapeten sind, zeigt „The Division“ Leben hinter den Fassaden: Lichter gehen an und aus, Menschen schauen hinter zugezogenen Vorhängen hervor.

Die Spieler haben ihre Basis im General Post Office

Die Grenzen, die einem eine reale Stadt auferlegt, sieht Hultberg nicht als künstlerische Limitierung: „Völlige Freiheit bei der Gestaltung führt ja nicht automatisch zu mehr Kreativität.“ Ein Beispiel ist das General Post Office gegenüber des Madison Square Garden. Das bis 1914 erbaute Gebäude, an vielen Seiten auch in Wirklichkeit verbarrikadiert und mit Stacheldraht bewehrt, erschien den Entwicklern bei den ihren Recherchen wie eine Mischung aus Tempel und Festung. „Uns war sofort klar, dass wir das Postamt zur Basis machen müssen, wo man sich auf Einsätze vorbereitet.“ Bei allen realen Bezügen ist „The Division“ natürlich vor allem ein Computerspiel – und zwar eines, mit dem sich das als einfallslos geltende Shooter-Genre neu erfinden soll. Möglich werden soll das durch einen höchst anspruchsvollen Mix aus Taktik und Rollenspiel. Ungewöhnlich ist auch, wie man Spezialfähigkeiten, Ausrüstung und Waffen entwickeln kann.

Den fantastischen Weltraumkulissen des Science-Fiction-Konkurrenten „Destiny“ setzt „The Division“ einen Hyperrealismus entgegen, der besonders in der PC-Version für offene Münder sorgen wird. Der Sorge, dass die Kulisse des winterlichen New York auf Dauer etwas eintönig werden könnte, begegnen die Entwickler unter anderem mit der Aussicht auf Zusatzinhalte. So führt eine Spielerweiterung in den Untergrund der Stadt.

Multiplayer-Fans soll ein spezieller Bereich inmitten des virtuellen Manhattan bei Laune halten. In der „Dark Zone“ treten Spieler nicht nur gegen computergesteuerte Gegner, sondern auch gegeneinander an. Objekte der Begierde sind seltene Ausrüstungsgegenstände, die es nur in der Dark Zone gibt. Der Haken: Um die Beute in Sicherheit zu bringen, muss man per Leuchtrakete einen Helikopter zu Hilfe holen und macht damit automatisch andere auf sich aufmerksam. Ist die Verlockung allzu groß, können sich sogar die eigenen Kameraden gegen einen wenden. Die dabei entstehenden moralischen Konflikte sind durchaus erwünscht, räumt Martin Hultberg mit dezent diabolischem Lächeln ein: „Uns ist wichtig, dass die Spieler etwas über sich selbst und ihr eigenes Verhalten in Konfliktsituationen erfahren.“ Man darf gespannt sein, wie das Ergebnis ausfallen wird.