Der Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart hat Robert Schumanns vier Sinfonien als Zyklus aufgeführt und einige der „Quartets for 93 Players“ dazu gepackt. Ein spannendes Konzept mit fein erarbeiteten Interpretationen.

Stuttgart - Am ersten Geigenpult sitzt ein Mann mit Tuba. Neben ihm ein Lockenkopf mit Bratsche. Nein, das ist doch nicht etwa . . . Doch, ja, er ist’s: Als das Staatsorchester Stuttgart am Sonntagmorgen drei der acht instrumentalen „Quartets for 93 Players“ spielt, die John Cage 1976 über romantische Chorsätze komponierte, hat sich Viktor Schonerzu ihnen gesellt. Einen Ton zum musikalischen Geschehen steuert der studierte Viola-Spieler allerdings nicht bei. Der Intendant schweigt, zusammen mit wechselnden 89 Musikern, darunter Profis sowie einige Laien, die man dazu geladen hat. Immer nur je vier Instrumente spielen gleichzeitig einen Ton, die Klänge wandern über die Bühne, und das Dabeisein ist für das Publikum eine durchaus anspruchsvolle Reise für Augen und Ohren. Dabei gelangen Cages „Quartets“ über den Umweg der Reduktion zu einer subversiven Hommage an den romantischen Orchesterapparat, an den Luxus eines sinfonischen Fünfzylinders.

 

Was dieser zu leisten imstande ist, hört man zuvor und danach – bei einer anderen Form des Quartetts. Um alle vier Sinfonien Robert Schumanns als Zyklus spielen zu können, hat der Generalmusikdirektor Cornelius Meister das Sonntags- und das Montagskonzert miteinander verbunden, und bei der Matinee zu Beginn beweist er ausgerechnet bei Schumanns vielleicht schönster, interessantester, vielleicht aber auch schwierigster Sinfonie, nämlich der zweiten, was ihn warum an diesem Komponisten fasziniert. In keiner anderen von Schumanns Sinfonien – die dritte, „Rheinische“, gibt’s nach der Pause – spürt man so stark die Reibung von Form und Inhalt, von Tradition und Aufbruch, und in keiner anderen zeitigt sie ein so heterogenes, ja widersprüchliches musikalisches Ergebnis.

Schumann mit Liebe, Sorgfalt – und glänzend homogenisierten Streichern

Meister nimmt sich, auswendig dirigierend, des Stücks in Liebe an. Und, was mindestens ebenso wichtig ist, mit ungeheurer Sorgfalt. Das Staatsorchester ist glänzend präpariert. Die Bläser: glänzend, makellos. Für das größte Wunder sorgen aber die Streicher, die ungemein präzise und homogen phrasieren und Akzente setzen. Schon in seiner langsamen Einleitung entspinnt sich der erste Satz in fein bewegtem Fließen. Das Scherzo hat nichts Derbes, es tänzelt filigran, hat fast etwas von Mendelssohnscher Elfenhaftigkeit, und der Wechsel der Formteile ist hier ein weicher Übergang, kein Kontrast. Im Adagio gelingt Meister das Kunststück, dem Singen weiten Atem-Raum zu lassen, diesen aber dennoch klar zu strukturieren – vor allem von unten, wie beim Generalbass des Barock, denn streng genommen ist dieser Satz ja so etwas wie der romantische Traum von einer Arie aus alten Zeiten. Selten waren die Zuhörer im Beethovensaal zuletzt so still, so konzentriert wie hier. Und so verzaubert, dass mancher den lockigen Mann am ersten Pult bei John Cages „Quartets“ womöglich wirklich für einen stummen Bratscher hielt. Unglaublich.