Mit Kurzandachten und Gottesdiensten im Freien planen die Gemeinden im Kreis für die Feiertage. Doch nun steht der komplette Wegfall von Präsenzveranstaltungen zur Debatte. Stattdessen soll es Online-Formate geben.

Böblingen/Sindelfingen - Die Katholiken planen für den Heiligen Abend ein improvisiertes Adhoc-Krippenspiel im Böblinger Stadion – und hoffen, dass es nicht regnet. Die evangelische Stadtkirchengemeinde hat bereits vor Wochen bei dem Fernsehkoch Timo Böckle mit den Kindern der Kinderkirche die Weihnachtsgeschichte im Freien gespielt und gefilmt. An Heilig Abend soll sie in einem Gottesdienst im Böblinger Kongresszentrum 300 Besuchern vorgeführt werden. Die Renninger Katholiken feiern dieses Jahr mit Familien im Wald. Und die evangelische Martinskirchengemeinde Sindelfingen plant statt dreier großer Gottesdienste wie sonst neben Online-Formaten auch sechs kürzere Andachten mit bis zu 80 Personen. Selbstverständlich haben die Gemeinden dafür Hygienekonzepte entwickelt. Eine Anmeldung vorab – telefonisch oder online – ist unbedingt notwendig.

 

So kreativ wie in diesem Jahr waren die Kirchen noch nie. Fast alle Gemeinden im Landkreis Böblingen haben sich ganz neue Formate für die Veranstaltungen an den Weihachstagen ausgedacht, Ihr Ziel: den Menschen trotz der Corona-Beschränkungen ein wenig von der Weihnachtsbotschaft zu vermitteln.

Alle Planungen sind Makulatur

Doch nun, keine zwei Wochen vor den wichtigsten Feiertagen im Land, steht wieder alles auf der Kippe. Die Zahl der Infizierten ist erneut drastisch gestiegen und der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ordnet Ausgangsbeschränkungen an. Kann es da an Weihnachten Gottesdienste mit hundert oder mehr Teilnehmern geben?

„Nein“, lautet die klare Antwort von Gerlinde Feine, der geschäftsführenden Pfarrerin an der Böblinger Stadtkirche. Sie zählt zu den Verfechtern harter Beschränkungen, um die Pandemie einzudämmen. „Ausnahmen für uns Kirchen darf es da nicht geben“, ist sie überzeugt, und sie verweist auf das aktuell stattfindende jüdische Chanukkafest und den muslimischen Ramadan im Frühjahr. Auch da habe es keine Ausnahme gegeben.

Außerdem hält Feine es für fragwürdig, dass Kultureinrichtungen und Restaurants „trotz besserer Hygienekonzepte als wir sie haben“, schließen müssen. Und groß ist die Angst der Pfarrerin: „Wenn nach Weihachten die Corona-Zahlen explodieren, dann wird es heißen: ‚Die Kirchen sind schuld’ , auch wenn sich das Virus bei Familienfeiern verbreitet hat.“

Kirchen wollen nicht für die Verbreitung des Virus verantwortlich sein

Ähnlich hat sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, geäußert: Wenn das Risiko bestehe, „dass aus gottesdienstlichen Versammlungen Leben gefährdet wird, dann bin ich der Allererste, der sagt, lasst es uns nicht machen“. Er plädiert stattdessen für digitale Angebote.

Pfarrer Junginger sieht Gottesdienste als seelsorgerliche Aufgabe

Etwas anders sieht das Jens Junginger, der geschäftsführende Pfarrer der evangelischen Kirche in Sindelfingen. „Ich halte eine seelsorgerliche Begleitung der Menschen gerade in dieser Coronazeit an Weihnachten für wichtig.“ Und die „Seelen der Menschen“ bräuchten gemeinsame Veranstaltungen. Auch Singen müsse unter besonderen Auflagen möglich sein. Deshalb hat er mit seinem Team in Sindelfingen ein besonderes Konzept entwickelt: „Wir haben bewusst auf eine Großveranstaltung verzichtet“. Stattdessen sind fünf Andachten am Nachmittag des Heiligen Abends geplant plus einem Gottesdienst um 22 Uhr.

Zu allen Veranstaltungen sind nach dem Hygiene-Konzept jeweils maximal 80 Personen zugelassen. Zwei der Andachten sollen im Freien vor der Martinskirche stattfinden. „Dann können wir auch gemeinsam mit Mundschutz ein Weihnachtslied singen“, hofft Junginger. Die Johannes- und die Christuskirchengemeinde planen außerdem Krippenspiele im Freien. Ob all das oder wenigstens ein Teil davon jedoch stattfinden kann, das wird sich in den kommenden Tagen erweisen. Am Sonntag tagen die Ministerpräsidenten und werden wohl neue strenge Beschränkungen verkünden. Die Kirchen jedenfalls rüsten sich auch für diesen Fall. „Ich bin seit dem Sommer bereits an der vierten Version von Weihnachtsveranstaltungen. Und das ist vermutlich nicht die letzte. Das ist eine enorme Arbeitsbelastung für alle Mitarbeiter“, sagt Gerlinde Feine.

Pfarrerin Feine will keine Präsenzgottesdienste

Als Vorsitzende des Arbeitskreises Christliche Kirchen in Böblingen will sie sich bei dessen Sitzung am Dienstag dafür einsetzen, dass die Kirchen auf Präsenzveranstaltungen in Böblingen verzichten. „Wir brauchen ein starkes ökumenisches Zeichen“, fordert sie. Und das sei der Verzicht auf das Grundrecht der freien Religionsausübung in Präsenz.

Stattdessen fordert sie kreative Formen wie Glockenläuten, Balkonsingen, Leuchtbotschaften an Kirchenmauern und Online-Gottesdienste, die fast alle Gemeinden sowieso einplanen. Ihre Einschätzung hat sie auf einem Blog veröffentlicht, dafür erhält sie von vielen Seiten Reaktionen: „99 Prozent davon sind zustimmend“, sagt Gerlinde Feine.