Für Rechenzentren wie das der Universität Stuttgart auf dem Campus in Vaihingen war der von der Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub kein Problem. Warum es trotzdem gehakt hat.

Vaihingen - Die Coronakrise hat im privaten wie im beruflichen Umfeld einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Professor Peter Radgen und Dirk Turek vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart haben in einer Studie die Rolle von Rechenzentren in Zeiten wachsender Datenströme beleuchtet.

 

„Man kann sagen, dass die Rechenzentren den Anforderungen relativ problemlos gerecht werden konnten“, resümiert Radgen die vergangenen Monate. Ein Grund: Die Kapazitäten seien grundsätzlich auf Wachstum ausgelegt. Man habe vor Corona mit einer jährlichen Zunahme des Datenverkehrs um etwa 30 Prozent gerechnet. Entsprechend gab es einen Puffer, den man ausschöpfen konnte, als der Datenbedarf stark anstieg. „Als Unternehmen plötzlich viele Mitarbeiter ins Homeoffice schickten, war das eher ein Problem von deren Infrastruktur und eine Frage der kurzfristig verfügbaren Hardware“, erklärt der Leiter der Graduierten- und Forschungsschule Effiziente Energienutzung Stuttgart (GREES). „Engpässe gab es vor allem bei der Datenübertragung auf der letzten Meile, nicht in den Rechenzentren.“ Dabei waren die Anforderungen angesichts einer Zunahme von 70 Prozent bei Webkonferenzen oder 90 Prozent bei der Videokommunikation durchaus erheblich. Das habe sich unter anderem in Lieferengpässen bei der Hardware niedergeschlagen, erklärt Radgen. Der fehlende Chip oder das ausverkaufte Headset waren am Ende meist problematischer als die Gewährleistung des Datenflusses.

Welchen ökologischen Preis haben Rechenzentren?

Kritiker mahnen, diese zuverlässigen Leistungen der Rechenzentren hätten einen hohen ökologischen Preis. Rund 0,8 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs gehen derzeit auf das Konto der Branche. „Dieser Wert ist etwas unscharf“, merkt Peter Radgen an. Er sei hochgerechnet und nicht mit einer gängigen Energiebilanz vergleichbar. Er spricht im Zusammenhang mit dem Energieverbrauch dennoch von „einem ganz schönen Batzen“. Das Etikett „Stromfresser“ lehnt er ab. Es sei wie beim „Spritfresser“ Automobil. Man müsse Mehrwert und Aufwand gegenüberstellen. „Der Energieaufwand pro Rechenoperation hat sich in der Vergangenheit massiv verringert“ ergänzt Dirk Turek, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Effiziente Energienutzung. „Nur hat sich gleichzeitig der Umfang der Nutzung extrem gesteigert. So schlage sich die Ersparnis in ungefähr gleichbleibendem Energieverbrauch nieder. Energieeffizienz sehen beide Experten als wichtiges Zukunftsthema. „Vor allem die Nutzung der entstehenden Abwärme birgt noch viel Potenzial“, sagt Radgen.

Auch am Campus Vaihingen fällt im Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS) kontinuierlich eine Abwärmeleistung von etwa vier Megawatt an. Das entspricht der Kesselleistung von etwa 220 Einfamilienhäusern. Einziger Wermutstropfen ist die niedrige Temperatur der Abwärme von 30 bis 35 Grad Celsius, sodass diese gegebenenfalls vor einer Nutzung durch eine Wärmepumpe auf eine höhere Temperatur angehoben werden muss.

Die Pandemie wird Spuren in der Arbeitswelt hinterlassen

Künftig dürfte der Bedarf an Rechenzentren weiter wachsen. Technologien wie das autonome Fahren oder das Internet of Things benötigen ein solides Rückgrat. Auch die Pandemie wird Spuren hinterlassen: „Wenn wir uns die Zunahme von Homeoffice oder Online-Meetings ansehen, ist nicht davon auszugehen, dass wir wieder auf das Niveau zurückfallen werden, das wir vor Corona hatten“, schätzt Turek. „Zumal viele Arbeitgeber gemerkt haben, dass das tatsächlich funktioniert.“ Auch in technischer Hinsicht. „Bei der Umstellung auf digitale Lehre an der Universität habe es zwei, drei Tage ein wenig geruckelt, blickt Peter Radgen zurück. Die größte Herausforderung liege hier, wie beim Homeschooling, in der Anpassung von Methoden und der Akzeptanz. „Der Digitalisierungsschub durch die Pandemie ist eine Chance“, hält er fest. „Als ich 2016 an die Uni kam, stieß ich mit dem Vorschlag, ein Tool für Online-Meetings für die Universität anzuschaffen, auf Unverständnis“, erinnert er sich. „Heute ist es aus dem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken.“

„Wichtig ist, dass wir auch die passende Kultur im Umgang mit den technischen Veränderungen entwickeln“, sagt Dirk Turek. Während früher oft An- und Abreise Übergänge zwischen Meetings schufen, könne man heute nahtlos von einer Konferenz in die nächste springen. Das werde auf Dauer wohl wegen der stärkeren Belastung nicht funktionieren. Einrichtungen wie die Unis sind jedenfalls gut für die digitale Zukunft gerüstet. „Ob man digitale Tools für zehn oder für 100 Nutzer anbietet, macht kaum einen Unterschied“, versichert Radgen. „Trotzdem sollte man nicht die Leute vergessen, die mit ihrem Einsatz dafür gesorgt haben, dass der Lehrbetrieb im vergangenen Jahr an der Universität fast vollständig im digitalen Raum stattfinden konnte.“