Der Bericht des Sachverständigen-Gremiums zur Beurteilung der Coronapolitik bleibt in vielen Punkten vage. Das liegt an einer sehr schlechten Datengrundlage. Es gibt in Deutschland zu wenig Forschung, die die Coronapolitik begleitet.

Bis Ende Juni sollte das Sachverständigen-Gremium zur Beurteilung der Coronapolitik seinen Bericht überreichen. Das war eine Punktlandung. Die Runde aus Virologen, Juristen, Ökonomen und Sozialwissenschaftlern hat die Frist voll ausgeschöpft. Am Freitag nun wurde der Abschlussbericht vorgestellt. Tatsächlich war das zu bewältigende Pensum beträchtlich. Die zu behandelnden Fragen reichten von der Beurteilung der einzelnen Schutzmaßnahmen, über die gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen bis hin zum juristischen Problem, wie das alles am sinnvollsten in Gesetze zu fassen wäre. Dieser Katalog ist so umfassend, dass die Erwartung von Anfang an vermessen war, die Politik erhielte nun eine Blaupause für den künftigen Coronakurs. So enthielten sich die Experten ganz weitgehend konkreter Handlungsanweisungen für die Zukunft. Und auch in der Analyse der schon getroffenen Maßnahmen werden alle Urteile mit sehr viel Vorsicht gefällt.

 

Immerhin benennen die Experten die Ursache für diese Zurückhaltung sehr klar: Es gibt einfach zu wenig gesichertes Datenmaterial. Es „fehlte eine ausreichende und stringente begleitende Datenerhebung, die notwendig gewesen wäre, um die Evaluierung einzelner Maßnahmen oder Maßnahmenpakete zu ermöglichen“, heißt es unmissverständlich im Bericht. Dennoch gibt es wenigstens einige bemerkenswerte Hinweise – auch zu den konkreten einzelnen Schutzmaßnahmen. Wir fassen die Kernpunkte des Berichtes zusammen:

Lockdowns

Es gebe „keinen Zweifel, dass generell die Reduktion enger physischer Kontakte zur Reduktion von Infektionen führt“, sagen die Wissenschaftler. Gerade zu Beginn einer Pandemie sei es sinnvoll, die Übertragung in der Bevölkerung „soweit es geht“ zu reduzieren, um das Gesundheitssystem auf die bevorstehende Krankenlast einzustellen. „Aber je länger ein Lockdown dauert und je weniger Menschen bereit sind, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer ist der Effekt und umso schwerer wiegen die nicht-intendierten Folgen.“

2G- und 3G-Maßnahmen

Aufgrund des ziemlich schnell nachlassenden Impfschutzes haben die Experten Zweifel an der Wirksamkeit solcher Zugangsbeschränkungen, die sich allein auf den Impfstatus stützen. „Ist man aufgrund eines hohen Infektionsgeschehens und einer (drohenden) Überlastung des Gesundheitswesens gezwungen, Zugangsbeschränkungen einzuführen, so ist bei den derzeitigen Varianten und Impfstoffen eine Testung, unabhängig vom Impfstatus als Zugangsbedingung, zunächst zu empfehlen“, heißt es im Bericht.

Schulschließungen

Hier bleiben die Experten sehr vorsichtig. Die Wirksamkeit von Schulschließungen sei „trotz biologischer Plausibilität und zahlreicher Studien weiterhin offen“, sagt der Bericht. „Wenn alle Stricke reißen, muss man auch Schulschließungen ins Auge fassen, aber als letztes aller Mittel“, sagte die Berliner Soziologin Jutta Allmendiger bei der Präsentation des Berichtes. Es wird vorgeschlagen, dass eine weitere Kommission die nicht beabsichtigten psychologischen und sozialen Folgen von Schulschließungen weiter untersucht.

Masken und Maskenpflicht

Hier ist das Urteil klar: Die Maske schützt. Allerdings nur, wenn sie richtig getragen wird und der Träger ihre Wirksamkeit nicht unterläuft, indem er sie zu locker trägt. „Deshalb sollte zukünftig in der öffentlichen Aufklärung und Risikokommunikation ein starker Schwerpunkt auf das richtige und konsequente Tragen von Masken gelegt werden“, lautet die Empfehlung. Da die Übertragung des Coronavirus im Innenbereich ungleich stärker als im Außenbereich sei, „sollte eine Maskenpflicht zukünftig auf Innenräume und Orte mit einem höheren Infektionsrisiko beschränkt bleiben“, sagen die Experten. Eine generelle Empfehlung zum Tragen einer FFP2-Maske gibt es nicht, da der Vergleich zu chirurgischen Masken noch „nicht abschließend zu bewerten“ sei. Dennoch sei im medizinischen und pflegerischen Bereich die FFP2-Maske zu bevorzugen.

Folgen für die Gesellschaft

Die Experten sehen aufgrund von Studien „psychosoziale Auswirkungen insbesondere auf Frauen und jüngere Menschen“. Es sei „essenziell wichtig, die sozial bedingte Ungleichheit als eigenständiges Thema der Pandemiepolitik zu etablieren“, heißt es. Die Folgen der Pandemie dürften „nicht einseitig zulasten von Frauen und Kindern“ gehen.

Corona und Rechtspolitik

Hier sehen die Experten massiven Reformbedarf. Die Grundkonstruktion, wonach der Bundestag die epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt und danach in erster Linie die Regierung entscheidet, was zu tun ist, halten Verfassungsjuristen für falsch. Sie fordern gesetzliche Regelungen und Eingriffsschwellen, deren Erreichen eine Reaktion auslöst. Die Normen sollen durch den Bundesgesetzgeber so verfasst sein, dass sie nicht nur für Corona gelten, sondern auch für künftige, vergleichbare Katastrophen. Um finanzielle Schäden bei Unternehmern durch künftige Lockdowns zu minimieren, fordern die Experten zudem, über eine Versicherungspflicht nachzudenken.