Karaoke singen in engen Kabinen verbreitet Corona-Viren. Damit viele Japanern aber nicht ihr Hobby verlieren, dafür sorgt jetzt eine technische Erfindung

Tokio - Wenn in Japan jemand niest, dann fliegen in der Regel keine Bazillen durch die Luft. Wer erkältet ist, trägt aus Rücksicht vor der Umwelt einen Mundschutz. Schon seit der Spanischen Grippe vor rund 100 Jahren macht man das so. Das könnte ein Grund sein, warum Japan in der Corona-Pandemie vergleichsweise niedrige Infektionszahlen hat. Bis jetzt zählt das Land nur rund 66 000 Erkrankungen an Covid-19. Deshalb bat die Regierung nur anfangs für einige Wochen, dass – nicht einmal alle – Geschäfte geschlossen bleiben, und noch im Frühjahr begann eine Rückkehr zum Alltagsleben.

 

Doch seit die Nachtclubs, Discos und Karaokebars wieder geöffnet haben, wird das Land von einer neuen Infektionswelle mitgerissen. In Tokio, wo knapp die Hälfte aller Fälle registriert sind, wurden zuletzt wieder mehr als Hunderte Neuinfektionen am Tag gemeldet. Ein Großteil der Verantwortung fällt wohl auf eine technologische und kulturelle Errungenschaft, die seit Jahrzehnten ein erfolgreicher japanischer Kulturexport ist: das Karaokesingen. Neben Nachtclubs und Discos sind es laut einer Studie von 17 führenden Wissenschaftlern Japans vor allem die Karaokebars, in denen sich besonders häufig Infektionscluster bilden.

Eines der beliebtesten Hobbys des Landes ist in Verruf geraten

Dabei geht es nicht um die Mikrofone, die im Eifer des Gefechts durch viele Hände gehen und von reichlich Mündern geküsst werden. Vielmehr sind es zum einen die Umstände, in denen sich Japans Karaokeliebhaber treffen: in den schlecht gelüfteten Kabinen von meist kaum acht Quadratmetern tummeln sich oft Gruppen von an etwa zehn Personen. Weil man außerdem durch eine Gesichtsmaske keinen sauberen Ton ins Mikrofon bringt, wird die ansonsten etablierte Höflichkeitsregel des Maskentragens beim Karaoke gern ignoriert.

Noch im Juni, kurz nach der Beendigung des Ausnahmezustands und der Wiederöffnung der Bars, sagte eine Sprecherin des landesweit operierenden Karaokebarbetreibers Koshidaka: „Wir bitten jetzt alle außer der singenden Person, eine Maske zu tragen.“ Nur ist das nicht genug, sagt Hitoshi Oshitani, führender Autor der Studie, der in Karaokebars ein hohes Infektionsrisiko sieht: „Wenn Menschen singen oder schreien, wird ihre Aussprache feuchter, und die Partikel fliegen weiter durch die Luft.“

Kein Wunder, dass eines der beliebtesten Hobbys des Landes in Verruf geraten ist. Doch mittlerweile soll es eine Lösung geben. Und wie die ganze Idee von Karaokeanlagen basiert der derzeit viel diskutierte Ansatz nicht etwa auf Zurückhaltung, sondern auf Hightech, der die Hemmungslosigkeit unterstützt. Ein Upgrade soll die Soundanlagen mit der Fähigkeit ausstatten, die Stimmen der singenden Personen trotz Mundschutz unverzerrt aufzunehmen.

Dank dem neuen Gadget muss man nicht mehr so schreien

Der „mask effect“, der in die Mikrofone integriert ist, lässt sich über ein Touchpad aktivieren, auf dem auch die zu singenden Lieder eingegeben werden. So wird die Sensibilität des Mikrofons erhöht und der Schalldruck verstärkt. Im Gegensatz zum bloßen Hochregeln der Mikrofonlautstärke wird so der Ton klarer. Vor allem mittlere und hohe Töne profitieren davon, denn diese werden ansonsten durch das Tragen von Masken besonders verzerrt.

Eine weitere Folge durch die erhöhte Sensibilität des Mikrofons, den die Hersteller hervorheben: man müsse dann nicht mehr so schreien. Um bei den in die handelsüblichen Karaokeprogramme eingebauten Bewertungssysteme hohe Punktzahlen zu erhalten, muss man vor allem im Refrain oft laut und kräftig singen. „Das wird jetzt durch Verstärkungseffekte kompensiert“, erklärte ein Sprecher der Firma Joysound.

Im ganzen Land haben sich Karaokebars, die die Anlagen von Joysound nutzen, unterdessen mit dem „mask effect“ aufgerüstet. Zumindest die Öffentlichkeit ist zufrieden. „Neues Feature bei Karaokemaschinen gibt Sängern eine klarere Stimme“, schwärmte die „Japan Times“ zuletzt. „Man kann jetzt mit Maske, aber ohne verzerrte Stimme singen“, urteilt das Tokyo Shimbun. Auch auf Twitter ist vor allem Lob zu vernehmen.

Manche Leute wollen aber nicht aufs Schreien verzichten

Allerdings scheint Hightech nicht für alle Hobbysänger die Lösung zu sein. Motockney Nuquee, ein Bluesmusiker aus Tokio, hat die neue Funktion ausprobiert und fühlt sich um den Spaß gebracht. „Mit Maske zu singen ist kein richtiges Karaoke mehr“, findet er. „Karaoke dient doch auch dem Stressabbau. Damit es richtig wirkt, muss man laut schreien. Ich will kein Mikrofon, das mein Schreien unnötig macht. Ich will auch nicht mit Maske singen. Dass man den Gesichtsausdruck sieht, gehört doch zum ganzen Erlebnis dazu.“

Dabei gibt es alternative Lösungsansätze, allerdings kaum hochtechnologischer Natur. Der Karaokebarbetreiber Manekineko hat rund um die Mikrofone ein Schutzschild aus Plastik gebaut, das Tröpfchen, die das Singen begleiten, auffangen soll.