Im Bundesstützpunkt in Schmiden ist seit der Corona-Krise Stille eingekehrt, das angegliederte Internat ist verwaist: So lange der komplette Betrieb ruht, arbeitet nicht nur die Stützpunktleiterin Kathrin Igel im Homeoffice.

Schmiden - Still ist es im Bundesstützpunkt für Rhythmische Sportgymnastik in Schmiden. Noch keine vier Wochen ist es her, dass in der benachbarten Sporthalle Gymnastinnen aus acht Nationen vom Publikum gefeiert wurden. Kurz danach fegte die Coronavirus-Pandemie mit Wucht durch das Land. Jetzt sind die Hallen leer. Auch das dem Stützpunkt angegliederte Internat ist verwaist.

 

Die Gymnastinnen sind bei ihren Familien

„Nachdem die Schulen zugemacht haben und der Trainingsbetrieb eingestellt wurde, hat es keinen Sinn gemacht, unsere auswärtigen Gymnastinnen hier zu behalten. Die Mädchen sind in dieser Situation besser bei ihren Familien aufgehoben“, sagt Kathrin Igel, die Stützpunktleiterin. Das gilt auch für Darja Varfolomeev aus Russland. Die 13-Jährige wurde von ihrem Vater nach Hause geholt und befindet sich derzeit in häuslicher Quarantäne, weil sie aus Deutschland eingereist ist.

Am Tag nach dem 25. „Gymnastik International“ in Schmiden hatte sich Kathrin Igel in den Urlaub verabschiedet. Nicht ahnend, dass die zweitägigen Wettkämpfe eine der letzten Sportveranstaltungen für eine noch nicht absehbare Zeit gewesen sein sollten. Groß entspannen konnte sich Kathrin Igel dann auch nicht, weil sich die Ereignisse im Land überschlugen und in eine Situation mündeten, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat. „Ich bin froh, dass wir unser Jubiläumsturnier gerade noch so über die Bühne gebracht haben“, sagt Kathrin Igel, die vom Urlaub am Bodensee direkt ins Homeoffice in ihre Fellbacher Wohnung gegangen ist.

Das Gruppentraining ist nun untersagt

Als öffentliche Sportstätten und Fitnessstudios schon geschlossen waren und sich auch alle anderen Gymnastinnen bereits in die Zwangspause verabschiedet hatten, durfte die am Stützpunkt beheimatete Nationalgruppe anfangs noch trainieren. Mit Blick auf die da noch nicht abgesagten Europameisterschaften, die im Mai in Kiew hätten stattfinden sollen – inklusive letzter Chance auf ein Ticket für die zu der Zeit noch nicht verschobenen Olympischen Spiele in Tokio. Weil das Internationale Olympische Komitee dann entschied, die Spiele auf das nächste Jahr zu verschieben, ist das Gruppentraining nun untersagt. Die Kapitänin Daniela Huber, Viktoria Burjak, Nathalie Köhn, Noemi Peschel, Alexandra Tikhonovich und Anni Qu gehen – selbstverständlich getrennt voneinander – einmal pro Woche in den Olympiastützpunkt nach Stuttgart und trainieren ansonsten daheim. Teils allein, teils aber dank moderner Technik auch in einer Online-Konferenzschaltung. „Sie treffen sich im Internet und machen gemeinsam Fitness“, sagt Kathrin Igel.

Vorrangig im Angebot sind Übungen für Fitness und Beweglichkeit

Alle Mädchen üben fast täglich. „Die Trainerinnen drehen Videos und schicken sie an ihre Gymnastinnen, auch Margarita Kolosov und Darja Varfolomeev bekommen ständig neues Material, und in der Gruppe von Judith Hauser dreht jede Gymnastin Videos und teilt sie“, sagt Kathrin Igel. Vorrangig im Angebot sind Übungen für Fitness und Beweglichkeit. An der Gerätetechnik kann in Zeiten der Corona-Krise nicht ganz so effektiv gefeilt werden. Aber da nun auch die deutschen Meisterschaften am ersten Juni-Wochenende in Oberhausen abgesagt wurden, genügt das für den Moment. „Bis zu den Sommerferien gibt es ohnehin keine nationalen oder internationalen Wettkämpfe mehr“, sagt Kathrin Igel.

Nicht nur wegen der vielen Trainingsvideo-Aufzeichnungen hat die Stützpunktleiterin für die hauptamtlichen Trainer im Stützpunkt (noch) keine Kurzarbeit angemeldet. „Sie kommen während der Saison nicht dazu, Urlaub zu nehmen und haben alle noch viele Tage übrig. Außerdem sammeln sie in dieser Zeit immer eine Menge Überstunden an, die sie jetzt abbauen können“, sagt Kathrin Igel.

Die Europameisterschaften 2021 sind in Bulgarien

Immerhin kann Kathrin Igel der aktuellen Situation zumindest sportlich Positives abgewinnen. „Um das letzte Ticket zu bekommen, hätten wir bei den Europameisterschaften im Mai in Kiew die Ukraine, die ebenfalls noch nicht qualifiziert ist, vor heimischem Publikum besiegen müssen. Die Europameisterschaften 2021 sind in Bulgarien, das macht es zumindest ein bisschen leichter.“ Ganz abgesehen davon, dass die Gruppe jetzt noch ein Jahr länger Zeit hat, an den Übungen zu feilen. Zumindest wenn der normale Trainingsbetrieb irgendwann wieder losgeht. Und wenn alle Gymnastinnen aus diesen Wochen, in denen ungewohnte Freiheiten und mehr Freizeit den ansonsten streng getakteten Trainingsplan ersetzen, wieder zurück in den normalen Leistungssportmodus finden. „Das ist auch für mich eine spannende Frage“, sagt Kathrin Igel.

Zumal bekanntermaßen nach jedem Olympia-Zyklus Rücktritte verkündet werden und auch die eine oder andere Gruppengymnastin nach den Spielen aufhören wollte. Doch Pläne sind in Zeiten von Corona oft genug Makulatur. Alle in der Gruppe hätten die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio als ihr großes sportliches Ziel ausgegeben, sagt Kathrin Igel. „Und damit bleiben, Stand jetzt, alle mindestens bis zur möglichen Qualifikation im nächsten Frühjahr dabei.“