Der neue Termin für die praktischen Prüfungen im Fach Sport Anfang Juli verschafft etwas Luft. Dennoch trifft das derzeitige Verbot der Nutzung von Sportanlagen viele Sport-Abiturienten hart. Eine Bestandsaufnahme am Beispiel des Wirtemberg-Gymnasiums.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Warum soll es Melanie Voss anders gehen? Auch die Lehrerin am Wirtemberg-Gymnasium beschleicht in den Zeiten des Coronavirus ein komisches Gefühl. „Es herrscht schon eine große Verunsicherung an der Schule“, räumt sie ein. Besonders bei ihren Schülern, die im Neigungsfach Sport ihre Abiturprüfung ablegen. Melanie Voss betreut die 23 Schülerinnen und Schüler mit viel Fachwissen und Herzblut. Derzeit hält die ehemalige Landestrainerin im Kunstturnforum Stuttgart mit ihnen Kontakt über die schul.cloud. Diese Plattform funktioniert wie die Kommunikation mit Whatsapp, nur eben verschlüsselt. Lehrer und Schüler können sich Nachrichten schreiben und Dateien austauschen. Alles bleibt intern. Melanie Voss verschickt für die schriftlichen Prüfungen an ihre Schützlinge Aufgaben und eine Woche später die Lösungen hinterher. Dazu gibt’s Trainingspläne von Isabell Baumann für den Bereich Ausdauer und spezielle 7-Minuten-Workouts mit zwölf verschiedenen Übungen. „Das ist gut für die Mittelkörperspannung, das machen sogar Teile aus dem Lehrerkollegium mit“, erklärt die 40-Jährige mit einem Schmunzeln.

 

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Sie versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Das größte Problem derzeit, das alle Schüler gleichermaßen betrifft: Keiner weiß zu 100 Prozent, wann die fachpraktischen Prüfungen im Fach Sport genau über die Bühne gehen. „Wir befinden uns in einer noch nie da gewesenen Ausnahmesituation, die wir kontinuierlich neu und klug bewerten müssen. Stand heute werden die Abiturprüfungen stattfinden“, sagt Ministerin Susanne Eisenmann. In Baden-Württemberg sind die Prüfungen zunächst auf den Zeitraum ab dem 18. Mai verschoben worden. Inzwischen wurde der Termin in Abstimmung mit dem Regierungspräsidium exakt festgelegt: Die praktischen Prüfungen im Fach Sport finden im Zeitraum vom 1. bis zum 10. Juli 2020 statt.

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Das ist wichtig, denn im Bereich Sport tun sich ganz besondere Schwierigkeiten auf – und zwar speziell für die Schülerinnen und Schüler, die in technischen Disziplinen oder im Schwimmen ihre Prüfungen ablegen wollen. An der Ausdauer für einen Cooper-Test lässt sich auch in diesen Tagen im Wald oder – falls vorhanden – zuhause auf dem Laufband feilen. Aber ein Kugelstoßer, Speerwerfer, Weitspringer hat bei geschlossenen Sportanlagen naturgemäß ein Problem. Genauso Turner, vor allem dann, wenn diese nicht gerade im Verein eine große Nummer sind. Sie alle sind auf Training angewiesen, um beim Abi hoch zu punkten. Schwimmer sowieso. „Für sie ist es ganz furchtbar“, findet Melanie Voss.

Vereinssportler mit hohem Niveau

Dennoch relativiert sie diese Befürchtung ebenso wie ihr Kollege Steffen Hepperle (35), Fachvorsitzender Sport am „Wirtemberg-Gymnasium, zumindest mit Bezug auf Vereinssportler: „Viele Schüler, die ihren Sport im Verein ausüben, haben für schulische Verhältnisse ein recht hohes Niveau, das durch eine kurze Trainingspause nicht wesentlich beeinträchtigt wird. So werden zum Beispiel die meisten Vereinsschwimmer wahrscheinlich auch in dieser Situation im Wasser beim Abitur 15 Punkte ergattern können. Aber allen anderen fehlen natürlich momentan die Übungsmöglichkeiten,“ erklärt der frühere Handballer und Athletiktrainer der SG BBM Bietigheim, der die Verlegung auf Anfang Juli als positives Signal sieht.

Faire Lösung

Im Kultusministerium ist man sich der grundsätzlichen Problematik durchaus bewusst. „Die fachpraktischen Prüfungen im Fach Sport stellen aufgrund der spezifischen Vorbereitung eine besondere Herausforderung dar. Ich bin überzeugt, dass wir für die Sport-Abiturienten eine faire Lösung mit einer angemessenen Vorbereitungszeit gefunden haben“, teilte Susanne Eisenmann auf Nachfrage unserer Zeitung mit.

An der Motivation, aus der misslichen Situation möglichst optimal herauszukommen, wird es nicht scheitern. An der Eliteschule des Sports in Untertürkheim wissen die Schüler, was es heißt, sich durchzubeißen. Unter den Sport-Abiturienten von Melanie Voss sind einige Bundeskader-Athleten, die auch mit Rückschlägen umgehen können. So zum Beispiel U-17-Nationalspieler Jordan Meyer (18) vom VfB Stuttgart, der sich nach einem Kreuzbandriss zurückkämpft. Oder sein Vereinskollege Leonhard Münst (18), der sich einen Meniskusriss zuzog.

Professionelle Einstellung

„Man merkt die professionelle Einstellung aus dem Verein, das wirkt sich auch auf den Leistungswillen in der Schule aus“, sagt Melanie Voss. Dies stellt sie nicht nur bei den Fußballern fest, zu denen auch Nils Tomani und Ilias Michaltsis aus der A-Jugend der Stuttgarter Kickers zählen. Sondern auch bei der Hockey-U-18-Nationspielerin Isabella Schmidt (Mannheimer HC) oder bei Judoka Sarah Mehlau vom SV Winnenden, die als 17-Jährige bei den deutschen Einzelmeisterschaften Fünfte wurde. Dennoch ist für sie und ihre Mitschüler die Situation etwas ganz Spezielles. „Sie sind es nun einmal gewohnt, sich professionell auf einen Wettkampf vorzubereiten“ sagt Melanie Voss.

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Jetzt aber ist Geduld gefragt. Noch ist die Nutzung sämtlicher Sportanlagen bis zum 19. April untersagt. Ob sie danach definitiv wieder geöffnet werden, kann keiner sagen. Wenn nicht wäre es, je nach Entwicklung der Coronakrise, nicht ausgeschlossen, dass die Sportanlagen für die Prüflinge in den technischen Disziplinen oder für die Schwimmer teilweise geöffnet werden. Wäre es auch denkbar den Notenschlüssel der Sondersituation anzupassen, pädagogisch sinnvoll zu bewerten, wie es im Fachjargon heißt? Die Antwort aus dem Kultusministerium: „Es ist derzeit nicht vorgesehen, das Anforderungsprofil für die Prüfung in den einzelnen Sportarten zu verändern.“

Keine Nachteile

Dennoch sagt Susanne Eisenmann: „Für mich gilt die Prämisse: Für die Schülerinnen und Schüler darf aus der derzeitigen Situation kein Nachteil entstehen.“ Nicht nur Melanie Voss und ihren Sport-Abiturienten am Wirtemberg-Gymnasium wäre das zu wünschen.