Die Not bei den Stuttgarter Einzelhändlern ist groß. Einige Geschäfte haben nun eine gemeinsame Internetseite initiiert, um auf sich aufmerksam zu machen – und weiterhin präsent zu sein für ihre Kunden. Andere sind gezwungen, kurzfristig Online-Shops aufzubauen oder ihre Ware selbst auszufahren.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Läden, die dieser Tage nicht als „systemrelevant“ gelten, sind geschlossen. Das trifft auch in Stuttgart viele Einzelhändler hart. Ihre Existenz ist bedroht. „Ich schwanke zwischen Krisenmodus und nach vorne schauen“, sagt Florian Henneka, Inhaber des Traditionsgeschäfts Korbmayer. Seine Idee: Stuttgarter Einzelhändler vernetzen sich auf einer gemeinsamen Plattform. „Wir wollen damit die Kunden sensibilisieren, lieber lokal einzukaufen, und auch mit ihnen in Kontakt bleiben“, sagt Henneka. Unter www.stuttgartsindwir.de können Kunden weiterhin bei Stuttgarter Geschäften kaufen. Fünf Geschäfte sind schon dabei. „Jeder Stuttgarter Händler kann kostenlos mitmachen und sich auf der Seite präsentieren“, betont Henneka.

 

Der Tübinger Web- und Grafikdesigner Antonio Porzio hat die Plattform „in einer Nacht und Nebel-Aktion hochgezogen“, wie er sagt. Kostenfrei. „Aus Solidarität“, ergänzt Porzio. Wer Interesse habe, dort ebenfalls gelistet zu sein, könne sich jederzeit bei ihm melden. Er setze die Beiträge rein, ebenfalls kostenlos.

Einzelhändler profitieren immer noch sehr von der persönlichen Beratung

Die meisten Einzelhändler machen den großen Teil ihres Umsatzes immer noch direkt in ihrem Geschäft. „Die Umsatzverluste können wir allein über online auch nicht kompensieren“, sagt Christian Riethmüller, Geschäftsführer der Buchhandlung Osiander. Deshalb appelliert er an die Stuttgarter, alles, was sie in den kommenden Wochen brauchen, bei hiesigen Einzelhändlern zu kaufen, damit diese die Krise überstehen können. „Der Buchhandel hat eine Preisbindung. Bücher kosten überall gleich viel“, betont Riethmüller. Er hofft sogar ein bisschen, dass die Lehre aus der derzeitigen Krise durch das Coronavirus die ist, dass die Deutschen in Zukunft achtsamer und nachhaltiger leben und einkaufen.

Auch City-Manager Sven Hahn hofft auf die Solidarität der Stuttgarter gegenüber dem lokalen Handel. Viele hätten hohe Fixkosten und würden die kommenden Wochen sonst kaum überleben. „Die lokalen Strukturen lassen sich dann auch nicht so einfach wieder aufbauen“, warnt Hahn. Was kommt nach der derzeitigen Krise? „Das kann jeder von uns durch sein Kaufverhalten in den kommenden Wochen mit beeinflussen.“

Das Land Baden-Württemberg springt finanziell in die Bresche

Das Land Baden-Württemberg hat den kleinen und mittelständischen Unternehmen finanzielle Hilfe zugesichert. „Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, den wir sehr begrüßen“, sagt Hermann Hutter, Präsident des Handelsverbandes Baden-Württemberg (HBW). „Jetzt ist es wichtig, dass die Maßnahmen schnell umgesetzt werden, um den Schaden der Händler möglichst gering zu halten“, ergänzt er.

Der Verband lobt vor allem die Bereitschaft der Landesregierung, auch unkonventionelle Maßnahmen im Kampf gegen die wirtschaftlichen Ausfälle zu ergreifen. „Gerade der kleine Einzelhandel, der von den Betriebsschließungen betroffen ist, hat mit Existenzängsten zu kämpfen“, sagt Sabine Hagmann, HBW-Hauptgeschäftsführerin. Er müsse neben Personalkosten, die nicht vom Kurzarbeitergeld abgedeckt sind, vor allem auch Mieten und Lieferungen bezahlen, ohne dass Einnahmen erfolgen.

Für viele lindert die staatliche Unterstützung nur die größte Not. Deshalb versuchen einige Händler andere Maßnahmen zu ergreifen. „Wir versuchen das, was wir im Laden haben, zu fotografieren und online zu stellen“, sagt Christoph Achenbach, Geschäftsführer von Lederwaren Acker. Schon lange habe man einen Online-Shop geplant. „Das beschleunigen wir“, sagt er. Der Online-Verkauf könne keineswegs alles kompensieren. „Wir hoffen deshalb sehr auf den 20. April“, sagt Achenbach. Bis dahin müssen die Geschäfte geschlossen bleiben.

Viele versuchen den Verlust über Online-Erlöse zu kompensieren

Das Dessousmodegeschäft Maute und Benger hat keinen Online-Shop. „Wir haben ein sehr beratungsintensives Produkt“, sagt die Inhaberin Anneke Breuning. „Bisher sind wir auch gut zurechtgekommen – bis vor zwei Tagen.“ Deshalb hätten sie nun zu anderen Maßnahmen gegriffen: „Wir sind weiterhin telefonisch zu erreichen und verschicken die Ware nach Hause“, sagt Breuning. Bisher sei die Resonanz noch gering. „Die Leute klingeln jetzt nicht ständig an, weil sie derzeit einen Bikini brauchen. Das Urlaubsgeschäft ist vermutlich dahin.“ Die Schließung sei ein herber Schlag, vor allem für die Verkäuferinnen sei es eine Katastrophe. „Ich bin jetzt dabei, selbst einen Online-Shop aufzubauen“, sagt sie.

Schnelle Lösung: Online-Shops aus dem Boden stampfen oder die Ware selbst ausfahren

Beate Hiller, Inhaberin von Buch im Süden, war, was Online-Handel angeht, schon immer eine Pionierin. Sie hat schon seit 2008 einen Shop im Internet. Im Moment sei das aber „ein Tropfen auf den heißen Stein, aber wir sind da, telefonisch und per Mail.“ Weil sie Versandkosten selbst trägt, hat sie entschieden, Päckchen zur Not ihren Kunden einfach selbst vor die Haustür zu stellen.