Bei der Talkshow von Anne Will zur Corona-Krise malen Medizinexperten und ein Kripobeamter ein düsteres Bild: Gesundheits- und Sicherheitssystem drohten der Kollaps. Die Politiker beruhigen.

Stuttgart - Der politische Streit war relativ schnell abgehakt in dieser ARD-Talkshow am Sonntag, vielleicht auch deshalb, weil der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) – per Videoschaltung dabei – der Moderatorin Anne Will ziemlich in die Parade fuhr und früher die Sendung verlassen musste. Anne Will bezog sich auf den Streit zwischen Söder und NRW-Präsident Armin Laschet wegen des bayerischen Vorpreschens in Sachen Ausgangsbeschränkungen. Da Bayern – abweichend vom bundesweit gefundenen Kompromiss – sogar nur Familien und Einzelpersonen (nicht zwei wie bundesweit) die Geselligkeit im öffentlichen Bereich zugestehen will. „Ist denn Bayern gefährlich als andere Regionen? Wollen Sie der härteste Corona-Bekämpfer sein?“ fragte Anne Will den CSU-Politiker, und der – abgekämpft, müde und sehr ernst wirkend – konterte: Man sei „gar nicht zerstritten“, jeder überlege „den besten Weg“ im Föderalismus und im übrigen habe Bayern als Grenzland eine besondere Gefährdungslage und schon 26 Corona-Tote. Außerdem, so Söder, bei allem „was die ganze Welt jetzt an Maßnahmen beschließt sind wir in Bayern in Deutschland immer voran gegangen, etwa bei den Schulschließungen“. Und als Anne Will dann wegen des Laschet-Söder-Streits nochmals nachhakte, versetzte ihr Söder noch den entscheidenden Dämpfer: „Finden Sie diese Frage angesichts der Lage wirklich angemessen?“

 

Die Lage ist sehr ernst, und die anwesenden Experten waren sich einig, dass ein bundesweit einheitliches Vorgehen wirklich besser gewesen wäre: So beklagte etwa Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes der Deutsche Kriminalbeamten, dass das „Vorpreschen Bayerns und einzelner Kommunen“ bei den Beschränkungen die Unsicherheit auch bei den Sicherheitskräften noch erhöht habe. Aber die föderalistischen Feinheiten waren in dieser Sendung nicht das Hauptthema, das waren eher die Sorgen um einen Kollaps des Gesundheits- und Sicherheitssystems: Zwar begrüßte Melanie Brinkmann, eine Virologin von der TU Braunschweig, die in Berlin beschlossenen Maßnahmen: „Wir werden Erfolge sehen. Es ist wichtig, den Ansturm auf unsere Kliniken zu reduzieren, damit die überhaupt klar kommen.“ Aber damit waren die optimistischen Ausblicke in dieser Sendung schon fast erschöpft. „Das zweiwöchige Kontaktverbot war eine richtige Entscheidung. Aber sie kommt zu spät“, sagte Bernadett Erdmann, Chefin der Notfallaufnahme am Klinikum Wolfsburg. In den Krankenhäuser „mangelt es an Personal in allen Bereichen“, es drohe in wenigen Wochen „ein Kollaps“, da Schutzkleidung fehle, in ihrem Krankenhaus reiche das gerade mal noch „für eine Woche“. „Da steckt Material im Zoll fest und die Hersteller betreiben eine unglaubliche Preispolitik“, so Erdmann.

Die Ärztin betonte übrigens, dass unter den neuen Maßnahmen „das Rausgehen nicht verboten“ sei. „Wer keine Familie hat, der darf auch alleine raus. Bewegung ist für die Gesundheitserhaltung wichtig.“ Gleichwohl befürchtet die Medizinerin Erdmann große Verwerfungen durch die beschlossenen Einschränkungen der sozialen Kontakte: „Die Einsamkeit wird zunehmen, wir rechnen mit höheren Suizidraten und mehr Depressionen. Mit der Isolation werden auch die Fälle häuslicher Gewalt zunehmen.“ Ein düsteres Bild der Lage also. Und der Kriminalbeamte Fiedler stimmte in diesen Tenor ein: Auch die Streifenpolizisten seien nicht ausreichend mit Schutzmasken und Bekleidung versorgt, die „Funktionsfähigkeit“ des Sicherheitsapparates sei schon aus diesem Grund bedroht.

Mit einem großen Rätselraten schloss die Sendung, und es gab nochmals Anlass für ein paar optimistische Töne von Politikern: Wie lange werden die freiheitseinschränkenden Maßnahmen dauern? Die Antworten fielen vage aus, es ist ein Stochern im Nebel. Bis zur Entwicklung eine Impfstoffes gegen das Corona-Virus werde sicher ein Jahr ins Land gehen, so die Virologin Melanie Brinkmann, aber es wäre „unmöglich“ die strikten Maßnahmen so lange aufrecht zu erhalten und man müsse darüber nachdenken, „wie wir sie vorher deeskalieren können“. Britische Experten erwarten, dass Ausgangssperren sogar 18 Monate notwendig sein könnten. Aber auch die Ärztin Erdmann meinte, „dass die Menschen dies so lange nicht tolerieren werden“. Helge Braun, Amtschef im Kanzleramt und Chef-Koordinator für das Corona-Virus, betonte, dass die beschlossenen Maßnahmen erst einmal für 14 Tage gelten und die Schließung von Einrichtungen bis zum 20. April aufgelegt sei. „Wir werden die Wirkungen unserer Maßnahmen überprüfen.“ Und entsprechend der Resultate neu entscheiden. Braun betonte es übrigens als Pluspunkt, dass es gelungen sei, die EU-Grenzen für den Warenverkehr offenzuhalten – „alles andere hätte die Menschen doch sehr irritiert und verängstigt“. Mit den fehlenden Schutzmaterial werde sich das Bundeskabinett im übrigen am Montag befassen. Von Zutrauen geprägt war auch die Ansicht des saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU): Es sei wie die Operation an einem Patienten, man wisse noch nicht von den gesundheitlichen, wirtschaftlichen und psychologischen Folgen, aber es sei auch denkbar, „dass er nachher besser da steht als vorher“. In der Krise stehe man übrigens zusammen, betonte Hans. So werden im Saarland auch französische Patienten versorgt („das gebietet die Humanität“). Im übrigen habe er gerade mit seinen Vorgängern telefoniert: der Parteifreundin Annegret Kramp-Karrenbauer aber auch dem Linken-Politiker Oskar Lafontaine. Parteipolitik scheint nun hintenan zustehen. Tobias Hans sagte: „Diese Krise wird uns noch lange beschäftigen.“