Eigentlich sollte Joe Biden längst auf der Siegerstraße sein und de facto als Herausforderer von Donald Trump feststehen. Doch der Coronavirus bringt den Plan der Vorwahlen vollkommen durcheinander.

Washington - Neulich setzte sich Joe Biden in den Keller seines Hauses in Wilmington, der größten Stadt des Ostküstenstaats Delaware, um online ein Bürgerforum zu veranstalten. Die Kulisse bestand aus einem Bücherregal, einer Tischlampe und einem eher bescheidenen Sternenbanner neben den Büchern. Wie die meisten Amerikaner arbeitet der ehemalige Vizepräsident derzeit im Homeoffice.

 

Doch er kann es sich nicht leisten, von der medialen Bildfläche zu verschwinden, während Donald Trump, den er im November herausfordern will, täglich im Rampenlicht steht. Also beraumte er vor wenigen Tagen sein erstes Town-Hall-Meeting im Internet an. Der Titel war wohl als Aufmunterung gedacht. „Happy Hour mit Joe Biden – ein virtueller runder Tisch“.

Unter normalen Umständen wäre der 77-Jährige im April fast am Ziel. Er wäre zwar noch nicht offiziell, wohl aber de facto der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei. Mit jeder Vorwahl, von Ausnahmen abgesehen, würde er seinen Vorsprung gegenüber Bernie Sanders wahrscheinlich ausbauen, bis sich der Kontrahent endgültig geschlagen geben müsste. Die Corona-Epidemie hat alles durcheinandergebracht, auch den Wahlkalender. Ein Bundesstaat nach dem anderen verschiebt die Primaries, die darüber entscheiden, ob Biden oder Sanders im Herbst gegen Trump antritt.

Nur Wisconsin will am 7. April abstimmen lassen

New York, wo Ende April gewählt werden sollte, peilt nun den 23. Juni an. Georgia, das in der dritten Märzwoche an der Reihe gewesen wäre, nennt den 19. Mai als neuen Termin. Wisconsin, ein Staat, in dem die Demokraten diesmal unbedingt gewinnen wollen, nachdem Hillary Clinton dort vor vier Jahren überraschend gegen Trump verloren hatte, versucht es mit einem Kraftakt. Bislang will man festhalten am Wahltag, dem 7. April. Allerdings soll das Votum per Brief erfolgen, was bedeutet, Stimmzettel für 3,3 Millionen eingetragene Wähler zu drucken und rechtzeitig zu verschicken.

Ob dies gelingt, ist offen. Ohnehin wissen alle Beteiligten: Was immer an neuen Fahrplänen ins Auge gefasst wird, muss womöglich noch einmal korrigiert werden. Erste Fragezeichen stehen auch schon hinter dem Nominierungsparteitag, traditionell die Gelegenheit für den Spitzenmann, der Nation zur besten Sendezeit sein Programm zu erklären, bevor der obligatorische Konfettiregen auf ihn niedergeht.

Bernie Sanders gewinnt Zeit

Jay Jacobs, Parteichef in New York, drängt schon jetzt darauf, den Kongress in Milwaukee vom Juli auf den August zu verschieben. Selbst wenn der Höhepunkt der Epidemie im späten Frühjahr überschritten sein sollte, „wir alle werden dann absolut erschöpft sein“.

Für Sanders bedeutet die Pause, dass er sich Zeit lassen kann, bevor er eventuell das Handtuch wirft. Trotz des faktischen Ausnahmezustands möchte er noch im April ein weiteres Mal im Fernsehen mit Biden debattieren. Durch die Krise sieht sich der linke Senator aus Vermont in seinen Vorschlägen bestätigt, ein Gesundheitssystem, das im Kern auf privaten Krankenversicherungen beruht und das 28 Millionen Amerikaner überhaupt nicht versichert, durch eine durchweg staatlich organisierte, steuerfinanzierte Alternative zu ersetzen. Sanders hofft auf einen großen TV-Auftritt, um mit aller Dringlichkeit für sein Modell zu werben. Sein Rivale dagegen hält nichts von einem nochmaligen Duell der Argumente. „Ich denke, wir haben genug debattiert“, sagt Biden.

Allerdings machen die Bilder aus dem Keller in Wilmington auch klar, wie sehr die Pandemie den voraussichtlichen Herausforderer gegenüber dem Amtsinhaber ins Hintertreffen geraten lässt, zumindest für den Moment. Während Biden im schlecht beleuchteten Homeoffice improvisiert, stellt sich Trump Tag für Tag in den Rosengarten des Weißen Hauses, um die Lage zu erläutern.

Donald Trump profiliert sich als Krisenmanager

Dass er die Krise wochenlang kleinredete, dass seine Regierung wertvolle Zeit verspielte, müsste eigentlich dem politischen Gegner in die Hände spielen. Das aber ist nicht der Fall, in Wahrheit steigen die Zustimmungswerte für Trump, der aktuell nun mal der Krisenmanager ist, dem man trotz aller vorangegangenen Versäumnisse Erfolg wünscht.

Nach einer Umfrage von Washington Post und ABC News würde Biden den Zweikampf gegen den Präsidenten heute nur knapp gewinnen (mit 49 zu 47 Prozent), nachdem ihm die Demoskopen noch vor Wochen einen klaren Sieg prophezeit hatten. Während 51 Prozent der Amerikaner ihn für geeigneter halten, das Gesundheitssystem in der Krise effizient zu organisieren, billigen 52 Prozent Trump die höhere Wirtschaftskompetenz zu.