Ausschließen wollte Kretschmann eine Impfpflicht nie. Er hoffte, die Pandemie anders in den Griff zu bekommen. Doch jetzt sieht auch der Grüne keine andere Lösung mehr.

Stuttgart - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen, um die sich wieder zuspitzende Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Dienstag) schrieb der Grünen-Politiker gemeinsam mit Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU): „Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen.“

 

Der CSU-Chef hatte sich wie auch andere Unions-Ministerpräsidenten schon vorher für eine Impfpflicht ausgesprochen, Kretschmann hatte sie bisher zumindest nicht ausgeschlossen. In dem Gastbeitrag schreiben die beiden, zunächst habe man darauf gesetzt, dass sich genügend Menschen in Deutschland impfen lassen. Doch diese Hoffnung sei leider enttäuscht worden. „Inzwischen wissen wir: Trotz eines umfassenden Impfangebots und umfangreicher Werbung sind bis heute weniger als 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland vollständig geimpft. Angesichts der hochansteckenden Delta-Variante sind das zu wenige, um die Pandemie in den Griff zu bekommen.“

„Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte“

Stattdessen stünden wieder massive Einschränkungen des öffentlichen Lebens an bis hin zu einem erneuten Lockdown. Gründe dafür seien „Trägheit, Sorglosigkeit, Fehleinschätzungen, Verschwörungsmythen und fehlendes Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse“. Kretschmann und Söder schreiben in der „FAZ“: „Jeder kann bei uns denken, was er will. Und jeder kann so eigensinnig sein, wie er will. Doch auch hier gibt es eine Grenze, wenn die eigene Weltanschauung anderen Menschen schweren Schaden zufügt. Genau das ist in der Frage der Impfverweigerung der Fall.“

Der Grüne und der CSU-Mann erklären weiter: „Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen. Denn unser Grundgesetz schützt nicht eine Freiheit der Willkür. Es folgt vielmehr dem Prinzip der Freiheit in Verantwortung.“

Eine Frage zum Schluss

Ein Verzicht auf eine allgemeine Impfpflicht werde dazu führen, dass „wir einen immer höheren Preis dafür zahlen, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung sich die Freiheit nimmt, das Impfangebot abzulehnen“. Kinder und Jugendliche litten unter den Einschränkungen viel mehr als Erwachsene. Die Polarisierung fresse sich immer weiter in die Gesellschaft hinein. „Menschen verlieren ihre wirtschaftliche Existenz, Unternehmerinnen, Kulturschaffende und Freiberufler leiden an den Einschränkungen – gestützt von Milliardenhilfen, die tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte reißen. All dies wiegt schwerer als die Zumutung einer Impfpflicht (...)“.

Kretschmann und Söder stellen zum Schluss die Frage, ob eine Impfpflicht die Gesellschaft spalten werde? „Nein, die Gesellschaft droht nicht daran zu zerbrechen, wenn der Staat die Dinge in die Hand nimmt und eine Impfpflicht einführt. Aber sie droht dann zu zerbrechen, wenn er die Dinge treiben ließe.“