Wie müsste eine Arbeitswelt sein, in der Beschäftigte nach ihren Wünschen leben und arbeiten? Das Fraunhofer IAO in Stuttgart und Unternehmen aus der Region haben Werkzeuge für den Weg in die Zukunft entwickelt.

Vaihingen - Homeoffice verändert den beruflichen Alltag. Wenigstens wird vielfach der Eindruck erweckt, die Zukunft der Arbeit sei mit der Verlagerung von Tätigkeiten an den heimischen Schreibtisch und die Etablierung von Videokonferenzen bereits im großen Maßstab angebrochen. Damit Realität wird, was Vivien Iffländer vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) als „Unternehmenskultur 4.0“ bezeichnet, muss jedoch mehr passieren.

 

Es gelte, Strukturen anzupassen und eine Diversifizierung der Arbeitskultur umzusetzen, die den Bedürfnissen des jeweiligen Arbeitnehmers gerecht werde, ist sie sich sicher. Dabei spielten auch Werte wie Vertrauen eine wichtige Rolle.

Corporal Culture Map als Tool für Unternehmen

Im Zuge des im August 2019 angelaufenen Projekts Corporate Culture Lab, das zum Jahresende seinen Abschluss findet, hat sich das Fraunhofer-Institut dem Thema angenähert. Ab Mai 2020 wurden gemeinsam mit sieben Firmen aus der Region Theorie und Praxis verschränkt. Ein Ergebnis: die Corporal Culture Map – ein Tool, das Unternehmen dabei helfen soll, vorhandene Ressourcen zu analysieren, Herausforderungen zu identifizieren und Strategien zu entwickeln.

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„Die Map ist eine Denkhilfe, die Schritt für Schritt durch einen strategischen Prozess leitet, an dessen Ende man einen konkreten Maßnahmenplan entwickeln kann“, fasst Iffländer zusammen. Die Orientierungshilfe ist digital verfügbar, aber auch analog: visualisiert als Bergbesteigung. Die vorhandene Ausstattung ist das Gepäck im Rucksack. Mögliche Hindernisse auf dem Weg sind als Gletscherspalte oder Knöchelbruch gekennzeichnet. „Diese Anschaulichkeit macht alles sehr greifbar“, findet Ulrike Böhm, die beim Pneumatik- & Drucklufttechnik-Experten und Lab-Teilnehmer Mader aus Leinfelden-Echterdingen für Change Management und Public Relations zuständig ist. Wenn jemand noch wenig Erfahrung mit der Thematik habe, sei die Verbildlichung eine große Hilfe, sagt sie.

Auch weniger technikaffine Menschen ansprechen

Eigentlich sollte im Labor für Unternehmenskultur eine Menge an direktem Austausch und anschaulicher Entwicklung stattfinden. Dann funkte die Pandemie dazwischen. Das Projekt wurde digitaler als zunächst vorgesehen. Gerade deshalb legte man bei Fraunhofer Wert darauf, Methoden einzuflechten, die haptischer sind. Vivien Iffländer erklärt, man habe mittels kreativer Momente im digitalen Austausch jene Menschen ansprechen wollen, die weniger technikaffin seien.

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So schlossen die Szenarien zur möglichen Arbeitswelt im Baden-Württemberg des Jahres 2035 einen Karton voller Utensilien ein, mit denen sich im Team Papier-Arbeitnehmer exemplarisch ausstatten und kommunikationsfähig machen lassen. „Ein ganz zentraler Punkt ist, dass unser Projekt von der Frage ausgeht, wie eine Arbeitswelt aussehen muss, in der Beschäftigte so leben und arbeiten können, wie es ihnen vorschwebt“, betont die IAO-Fachfrau. Zu oft werde Veränderung umgekehrt gedacht und vom Arbeitenden Anpassung verlangt. So werde man Problemen wie dem Fachkräftemangel aber nicht Herr werden.

Immer mehr fragen nach dem Sinn der eigenen Arbeit

„Der Wunsch nach Selbstbestimmtheit und die Frage nach der Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit haben stark an Bedeutung gewonnen“, stellt Julia Sulzberger, Personalleiterin bei Mader, fest. Neue Formen des Führungsstils, mehr Transparenz und den Mut, Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, sieht sie als wichtige Faktoren für die Zukunft an. Vom Corporate Culture Lab hat sie bereits direkt profitiert: Die Einblicke in die Organisation von Prozessen seien hilfreich gewesen, gibt sie zu verstehen.

Die Wirtschafts- und Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut beurteilt das vom Land geförderte Projekt ebenfalls positiv und betont, in einer ko-kreativen Zusammenarbeit habe man mittels wissenschaftlich fundierter Zukunftsszenarien eine widerstandsfähige, chancengleiche und digitale Unternehmenskultur 4.0 entwickelt. „Diese Kultur erwächst aus der Unternehmens-DNA“, so Iffländer. „Es geht nicht darum zu sagen: Macht dies oder jenes. Mit der Corporate Culture Map geben wir Anhaltspunkte, wie sich Dinge vom individuellen Standpunkt aus entwickeln lassen.“ Auch das Tool selbst könne sich in den kommenden Jahren noch verändern. „Was genau 2035 sein wird, ist noch nicht ausgemacht.“