Fast eine Million Leiharbeitnehmer sind bereits in der Wirtschaft tätig. Dennoch sieht der Verband der Personaldienstleister keinen großen Aufschwung. Die Skepsis hat mit statistischen Neuerungen und den Regulierungsversuchen der Koalition zu tun.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Eine „Blutgrätsche aus Bayern“ hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die Blockade ihres Gesetzentwurfs zur Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen genannt. Seit November liege ihr Entwurf im Kanzleramt und werde von der CSU ohne sachlich valide Begründung angehalten. Sie habe die „klare Erwartung“, dass nach Ostern das Kabinett damit befasst werde, sagt Nahles.

 

Die Verständigungsversuche der vergangenen Tage zwischen CSU, Kanzleramt und Arbeitsministerium blieben offenbar erfolglos. Es gebe keine Fortschritte, sagt eine IG-Metall-Sprecherin. „Wir sind noch da, wo wir vor den Landtagswahlen standen.“ Ähnliches ist von der Arbeitgeberseite zu hören. Die Gewerkschaften hatten infolge des Unionsvetos Gift und Galle gespuckt, weil sie den Entwurf ohnehin nur als Minimalkonsens betrachten, dem ein langes Ringen zwischen der Bundesarbeitgebervereinigung (BDA) und Gewerkschaftsbund (DGB) vorausgegangen war.

IG Metall droht mit Protesten

Zum Ärger der IG Metall trug auch Südwestmetall-Chef Stefan Wolf bei, der dem Veto der CSU Beifall gezollt und seinerseits Änderungen verlangt hatte, weil der aktualisierte Gesetzentwurf noch immer weit über den Koalitionsvertrag hinausgehe. Anders als bei den Werkverträgen, wo die „Giftzähne gezogen“ seien, sieht der Verband bei der Zeitarbeit weiteren Veränderungsbedarf. Als Beispiel wird das Arbeitsverbot für Leiharbeiter bei Streiks genannt, was eine weitere Verschiebung der Arbeitskampfparität zu Gunsten der Gewerkschaft gerade in kleineren Betrieben bedeute.

IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger reagierte entrüstet auf den Vorstoß, verabredete mit Wolf in einem längeren Telefonat aber mehr Zurückhaltung in dieser Sache, um die Lohntarifrunde nicht auch noch zu belasten. Ihre Warnung an die Union hält die IG Metall aber aufrecht: „Wenn die sich nicht schnell berappelt, wird es mit Sicherheit konfliktär werden“, droht Zitzelsberger Protestaktionen an.

Der Widerstand der CSU hat auch mit der Lobbyarbeit des Arbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP) zu tun. Die Nummer eins der Zeitarbeitsbranche, gemessen an der Beschäftigtenzahl, hält den Gesetzentwurf gleich für „überflüssig“. Da seien „viel zu starre Regelungen“ für Arbeitgeber und Arbeitnehmer enthalten, sagte der Hauptgeschäftsführer Thomas Hetz der StZ. Er hofft auf mehr Öffnungen für verbandsgebundene Unternehmen spätestens im parlamentarischen Verfahren.

Neue Statistik – mehr Zeitarbeitnehmer

Der Zank über das Gesetz belastet die Branche in einer Phase, in der sie die Schallmauer von einer Million Beschäftigten durchbrechen könnte. Nach den letzten offiziellen Zahlen für Juni 2015 registriert die Bundesagentur für Arbeit (BA) einen Anstieg auf 961 000 Leiharbeitnehmer. Der deutliche Zuwachs lässt sich aber vor allem mit einem neuen Erhebungsverfahren begründen. Früher hat die BA die Zahlen direkt von den Zeitarbeitsfirmen erhalten, jetzt werden sie aus dem Meldeverfahren zur Sozialversicherung gewonnen und sind damit genauer als vorher. Die Umstellung der BA-Statistik zum 1. Januar 2016 erfolgte rückwirkend für drei Jahre.

BAP-Hauptgeschäftsführer Hetz kann jedoch keinen Aufschwung der Branche erkennen. Wegen des gewachsenen Gesamtarbeitsmarktes sei der Anteil der Zeitarbeitnehmer an allen Erwerbstätigen gleichgeblieben – die Quote liege seit Jahren bei 2,1 Prozent. Und wenn man nur die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung betrachte, betrage der Anteil der Zeitarbeit seit Langem an die 2,8 Prozent.

Kaum Perspektiven für Flüchtlinge

Hetz glaubt nicht, dass die Millionengrenze nachhaltig überschritten wird. Eher schon erwartet er, dass die Zahl wieder nach unten geht. Die deutsche Wirtschaft benötige die aktuelle Größenordnung an Leiharbeitnehmern, um flexibel zu bleiben – damit sei aber auch ein Sättigungsgrad am Arbeitsmarkt erreicht. Zumal sich die Schwerpunkte verschieben: Weil die einfachen Tätigkeiten nach und nach aus der Industrie verschwinden, habe die Zeitarbeit in dem Bereich keine große Zukunftsperspektive. Stattdessen verlagere sie sich weiter auf die Facharbeiter und Ingenieure.

Asylbewerber könnten die Branche beleben, wenn das Gesetz dies zuließe. Doch dürfen Migranten erst nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland in der Branche tätig werden. Hetz hält dies „für unlogisch“. Damit „wird Integration eher behindert als gefördert“, sagt er. „In diesen komplizierten Zeiten werden der Zeitarbeit noch Knüppel zwischen die Beine geworfen.“

Positiv vermerkt er, dass sich speziell die Automobilfirmen von den Werkverträgen abwenden und wieder in Richtung Zeitarbeit orientieren. Ein Umkehrschwung: die Branchenzuschlags-Tarifverträge hatten die Entleiher zunächst fürchten lassen, dass Zeitarbeit für sie zu teuer wird. Doch hat man sich damit arrangiert. Heute wollen die Personalverantwortlichen vor allem auf der rechtlich sicheren Seite agieren. Zudem sollen die umstrittenen Werkverträge ja auch immer weiter reguliert werden.