Beschimpfungen, Beleidigungen, weiterversendete vertrauliche Bilder – ruck zuck sind Dinge öffentlich, die es nicht sein sollten. Das wächst sich immer öfter zum Mobbing aus, gerade an Schulen.

Stuttgart - Die Mädchengruppe, die in der Pause immer zusammengluckt, ist in Aufruhr. Böse Blicke werden gewechselt, deutliche Handzeichen gegeben. Ohne das Eingreifen der Schulsozialarbeiterin hätten sich die sechs Schülerinnen heillos zerstritten. Das Problem, stellte sich heraus, war ein unhöfliches Hin und Her im Gruppenchat, das über die Verunglimpfung hinaus ging und sich zum Mobbing auswuchs. „Das ist der Klassiker“, sagt Wolfgang Riesch, Leiter der Schulsozialarbeit bei der Evangelischen Gesellschaft (Eva).

 

95 Prozent der Fünftklässler haben ein Handy

Schulsozialarbeit ist in Stuttgart auf sechs Schultern verteilt: Eva, Caritas, Stuttgarter Jugendhausgesellschaft, Evangelische Jugend, Arbeiterwohlfahrt und Stadtjugendring. Ihre Sozialarbeiter sind an 120 öffentlichen Schulen im Einsatz, der Ausbau ist beschlossen. Er scheint notwendig, denn nicht nur die Probleme mit Kindern aus sozial schwachen oder nicht deutsch sprechenden Familien, mit Eltern anderer Kulturkreise oder mit Kindern, auf die Mütter und Väter zu wenig achten, nehmen zu. Riesch: „Ich habe aus mehr als 30 Schulen die Rückmeldung, dass Mobbing eine große Rolle spielt, bei Mädchen mehr als bei Jungen.“

Zum Dauerthema werden Verunglimpfungen, Beleidigungen und Mobbing insbesondere durch die schnelle, unpersönliche und – in der Kürze – gern auch missverständliche Text-, Ton- und Bildübermittlung durch Messengerdienste. „Heutzutage ist bereits in der vierten Klasse das Smartphone weit verbreitet, in der fünften Klasse haben unserer Beobachtung nach 95 Prozent der Schüler ein Handy“, schätzt Riesch. Das Vehikel erster Wahl für das gruppen- und klassenweise Geschnatter sei seit langem Whatsapp.

Fehlendes Problembewusstsein

Wie am Montag in unserer Zeitung berichtet, ist Lehrern aus Datenschutzgründen die Kommunikation mit Schülern untersagt, auf die private Nutzung der App hat allerdings keiner Einfluss – auch wenn es nötig erscheint: „Die Weiterleitung von Nacktfotos bei Jugendlichen ist weit verbreitet, viele haben kein Problembewusstsein“, stellt Riesch fest. Auch fehle vielen der Weitblick, wo ihre Bilder landen könnten – „und dass das Netz nichts vergisst“.

An vielen Schulen, unter anderem am Zeppelin-Gymnasium in Stuttgart, veranstalten die Schulsozialarbeiter daher gleich in Klasse 5 so genannte Anti-Mobbing-Tage, ein Präventionsprogramm im Rahmen des Sozialcurriculums. „Dabei geht es darum, den Schülern das neue soziale Gefüge zu zeigen. In den Klassen 7 und 8 ist das Thema dann eher Cybermobbing, wozu wir die Polizei im Haus haben“, sagt Holger zur Hausen, der Rektor des Zeppelin-Gymnasiums. Bestandteil der Präventionsangebote ist aus gegebenem Anlass auch die „Nettikette“, der freundliche, unmissverständliche Umgang miteinander in den sozialen Netzwerken.

Die Frage ist, wie zeitgemäß Handyverbote noch sind

Info-Veranstaltungen gibt es auch für die Eltern der Zeppelin-Gymnasiasten, „auch wenn wir noch ein gutes Stück Arbeit vor uns haben, Eltern klar zu machen, was ihre Kinder so tun und wie die von ihnen genutzten Dienste laufen.“ Die Bereitschaft, sich damit kritisch auseinanderzusetzen, scheint nicht hoch: Im vorigen Jahr hatten die Sozialarbeiter aller fünf Weilimdorfer Schulen Eltern zu einer Info-Veranstaltung eingeladen. „Der Versuch ist grandios gescheitert“, sagt Riesch von der Eva.

„Whatsapp“, sagt zur Hausen, „ist ein Einstiegstor für Verunglimpfungen bis hin zum Mobbing. Wir hatten bisher aber keinen Anlass, dies zu einem übergreifenden Thema zu machen.“ Laut dem Geschäftsführenden Schulleiter der Stuttgarter Gymnasien gibt es weiterhin auch kein allgemeines Handyverbot an Schulen, selbst wenn das ein paar Probleme lösen würde. „Der Umgang mit Handys ist in der Schulordnung geregelt, worüber die Schulkonferenz entscheiden muss. Wir zumindest verbieten die Nutzung auf dem Gelände, und das schon seit vier Jahren. Aber die Frage wird kommen, wie zeitgemäß das ist, in Zeiten der Tablet-Klassen und jetzt, da wir dort Schulbücher aufspielen.“

Wo gibt es Hilfe gegen Cybermobbing?

Schulen: Erste schulinterne Adresse für Kinder und Jugendliche sind Beratungslehrer. Darüber hinaus sind in Stuttgart an 105 öffentlichen allgemeinbildenden und an 15 beruflichen Schulen Schulsozialarbeiter im Einsatz. Ausbaubedarf sieht die Stadt an Schulen mit vielen Kindern und Jugendlichen in Vorbereitungs- und Berufsvorbereitungsklassen sowie in Gebieten mit einem hohen Anteil an Bonuscard-Kindern.

Landesbehörden: Das Landesmedienzentrum Baden-Württemberg hat eine medienpädagogische Beratungsstelle eingerichtet, die unter beratungsstelle@lmz-bw.de erreichbar ist. Schulen, Eltern und Schulklassen finden zudem im Stadtmedienzentrum Ansprechpartner.

Psychologen : Die Schulpsychologische Beratungsstellen in Baden-Württemberg haben unter www.schulpsychologie-bw.de ein Adressverzeichnis eingerichtet, wo Lehrer und Schulen Ansprechpartner in ihrer Region zu finden sind.

Kinderschützer: Der Deutsche Kinderschutzbund hat die Nummer gegen Kummer 0800 111 0 333 (für Kinder) und 0800 111 050 (für Eltern) eingerichtet.

Für Jugendliche: Anonyme kostenlose Beratung und Online-Tipps von Jugendlichen für Jugendliche gibt es unter www.juuuport.de. Der gemeinnützige Verein setzt als Ansprechpartnerinnen und -partner Jugendliche ein, die von Experten aus den Bereichen Recht, Internet und Psychologie ausgebildet worden sind. (czi)