Eine Leserin meldet sich, sie hat kürzlich ein Kind geboren. Dabei ist ihr „Cytotec“ zur Geburtseinleitung verabreicht worden. Im Internet findet sie Berichte, die schwere Nebenwirkungen des Medikaments beschreiben. Ein Stuttgarter Arzt klärt auf.

Stuttgart - Vor wenigen Wochen schrieb eine Leserin der Redaktion. Sie habe kürzlich ein Kind bekommen, die Geburt im Krankenhaus sei für sie und das Kind heftig gewesen. Zur Einleitung der Wehen wurde „Cytotec“ verabreicht, schreibt die Mutter. Über das Mittel liest sie später im Internet Berichte, die verunsichern, Angst machen. Sie stellt in ihrem Schreiben die Frage: Wie gefährlich ist das Medikament wirklich?

 

Der Ausgangspunkt der Aufregung über Cytotec liegt im März dieses Jahres: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) veröffentlichte einen Brief, der unter anderem Verdachtsfälle im Zusammenhang mit Cytotec wiedergab. Dort hieß es, dass der Gebrauch zu Gebärmutterrissen, Wehenstürmen und gestörtem Herzrhythmus des Fötus führen könnte.

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Die Bedenken in dem Brief seien weiterhin aktuell, teilt das BfArM auf Anfrage mit, jedoch: „Es muss beachtet werden, dass es sich um Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen handelt, dass also ein Kausalzusammenhang im Einzelfall nicht sicher belegt ist.“ Damals griffen der Bayrische Rundfunk und die „Süddeutsche Zeitung“ das Thema auf, wiesen auf Todesfällen in Deutschland und Frankreich hin.

Dosierung wird in der Apotheke angepasst

Die Berichterstattung befeuerte die Unsicherheit. Anrufe und Briefe landeten im März bei Manfred Hofmann, Chefarzt am Stuttgarter Marienhospital und Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe. Denn: Cytotec wird auch bei Geburten im Marienhospital genutzt.

Hofmann beantwortete die Fragen, möchte aufklären – und für die Stuttgarter Klinik klarstellen: „Es wird nicht Cytotec verabreicht, sondern die deutlich reduzierte Wirkstoffmenge des Medikaments von 25 Mikrogramm Misoprostol in der eigenen Apothekenzubereitung.“ Der Wirkstoff Misoprostol hat bei der Geburt folgenden Effekt: Der Gebärmutterhals wird erweicht, geöffnet und führt zu Wehen an der glatten Uterusmuskulatur, erklärt der Mediziner und schildert die weiteren Nutzen des Mittels.

Es sei genauso wirksam wie jedes andere Medikament zur Geburtseinleitung, dazu günstiger. Außerdem habe es den Vorteil, dass es oral von der werdenden Mutter eingenommen werden könne und nachweislich zu weniger Kaiserschnitten führe. Die Cytotec-Alternativen müssten vaginal eingeführt werden, das erhöhe das Risiko einer Infektion beim Kind.

Institut kritisiert den „Off-Label-Use“

Der Haken an dem Medikament: Cytotec ist in Deutschland gar nicht zur Geburtseinleitung zugelassen, sondern zum Schutz der Magenschleimhaut. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kritisiert eben jenen sogenannten „Off-Label-Use“. Es sei nicht verboten, zugelassene Arzneimittel anderweitig zu nutzen, dies unterliege der ärztlichen Therapiefreiheit. Doch Anja Kremzow, Pressesprecherin des Instituts, sagt: „Das BfArM bevorzugt jedoch eindeutig den Einsatz von zugelassenen Arzneimitteln gemäß ihrer jeweiligen Zulassungsbedingungen.“

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Manfred Hofmann vom Stuttgarter Marienhospital hält das Beharren des BfArM in diesem Fall für unpassend, denn der Wirkstoff Misoprostol ist in einer Dosierung von 25 Mikrogramm sowohl in Frankreich als auch in skandinavischen Ländern für die Geburtseinleitung unter dem Namen „Angusta“ als Medikament zugelassen – wie erwähnt, die hauseigene Apotheke der Stuttgarter Klinik stellt für die Patientinnen genau die gleiche Wirkstoff-Dosierung aus Cytotec her.

Unterstützt wird die Einschätzung des Chefarztes von Fachkollegen. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe veröffentlichte mit vier weiteren Institutionen eine Stellungnahme, um mit dem Mythos des „umstrittenen Medikaments“ in der Berichterstattung aufzuklären.

Alternative zu Cytotec bei Stuttgarter Klinik

Für Mediziner Hofmann ist für die Zukunft klar, dass seitens der Ärzte und der Medien vermehrt aufgeklärt werden müsse. „Das Medikament wird von der Weltgesundheitsorganisation als eines der wichtigsten 100 Medikamente zur Geburtshilfe angeführt. Alle großen Kliniken in Deutschland nutzen es.“

Doch der Arzt weiß, wie sensibel und vertrauensvoll in seiner Fachdisziplin gearbeitet werden muss. Er stellt für das Stuttgarter Klinikum klar: „Selbstverständlich können auch Alternativen gewählt werden, wenn Misoprotsol nicht gewünscht wird.“ Der Cytotec-Wirkstoff werde auch in keinem Fall verabreicht, falls eine Uterusoperation – beispielsweise ein Kaiserschnitt – in der Vergangenheit stattgefunden habe.“ In solchen Fällen vermeiden die meisten Geburtskliniken den Off-Label-Gebrauch.“