In Kopenhagen beginnt der Prozess gegen den Erfinder Peter Madsen. Er soll die Journalistin Kim Wall bestialisch umgebracht haben. Noch immer sind viele Fragen ungeklärt.

Kopenhagen - Es ist eine unwirkliche Szene: Da liegt im Kopenhagener Nordhafen ein großes U-Boot an Land. Verlassen, ein wenig angerostet, eingezäunt und mit rot-weißem Plastikband markiert. Ein Plastikband, wie es die Polizei benutzt, um einen Tatort zu abzusichern. Das U-Boot, die „Nautilus UC3“, ist ein Tatort. Nicht irgendeiner, sondern der Tatort eines der aufsehenerregendsten Verbrechen, die das kleine Königreich Dänemark je erlebt hat. Es geht um den Tod der jungen schwedischen Journalistin Kim Wall.

 

Die Nautilus, glauben Polizei und Staatsanwaltschaft, ist der Ort, an dem Wall starb. Noch vor wenigen Monaten zog das U-Boot bewundernde Blicke auf sich, weil es von dem dänischen Raketen- und U-Boot-Tüftler Peter Madsen selbst gebaut wurde. Nun liegt die Nautilus auf einem Industriegelände im Hafen und ist zu einem makabren Ausflugsziel geworden.

Mord? Folter? Missbrauch?

Was an Bord des 18 Meter langen und 40 Tonnen schweren U-Boots am 10. August vergangenen Jahres geschah, will das Amtsgericht Kopenhagen jetzt herausfinden. Die Anklage lautet auf Mord, Folter und Missbrauch. Madsen habe die Journalistin „nach vorausgehender Planung und Vorbereitung“ getötet. Der genaue Tathergang sei noch unklar, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft mit. Entweder sei Wall erdrosselt oder ihr sei die Kehle durchschnitten worden. Außerdem wird Madsen vorgeworfen, die Leiche der Journalistin zerstückelt und sexuell missbraucht zu haben. Die Staatsanwaltschaft will Madsen lebenslänglich hinter Gitter bringen, das U-Boot soll zerstört werden.

Es geht in diesem Prozess um viele Fragen: Was hat sich an Bord der Nautilus abgespielt? War es ein Unfall, wie der 47-jährige Tüftler behauptet? Oder ein kaltblütiger Mord, wie die Staatsanwaltschaft glaubt. Es spricht vieles, wenn nicht alles dafür, dass der eigenbrödlerische U-Boot-Bauer Madsen die schwedische Journalistin Kim Wall bestialisch ermordet hat. Doch warum? Was hat den Mann zu der abscheulichen Tat gebracht?

Es war ein schöner Sommertag in der dänischen Hauptstadt an diesem 10. August 2017. Kim Wall und ihr dänischer Freund Ole Stobbe hatten für den Abend Freunde zu sich eingeladen. Es sollte eine Abschiedsparty geben, denn das junge Paar war auf dem Weg nach China. Dort wollten sie für einige Zeit leben und arbeiten. Wall als Journalistin, Stobbe als Designer. Die Gäste kamen, und laut Erzählungen war es ein fröhlicher Abend. Gegen 19 Uhr erhielt Kim Wall eine SMS von Peter Madsen. Sie könne auf sein U-Boot kommen. Noch an diesem Abend.

Ein nächtlicher Besuch auf dem Boot endet tödlich

Es war eine Nachricht, auf die die junge Journalistin, die bereits für mehrere internationale Magazine und Zeitungen tätig war, Wochen gewartet hatte. Kim Wall wollte eine Reportage über den Mann schreiben, der mit seinen U-Bootkonstruktionen und seiner Entwicklung einer kostengünstigen Rakete weltweit Aufsehen erregt hatte. Nach kurzer Diskussion mit ihrem Freund verließ sie die Party und fuhr zu Madsens U-Boot. Die Nautilus lag bei Refshaleøen, einer Halbinsel, nicht weit entfernt von ihrer Wohnung. In ein paar Stunden sei sie zurück, verabschiedete sie sich von ihrem Freund und den Gästen. Als sie um 2.30 Uhr morgens noch immer nicht zuhause, ihr Telefon offenbar ausgeschaltet war, meldete sie ihr Freund bei der Polizei als vermisst an. Eine große Suchaktion wurde gestartet.

Man fand die Nautilus am nächsten Vormittag. Madsen hatte sich gemeldet und um Hilfe gerufen, da es angeblich einen technischen Defekt gegeben habe. Er wurde aus dem Wasser gefischt, die Nautilus sank. Die Bilder gingen um die Welt, als Peter Madsen in seinem grünen Arbeitsanzug an Land stieg und den herbeigeeilten Fotografen zuwinkte. Er hob seinen Daumen: „Alles in Ordnung“.

Doch nichts war in Ordnung. Von Kim Wall fehlte jede Spur. Schon früh zweifelte die dänische Polizei an der Aussage von Madsen, er habe Kim Wall noch am Abend wieder an Land abgesetzt. Der 47-jährige wurde festgenommen. Der Verdacht gegen den Erfinder erhärtete sich als er vor Gericht seine ursprüngliche Aussage änderte und nun von einem tödlichen Unfall an Bord der Nautilus sprach. Zunächst behauptete er, Wall sei eine schwere Luke auf den Kopf gefallen.

Madsen gibt die Zerstückelung der Leiche zu

Als die Polizei Tage und Wochen später in der Køge-Bucht den Torso, den Kopf, später die Beine und zuletzt einen Arm findet, fällt diese Behauptung in sich zusammen: Am Kopf des Opfers gibt es keine Verletzungen. Madsen ändert seine Version noch einmal, spricht nun davon, dass die Journalistin vermutlich nach einem Gasaustritt erstickt sei. Er selbst sei zu dem Zeitpunkt an Deck der Nautilus gewesen und habe Wall erst später tot aufgefunden.

Der exzentrische Madsen hat mittlerweile die Zerstückelung und Versenkung der Leiche zugegeben. Er habe unter Schock gestanden, in Panik gehandelt. Den Mord an Kim Wall bestreitet er aber weiterhin. Die Polizei geht mittlerweile davon aus, dass Madsen das U-Boot absichtlich versenkt hat – vermutlich, um Spuren zu verwischen. Doch warum der von Freunden als genialer Ingenieur bezeichnete Tüftler offenbar Kopf, Beine und Arme von der Leiche trennte, sie mit Gewichten beschwerte und in der Køge-Bucht versenkte, all das bleibt unklar. Vor allem beschäftigt das Gericht die Frage, was passiert sein muss, um einen angesehenen Ingenieur zum Mörder zu machen.

Freunde von Madsen zeigen sich schockiert. Der Verein Copenhagen Suborbitals, mit dem er zusammen mehrere Raketen entwickelte, hatte schon vor längerer Zeit die Zusammenarbeit mit ihm aufgekündigt. Er sei zu exzentrisch, manchmal aufbrausend gewesen, sagen die ehemaligen Freunde. Doch Madsen ließ sich auch nach dem Zerwürfnis mit den anderen Raketenbauern nicht bremsen und entwickelte wie ein Besessener in seinem „Raketmadsen’s Rumlaboratorium“ auf der Halbinsel Refshaleøen weiter an seinem Traum: er wollte mit einer Rakete ganz nach oben kommen, nachdem er mit seinen drei U-Booten bereits die Tiefen erkundet hatte.

Ein Einzelgänger oder ein sadistischer Erotomane?

In Dänemark nannte man den eigenwilligen Ingenieur lange Zeit „Raket-Madsen“. Der studierte Marine-Ingenieur entwickelte bereits als Jugendlicher kleine Raketen, mischte sich den Brennstoff aus verschiedenen Chemikalien zusammen. Später wurden die Raketen und die Träume größer: Madsen wollte Menschen billiger ins All befördern als es die gegenwärtigen Raumfahrtprojekte in aller Welt können.

Madsen stammt aus einfachen Verhältnissen, wuchs bei seinem Vater auf. Seine Vorliebe für „verrückte Fahrzeuge“, wie er seine Konstruktionen selbst einmal in einem Interview bezeichnete, hat er vermutlich von seinem Vater übernommen. Der interessierte sich für ungewöhnliche Schiffe, Flugzeuge und andere Fortbewegungsmittel.

Madsen soll nicht viele Freunde haben, sagen Menschen, die ihn näher kennen. Mit den wenigen, die mit ihm zusammengearbeitet hatten, überwarf er sich. Er sei „schnell erregbar und ungeduldig“, schreibt der Autor Thomas Djursing in seinem Buch „Raket-Madsen“, für das er den Erfinder über Monate begleitet hat. Allerdings sei Madsen nie als Gewalttäter aufgefallen, bestätigen Menschen, die ihn gut kennen. Seine Frau sei schockiert über die Ereignisse an Bord der Nautilus und könne sich nicht vorstellen, dass ihr Mann in einen Mord verwickelt sei, berichten Freunde des Paares. Es gibt aber auch andere Aussagen. Er sei ein Erotomane gewesen, habe an sadistischen Sex-Spielen teilgenommen und viele Liebhaberinnen gehabt, erzählen nahe Weggefährten. Eine seiner Freundinnen bezeichnete ihn in der dänischen Presse als „Frauen-Junkie“.

„Ich bin nicht wie normale Menschen, die normale Sachen machen“, erklärte Madsen vor drei Jahren, als er wieder einmal einen Preis für seine Erfindungen verliehen bekam. Jetzt erscheint diese Aussage, für die er damals noch Beifall erhielt, in einem völlig neuen Licht.

Der Prozess gegen Peter Madsen beginnt am Donnerstag in Kopenhagen. Bis zum 25. April soll verhandelt werden. Mit einem Urteil wird nicht vor dem Sommer gerechnet.