Zum dritten Mal prüft das OLG Stuttgart demnächst den Rücktritt von Daimler-Chef Schrempp im Jahr 2005. Die Kläger werfen dem Autokonzern vor, zu spät darüber informiert zu haben. Nach zwei Niederlagen rechnen sie sich jetzt gute Chancen aus.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Nach mehr als zehn Jahren wird der Rücktritt des einstigen Daimler-Chefs Jürgen Schrempp erneut vor Gericht aufgearbeitet. Bereits zum dritten Mal beginnt Anfang Februar vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart ein Verfahren um die Frage, ob Daimler die Öffentlichkeit im Jahr 2005 rechtzeitig über den geplanten Abgang Schrempps unterrichtet hat. Nachdem zwei frühere Urteile des gleichen Gerichts vor dem Bundesgerichtshof (BGH) und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) keinen Bestand hatten, wird erneut über die Musterklage eines Aktionärs verhandelt. Zahlreiche Aktionäre fordern Schadenersatz in Millionenhöhe, weil Daimler sie zu spät über den schon länger geplanten Rückzug Schrempps informiert habe. Sie hätten ihre Aktien deshalb zu früh verkauft und nicht mehr von dem kräftigen Kursanstieg profitiert, den die Nachricht vom Ausscheiden des umstrittenen Konzernchefs ausgelöst hatte.

 

Daimler sieht keine Ansprüche

Ein OLG-Sprecher bestätigte Informationen der Stuttgarter Zeitung, wonach am 3. Februar ein Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt sei. Der zuständige Zivilsenat werde unter Vorsitz des OLG-Präsidenten Franz Steinle verhandeln.Weitere Termine stünden noch nicht fest. Zunächst seien nochmals die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Vorgaben des EuGH und des BGH zu erörtern, dann gehe es um weitere Schritte zur Aufklärung. Nach dem Beschluss der Luxemburger Richter hatten die Karlsruher Bundesrichter den Fall im Sommer 2013 zurück ans OLG Stuttgart verwiesen. Dort hatte es zunächst geheißen, mit einem neuen Termin sei nicht vor Anfang 2014 zu rechnen. Die lange Dauer bis zum Februar 2016 erklärte der OLG-Sprecher zum einen damit, dass den Parteien nochmals lange Fristen hätten eingeräumt werden müssen, Zudem sei einer der Richter durch ein anderes Großverfahren um die Kaufhauskette Breuninger gebunden gewesen.

Daimler hatte Schadenersatzansprüche stets zurückgewiesen und betont, man habe rechtzeitig über den Abgang Schrempps informiert; diese Position war vom OLG zweimal bestätigt worden. Im dritten Anlauf sieht der in Stuttgart zweimal unterlegene Kläger „deutlich überwiegende Erfolgsaussichten“, wie sein Anwalt Klaus Rotter aus München sagte. Dabei verwies er auf die für seinen Mandanten positiven Entscheidungen aus Luxemburg und Karlsruhe. „Wir hoffen jetzt auf ein Urteil, das Bestand hat“, fügte Rotter hinzu.

Rücktrittspläne über Wochen besprochen

Im Kern geht es bei dem bundesweit beachteten Verfahren um die Frage, wann börsennotierte Konzerne wichtige Entscheidungen öffentlich machen müssen. Daimler hatte den vorzeitigen Rückzug Schrempps erst dann per Ad-hoc-Mitteilung bekannt gegeben, nachdem der Aufsichtsrat am 28. Juli 2005 einen entsprechenden Beschluss gefasst hatte. Am Vortag hatte der Präsidialausschuss des Gremiums bereits eine entsprechende Empfehlung beschlossen. Schon Wochen vorher – Mitte Mai – hatte Schrempp freilich mit dem damaligen Chefaufseher Hilmar Kopper über seine Rücktrittspläne gesprochen. In der Folge wurden nach und nach Konzernangehörige eingeweiht, so auch Schrempps Nachfolger Dieter Zetsche.

In den beiden früheren Verfahren hatte das OLG Stuttgart jeweils gegen die Kläger und zugunsten von Daimler entschieden. Nach der Aufhebung des ersten Urteils durch den BGH hatte das Oberlandesgericht erneut Schadenersatzansprüche verneint. Schon mit der Entscheidung des Präsidialausschusses sei zwar eine Insider-Information entstanden; der Konzern habe sie aber erst nach dem Beschluss des Aufsichtsrates bekannt geben müssen. Vorsitzender des zuständigen Senats war der damalige OLG-Präsident Eberhard Stilz, der heute Präsident des Staatsgerichtshofs ist.

Kläger hat in Karlsruhe und Luxemburg Erfolg

Der erneut angerufene Bundesgerichtshof hatte den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Der Grund: Es gebe Zweifel, wie die Richtlinien über die Veröffentlichung von Insider-Informationen auszulegen seien. Die Luxemburger Richter gaben dem klagenden Aktionär im Grundsatz Recht: Bei einem zeitlich gestreckten Vorgang könnten auch schon Zwischenschritte meldepflichtig sein. Über den konkreten Fall solle aber der BGH entscheiden. Angesichts der Vorgaben des EuGH rückten die Bundesrichter von ihrer ursprünglichen Einschätzung ab: Maßgeblicher Zeitpunkt für eine Ad-hoc-Meldung könne bereits das Gespräch Schrempps mit Kopper am 17. Mai gewesen sein, also Wochen zuvor. Zur Aufklärung weiterer Punkte verwies der BGH den Fall zurück an das Oberlandesgericht Stuttgart.

Es gilt als ungewöhnlich, dass sich ein Gericht nun schon zum dritten Mal mit der gleichen Sache befassen muss. In dem Verfahren wird es laut dem OLG-Sprecher um die „Vorverlagerung der Zeitpunkte für eine Publizitätspflicht“ gehen. Deshalb seien frühere Zeiträume zu untersuchen, zudem würden andere Tatsachen relevant. Über die Dauer des Verfahrens und potenzielle Zeugen war zunächst nichts zu erfahren; unklar ist auch, ob Schrempp erneut gehört wird. Für die nächste Woche kündigte der Gerichtssprecher eine ausführliche Information der Öffentlichkeit an.