Nach dem Verbot zahlreicher Großveranstaltungen schließen Daimler und die Telekom eine Verschiebung ihrer Aktionärstreffen nicht mehr aus. Aktionärsschützer rufen die Unternehmen auf, die Voraussetzungen für einen Dividenden-Vorschuss auch ohne Hauptversammlung zu schaffen.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Die Ausbreitung des Coronavirus könnte die Verschiebung von Hauptversammlungen großer Unternehmen erzwingen. Daimler schloss am Mittwoch eine Verlegung des für den 1. April in Berlin geplanten Aktionärstreffens nicht mehr aus, auch die Deutsche Telekom prüft eine Verschiebung ihrer am 26. März anberaumten Hauptversammlung in Bonn. BASF hält trotz eines von Baden-Württemberg verhängten Verbots von Großveranstaltungen vorerst an seiner für den 30. April in Mannheim geplanten Hauptversammlung fest.

 

„Wir sind im Kontakt mit den zuständigen Behörden und beobachten die Entwicklung laufend“, erklärte ein Daimler-Sprecher, nachdem die Berliner Gesundheitsverwaltung Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern bis Mitte April untersagt hatte. Das Ergebnis der Gespräche ist noch offen, auf der Website wurde die Hauptversammlung am Mittwochabend noch immer für den 1. April in Berlin angekündigt.

In Nordrhein-Westfalen hatte die Landesregierung bereits am Dienstag die Kommunen angewiesen, Veranstaltung ab 1000 Teilnehmern abzusagen. „Wir prüfen die Vorgaben der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in Bezug auf die Hauptversammlung. Eine Entscheidung dazu hat die Deutsche Telekom noch nicht getroffen“, teilte das Unternehmen mit. 2019 erschienen zur Telekom-Hauptversammlung rund 2500 Anteilseigner, bei Daimler doppelt so viele.

Verschiebung ist nicht ohne Risiko

Dass die Unternehmen trotz der Veranstaltungsverbote keine unmittelbare Entscheidung trafen, hat rechtliche Gründe. Vor einer Verschiebung muss sichergestellt sein, dass diese wirklich unvermeidbar und damit juristisch nicht anfechtbar ist. Ansonsten bestünde die Gefahr von Klagen einzelner Aktionäre. Zwar kann die Hauptversammlung laut Aktiengesetz an jedem Termin in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres stattfinden. Im Falle einer Verschiebung könnten sich aber Beschlüsse verzögern, etwa über Kapitalerhöhungen oder Umstrukturierungen, erläuterte die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

Auch die Ausschüttung der Dividenden würde sich bei einer Verschiebung der Aktionärstreffen verzögern. „Aktiengesellschaften sollten die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, einen Teil der Dividende auch ohne Hauptversammlungsbeschluss auszuzahlen“, forderte DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. Bislang hätten nur wenige Gesellschaften diese Möglichkeit in ihrer Satzung vorgesehen, ein Beispiel ist Daimler. Satzungsänderungen bei anderen Konzernen würden zwar für die aktuelle HV-Saison nicht mehr greifen, „aber für künftige Krisen wären die Unternehmen dann besser gerüstet“, sagte Tüngler.

Was das Aktiengesetz zulässt

Der Aktionärsschützer kritisiert auch, dass die AGs die rechtlichen Möglichkeiten für eine Online-Teilnahme an ihren Hauptversammlungen nicht ausschöpften. Zwar ist der Verzicht auf eine Präsenzveranstaltung nach deutschem Recht nicht möglich. Das Aktiengesetz lässt indes zu, dass Anteilseigner auch aus der Ferne „sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können“.

Die meisten Dax-Konzerne übertragen die Hauptversammlung aber gar nicht vollständig im Internet, sondern lediglich die Eröffnungsreden. Die darauffolgende Debatte können registrierte Aktionäre nur bei wenigen Gesellschaften per Webcast verfolgen, zum Beispiel bei der Münchener Rück und der Telekom. Selbst hier ist es aber nicht möglich, online Fragen an Vorstand und Aufsichtsrat zu richten.

Satzungsänderungen gefordert

An den auf den Hauptversammlungen anstehenden Entscheidungen können sich Aktionäre hingegen auch aus der Ferne beteiligen – durch die Einschaltung von Stimmrechtsvertretern, Briefwahl oder teilweise auch online. Anteilseignern, die sich vor einer Ansteckung fürchten, rät die DSW ausdrücklich zur Nutzung dieser Möglichkeiten. „Wer seine Stimmrechte übertragen möchte, kann ausdrücklich per Weisung festlegen, wie abgestimmt werden soll. Man behält also die volle Kontrolle“, erläuterte Tüngler.

Gleichwohl sollten die Unternehmen die Bedingungen dafür schaffen, dass Aktionäre auch Fragen online einreichen könnten, forderte der Aktionärsschützer. Mangels entsprechender Bestimmungen in den Satzungen seien die meisten Aktiengesellschaften dazu aktuell gar nicht in der Lage. „Das rächt sich jetzt“, sagte der DSW-Hauptgeschäftsführer. „Die Unternehmen, die ihre Tagesordnung für die bevorstehende Hauptversammlung noch nicht veröffentlicht haben, sollten Satzungsänderungen auf die Agenda setzen.“ Auf diese Weise könnte ab dem kommenden Jahr eine „echte Online-Teilhabe statt einer passiven Teilnahme“ an Hauptversammlungen eingeführt werden.