Lange hatte Immendingen keinen besonders guten Ruf. Vor allem unter Soldaten der dortigen Kaserne war die Ortschaft verschrien. Auf dem Gelände residiert künftig der Autohersteller Daimler - und die kleine Gemeinde im Donautal steht vor einem Wandel.

Immendingen - Es ist eine gewaltige Chance für Immendingen. Die kleine Gemeinde im Donautal hofft auf einen grundlegenden Wandel durch das neue Testgelände des Autoherstellers Daimler. In Summe, rechnete Bürgermeister Markus Hugger der Deutschen Presse-Agentur vor, dürften 900 bis 1000 Arbeitsplätze entstehen. Eine große Zahl für die 6400-Seelen-Gemeinde, die in ihrem Kernort nur 3000 Einwohner zählt. Am Mittwoch (14.00 Uhr) soll das „Prüf- und Technologiezentrum“ in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Daimler-Chef Dieter Zetsche feierlich eröffnet werden.

 

2011 setzte Immendingen alles auf eine Karte. Als klar wurde, dass die deutsch-französische Brigade den dortigen Standort verlassen würde, entschied sich die Bürgerschaft dafür, die Kaserne ganz schließen zu lassen. Damals kursierte unter Soldaten noch der Spruch: „Gott bewahr uns vor drei Dingen: Hunger, Durst und Immendingen.“ Die etwas abseits gelegene Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne erfreute sich keiner großen Beliebtheit. Auch wirtschaftlich stand Immendingen immer im Schatten des gut zehn Kilometer entfernten, von Medizintechnik geprägten Tuttlingen. Die Ansiedlung des Stuttgarter Autoherstellers soll dem kleinen Ort nun zu neuem Glanz verhelfen.

Arbeitsplätze und Gewerbesteuer

Denn neben den Arbeitsplätzen spült der Autohersteller auch Gewerbesteuer in den Stadtsäckel. Wie viel verrät Hugger nicht - Steuergeheimnis. Doch bei den bisherigen Einnahmen von 600 000 bis 800 000 Euro dürfte es nicht bleiben.

Hinzu kommt die Kaufkraft der Menschen, die herziehen: In einem ersten Schritt will allein Daimler dort 300 Menschen beschäftigen. Bislang sind 170 Mitarbeiter des Autoherstellers auf das Gelände gezogen. Doch dabei bleibt es nicht. Allein durch die Zuliefererindustrie rechnet Hugger mit 400 bis 600 Stellen zusätzlich, hinzu kämen Dienstleister für das Daimlergelände beispielsweise für die Kantine, Servicepersonal oder die Werksfeuerwehr. Große Einzelhandelsketten haben im Ort bereits neue Märkte eröffnet. Auch beim Autohersteller selbst rechnet man damit, dass noch mehr Stellen entstehen. „Die Sogwirkung eines solchen Standorts wird sicher einsetzen“, sagt Michael Hafner, Leiter Automatisiertes Fahren bei Daimler.

Für den Autohersteller ist das brandneue Testgelände nur gut 100 Kilometer vom Hauptentwicklungsstandort Sindelfingen entfernt ein gewaltiger Fortschritt: „Bisher waren wir weltweit auf zig Prüfgeländen unterwegs und mussten beispielsweise unsere Mitarbeiter für zwei Wochen nach Barcelona schicken“, sagt Daimler-Manager Hafner. „Heute fahren wir für einen Arbeitstag nach Immendingen.“

Werbung für das Projekt

Er rechnet damit, dass der Autohersteller sein Tempo bei der Entwicklung dank des neuen Standorts deutlich steigern kann. So könnten immer mehr Tests statt auf offener Straße auf dem Prüfgelände stattfinden. Hinzu kämen völlig neue Möglichkeiten: Auf einer nach Bertha Benz benannten Testfläche, die selbstfahrenden Autos gewidmet ist, könnten mit Hilfe von beweglichen Dummys Verkehrssituationen dargestellt werden, wie es bislang laut Hafner nicht möglich war.

Im Ort selbst hat Daimler kräftig für sein Projekt geworben. In einem eigens eingerichteten Forum wurde das Vorhaben erklärt, bei einem regelmäßigen runden Tisch Fragen beantwortet. Entsprechend gering war der Widerstand in der Bevölkerung.

Lediglich Umweltschützer übten Kritik: „Wir hatten gehofft, dass wir ein Leuchtturmprojekt in Sachen Naturschutz erarbeiten können“, sagt Klaus-Peter Gussfeld, Verkehrsreferent des BUND Baden-Württemberg. Am Ende habe Daimler sich aber nur noch an das rechtliche Mindestmaß gehalten. So lägen Teile der Ausgleichsflächen für Tiere, die wegen des Baus umgesiedelt werden mussten, im eigentlichen Projektgebiet - mit den entsprechenden Risiken für Arten wie die Schlingnatter, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kommen könnten.

Diese Gefahr bestand allerdings auch schon, als dort noch Panzer rollten, entgegnet man bei Daimler. Naturschutz sei ein maßgeblicher Aspekt, warum die Standortentscheidung für das bereits genutzte Areal der ehemaligen Kaserne sowie des Standortübungsplatzes in Immendingen gefallen sei und nicht für eine völlig freie Fläche.

Kraftakt für die Gemeinde

Trotz aller Euphorie wird die Ansiedlung für die kleine Gemeinde ein Kraftakt. Schon das aufwendige Genehmigungsverfahren und die Flächennutzungspläne seien kein Selbstläufer gewesen, so Hugger. Die durch den Wegzug der Militärs frei gewordenen 300 Wohnungen sind längst vermietet. Neubauten und Bauland müssen her. Als täglich 400 Lastwagen durch den kleinen Ort zur Baustelle donnerten, sehnte man sich besonders nach der immer noch nur in Planung befindlichen Umgehungsstraße. So sagt denn auch der Bürgermeister: „Den Bürgern von Immendingen gebührt Respekt. Die haben die Baustelle aushalten müssen.“