Der Daimler-Betriebsrat hat nichts gegen Effizienzsteigerungen, lehnt aber Maßnahmen auf dem Rücken der Beschäftigten ab. Die Frage sei, warum man in dem Unternehmen sechs Führungsebenen brauche.

Stuttgart - Die Beschlüsse, die die Daimler-Aktionäre bei der Hauptversammlung am Mittwoch in Berlin fassen sollen, sind in doppelter Hinsicht gewichtig. Denn die geplante Ausgliederung der beiden Tochtergesellschaften Mercedes-Benz AG und Daimler Truck AG markiert eine Zäsur in der Geschichte des Unternehmens.

 

Und um die erforderliche Zustimmung von 75 Prozent des vertretenen Grundkapitals sowie die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen für dieses Vorhaben zu erreichen, hat der Konzern nicht an Unterlagen für die Aktionäre gespart. Allein die Einladung zur Hauptversammlung umfasst schon stattliche 146 Seiten. Hinzu kommen der Ausgliederungsvertrag, dessen notarielle Beurkundung 23 Stunden gedauert haben soll, nebst Unterlagen und Ausgliederungsbericht – 7700 Seiten. Kein Wunder also, dass das Unternehmen im Vorfeld bei den Aktionären darum geworben hat, auf den Papierversand der Unterlagen zu verzichten und den Mail-Service zu nutzen.

„Ohne zwingende Gründe“

Womöglich hat die Daimler AG damit alle Fragen der Anteilseigner beantwortet; jedenfalls ist die Reaktion der Aktionäre auf das Projekt bislang spärlich. Lediglich ein Antrag auf Nichtentlastung des Vorstands wird mit dem Umbau begründet: Der Kleinaktionär Bernd T. Gans aus Köln spricht von einer komplexen neuen Struktur, die „ohne zwingende Gründe und mit vager Motivation, jedoch mit überwiegend nachteiligen Auswirkungen vorgeschlagen“ werde.

Die Kontrolle durch die Aktionäre wird aus seiner Sicht durch die Einrichtung der Töchter Mercedes-Benz und Daimler Truck abgeblockt. Gans hegt den Verdacht, dass der Einfluss des ausscheidenden Vorstandschefs Dieter Zetsche, der nach zwei Jahren Pause Aufsichtsratsvorsitzender werden soll, und des amtierenden Chefs des Kontrollgremiums, Manfred Bischoff, zementiert werden soll.

Einmalige Kosten: 610 Millionen Euro

Wie sich die schon vor Monaten geäußerte Kritik von Aktionärsvereinigungen, Vermögensverwaltungen und Fonds an der Ausgliederung bei dem Aktionärstreffen niederschlagen wird, ist offen. Das Unternehmen selbst hat schon erklärt, dass der Umbau einen dreistelligen Millionenbetrag kosten wird. Erklärtes Ziel ist, dass Daimler insgesamt beweglicher wird und die neuen Töchter künftig leichter Kooperationen eingehen können; ein Verkauf, so heißt es immer wieder, sei nicht geplant. Im Ausgliederungsbericht werden die einmaligen Kosten nun präzisiert: auf 610 Millionen Euro. Hinzu kommen noch die laufenden Kosten: Bis 2020 rechnet der Vorstand mit einem Anstieg der jährlich anfallenden Kosten auf 155 Millionen Euro.

Dass dies mit Bemühungen zur Kostensenkung aufgrund der aktuellen Lage einhergeht, bereitet in Teilen der Belegschaft Unmut. Schon im September 2017 hatte Zetsche angekündigt, dass in der Sparte Personenwagen vier Milliarden Euro eingespart werden sollten. Bei seiner letzten Bilanz-Pressekonferenz im Februar sprach Zetsche von weiteren Einsparungen, nannte aber weder Volumen noch konkrete Maßnahmen. Als wahrscheinlich gilt konzernintern nunmehr ein Volumen von sechs Milliarden Euro bis 2021; darin enthalten sollen die bisherigen vier Milliarden Euro sein sowie neu auch die Transporter- und die Lastwagensparte.

Warum so viele „Häuptlinge“?

Der Betriebsrat hat nichts gegen Effizienzsteigerungen, lehnt aber Maßnahmen auf dem Rücken der Beschäftigten ab – und würde in der Hierarchie gerne oben anfangen: „Warum brauchen wir bei Daimler sechs Führungsebenen?“, fragt zum Beispiel Jörg Spies, Betriebsratsvorsitzender der Daimler-Zentrale. Im Rahmen der neuen Führungsphilosophie Leadership 2020 machen so viele „Häuptlinge“ aus Sicht von Spies keinen Sinn.

Ein ehemaliges Daimler-Vorstandsmitglied prophezeit einen teuren Dauerkonflikt zwischen der Holding und den Töchtern, weil Doppelstrukturen aufgebaut würden: „Die Sparten-AGs sollen für die Leistungen der Holding zahlen und sich Vorschriften machen lassen. Beides wird zu Reibereien führen. Zudem werden die Töchter selbst versuchen, Kompetenzen aufbauen, um nicht von der Holding abhängig zu werden“, sagt er.

An der Spitze der Sparten-AGs entstehen nun neue Kosten. Daimler-Vorstandsmitglieder, die zusätzlich Aufgaben im Vorstand oder im Aufsichtsrat von Mercedes-Benz oder Daimler Truck übernehmen, sollen hierfür zwar keine Zusatzvergütung erhalten, anders sieht es aber bei Daimler-Aufsichtsratsmitgliedern aus. Beaufsichtigen sie künftig auch eine der neuen Töchter, dann gibt es zusätzliches Geld. Und das tun mit einer Ausnahme alle Vertreter der Kapitalseite.

Hohes Risiko, hoher Zeitaufwand

Daimler begründet das so: „Für externe Aufsichtsratsmitglieder ist eine marktübliche, attraktive Vergütung notwendig, um auch zukünftig die Gewinnung der erforderlichen Expertise von außen sicherzustellen.“ Zumindest vorübergehend wird der Aufsichtsrat von Daimler AG, Mercedes-Benz AG und Daimler Truck AG aus je 20 Mitgliedern bestehen (je zehn von der Kapital- und von der Arbeitnehmerseite); insgesamt gibt es also 60 Mandate.

Auch Betriebsräte und Gewerkschafter erhalten bei Mehrfachmandaten mehr Geld. So sitzen zum Beispiel der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Michael Brecht und sein Stellvertreter Ergun Lümali in allen drei Aufsichtsräten. Brecht begründet das damit, dass die Kontrolle des Vorstands aus seiner Sicht „nun wirklich kein Ehrenamt“ ist. Und er ergänzt: „Mit der Aufsichtsratsposition gehen gleichzeitig ein großes juristisches Risiko und ein hoher Zeitaufwand einher.“ Deshalb hält er es für gerechtfertigt, dass die Arbeitnehmervertreter einen Teil der Bezüge behalten dürfen. Den Großteil der Bezüge – knapp 90 Prozent – führen die Arbeitnehmervertreter an die Hans-Böckler-Stiftung ab, die damit nach Brechts Worten auch Studien zu beschäftigungsrelevanten Themen rund um E-Mobilität oder Digitalisierung fördert. Die Vertreter der Kapitalseite können ihre Bezüge nach eigenem Ermessen verwenden.

Kein Gesamtbetriebsrat bei den Sparten-AGs

Die Mitglieder der Betriebsratsliste Neue Perspektive, die in der Daimler-Zentrale vier von 41 Sitzen innehat, stellt das aber nicht zufrieden. So fragt Listenführer Werner Funk, warum es auf Ebene der Sparten-AGs überhaupt einen Aufsichtsrat gibt, obwohl kein Gesamtbetriebsrat gebildet werden soll. Funk: „Wenn es keinen Gesamtbetriebsrat gibt, dann braucht es auch keinen Aufsichtsrat.“ Noch Ende Dezember 2017 ist in Gesamtbetriebsvereinbarung und Interessenausgleich zu „Zukunft Daimler“ vereinbart worden: „In den beiden Sparten-AGs sind die nach dem Mitbestimmungsgesetz und dem Betriebsverfassungsgesetz erforderlichen betriebsverfassungsrechtlichen Gremien zu bilden.“

Warum weder Mercedes-Benz noch Daimler Truck einen Gesamtbetriebsrat bekommen sollen, erklärt Brecht damit, dass eine einheitliche Interessenvertretung via Daimler AG erhalten bleiben soll. Obwohl der Betriebsrat den Umbau unterstützt, soll die Zersplitterung des Konzerns vermieden werden. Brecht: „Dies wird uns am besten gelingen, wenn wir einen starken Gesamtbetriebsrat haben, der mit einer Stimme und einem Mandat mit der Unternehmensleitung verhandeln kann.“ Es soll nun über einen Tarifvertrag ein unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat gegründet werden. Dies lässt das Betriebsverfassungsgesetz zu.

SE? Zu kompliziert

Daimler glaubt, dass die Rechtsform der AG auch unter Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen am besten zu den neuen Töchtern passt. Gegen eine flexible Rechtsform wie die SE (Societas Europaea) hat aus Daimler-Sicht auch gesprochen, dass die erforderlichen Verhandlungen über die Mitbestimmung den Umbau noch komplizierter gemacht hätten.