Klimaschutz oder Arbeitsplätze? Die EU-Pläne für den CO2-Ausstoß von Lastwagen sind ehrgeizig. Ein Spiel mit dem Schicksal Zehntausender Arbeitnehmer, sagen Betriebsräte. Denn wer soll Lastwagen mit sieben Tonnen schweren Batterien kaufen?

München/Stuttgart - Konzernvorstände und Betriebsräte schreiben Brandbriefe an die Politik und gehen gemeinsam auf die Barrikaden - das gibt es nicht alle Tage. Die Pläne der EU, den Spritverbrauch von Lastwagen per Verordnung um ein Drittel zu senken, sorgt in der Branche für helle Aufregung. „Mit einer solchen Entscheidung setzt die EU Zehntausende Jobs alleine in Deutschland aufs Spiel“, warnt Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht.

 

Sein Kollege Saki Stimoniaris von MAN sieht das genauso. „Wenn es das Ziel der Europäischen Kommission und der EU-Parlamentarier ist, die europäische Nutzfahrzeugindustrie zu zerstören, dann handelt sie richtig“, sagt er bitter.

Am Mittwoch (14.11.) entscheiden die Abgeordneten in Straßburg über den Vorschlag ihres Umweltausschusses, den CO2-Ausstoß von Lastwagen in den kommenden zwölf Jahren um weitere 35 Prozent zu senken. Bei Verstößen drohen ungewöhnlich hohe Strafzahlungen - so hoch, dass sie „selbst große Nutzfahrzeughersteller in ihrer Existenz bedrohen könnten“, wie VDA-Autoverbandschef Bernhard Mattes in Berlin sagte.

Der Lastverkehr wächst

Den EU-Abgeordneten im Umweltausschuss und der EU-Kommission geht es jedoch erst einmal ums Klima. Der Vorschlag „macht die großen Verschmutzer auf der Straße für mehr Klimaschutz verantwortlich“, erklärte der niederländische Grünen-Abgeordnete Bas Eickhout. Im Transportbereich steige der Ausstoß des klimaschädlichen CO2 weiter. Laut EU-Kommission ist er heute um 19 Prozent höher als 1990, weil immer mehr Waren auf der Straße transportiert werden.

Stimmt, sagt der europäische Autoherstellerverband Acea, in dem sich auch die Lkw-Hersteller Daimler, MAN, Scania, Volvo und Iveco organisiert haben: Der Lastverkehr wächst, das meiste davon rollt über die Straßen. Aber Lastwagen machten gerade mal 5 Prozent des CO2-Ausstoßes insgesamt aus.

Und der einzelne Lastwagen fährt immer sparsamer. Die Spritkosten machen ein Drittel der Betriebskosten aus. Jeder Liter mehr geht vom Gewinn des Spediteurs ab. Deshalb sind sparsame und damit emissionsarme Lastwagen für die Spediteure wie für die Lkw-Hersteller ein klarer Wettbewerbsvorteil. Im Durchschnitt sank der Verbrauch jedes Jahr um gut ein Prozent - ein schwerer Sattelschlepper schafft heute 100 Kilometer mit 30 Liter Diesel.

Der EU geht das alles zu langsam voran

Aber der EU geht das alles zu langsam voran. Soeben haben die EU-Staaten auf den Vorstoß von Kommission und Parlament hin die CO2-Werte für Autos bis 2030 um 35 Prozent gesenkt. Warum sollte das nicht auch bei Lastwagen möglich sein?

Anders als bei Autos sei ein Batterieantrieb für Fernlaster auf absehbare Zeit nicht marktfähig, sagte VDA-Chef Mattes. Tonnenschwere Akkus, lange Ladezeiten, notwendige Parkplätze und Ladesäulen - in der Branche sieht man noch viele Fragezeichen.

Dazu kommt, dass die Entwicklungszyklen bei Lastwagen mit 15 Jahren doppelt so lang sind wie bei Autos. Die erste CO2-Senkung fordern die EU-Politiker 2025. „Den Abgeordneten sollte schon klar sein, dass Lastwagen, die 2025 auf den Markt kommen, heute schon in der Entwicklung sind“, sagte Acea-Generalsekretär Erik Jonnaert.

Bei Verstößen planen die EU-Politiker hohe Strafen. Schon bei einem Gramm Mehrausstoß kämen auf einen Hersteller mit 40 000 Lastwagen im Jahr 272 Millionen Euro Strafe zu, rechnet ein Beteiligter vor. Existenzbedrohend, heißt es in der Branche unisono. „Das Ergebnis dieser Politik kann sein, dass die europäischen Hersteller vom Markt verschwinden“, sagt MAN-Betriebsratschef Stimoniaris. In den Lkw- und Motorenwerken von MAN in München und Nürnberg, von Daimler in Wörth am Rhein, Mannheim und Stuttgart arbeiten gut 33 000 Menschen.

Es träfe nicht nur die Lastwagenbauer

Aber es träfe nicht nur die Lastwagenbauer, sondern die gesamte Volkswirtschaft in Europa, weil Gütertransport teurer werde, sagte Daimler-Vorstand Martin Daum der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das wiederum wäre Gift für das arbeitsteilige Wirtschaftssystem, „weil ganze Wertschöpfungsketten verlagert werden könnten“.

Rückendeckung bekamen die EU-Politiker von der Deutsche-Bahn-Tochter Schenker. Er würde sich freuen, wenn das EU-Parlament für das 35-Prozent-Ziel stimmen würde, schrieb Schenker-Chef Jochen Thewes in einem Betrag für den „Tagesspiegel“ (Montagausgabe).

Wenn die Abgeordneten am Mittwochnachmittag entschieden haben, sind die Regierungen der EU-Staaten am Zug. Bei den Autos haben sie die Parlamentsvorschlag noch etwas abgemildert.