Menschliche Kommunikation mit selbstfahrenden Autos ist ein Schlüssel für deren Akzeptanz. Daimler Zukunftsforscher arbeiten an einer universalen Sprache für autonome, kooperative Fahrzeuge.

Stuttgart - Ein Auto fährt im städtischen Verkehr, quer über dessen Windschutzscheibe prangt eine Tageszeitung. Ein anderes Auto bewegt sich im Verkehr, ohne dass ein Fahrer auf der Fahrerseite sitzt. Solche Verkehrsteilnehmer bewirken bei den anderen, vor allem Fußgängern, in erster Linie Unsicherheit und Misstrauen.

 

„Das ist so, weil wir als Menschen darauf konditioniert sind, Blickkontakt mit anderen Verkehrsteilnehmern zu suchen, um zu kommunizieren“, erklärt Alexander Mankowsky. Wen aber anschauen, wenn ein Fahrzeug autonom unterwegs ist und ein Fußgänger über die Straße gehen will? Letzterer steht vor dem Dilemma: Werden automatisiert und autonom fahrende Autos anhalten? Wie weiß ich denn, ob sie mich gesehen haben?

Den Blickkontakt herzustellen und wie das am besten gelingen könnte, dieser Frage und vielen anderen im Zusammenhang mit automatisiertem Fahren stellen sich der Futurologe und seine Kollegen bei Daimler.

Kooperative Fahrzeuge müssen Vertrauen erzeugen

Die Hochrechnungen, wann genau wie viele Fahrzeuge automatisiert oder gar autonom unterwegs sein werden, divergieren. Eines aber ist sicher: Jeder zweite Deutsche hatte seriösen Erhebungen zufolge im Jahr 2017 Angst vor selbstfahrenden Autos. Dem Futurologen geht es deshalb „um frische Konzepte aus anderen Perspektiven.“

Zuvorderst in Deutschland, aber natürlich auch weltweit gelte es, Empathie und Vertrauen zu erzeugen. Genau darauf fokussiert sich ein Forschungszweig bei Daimler um Alexander Mankowsky. Ganz bewusst nähern sich die Zukunftsforscher dem diffizilen und heiklen Thema interdisziplinär und auf sehr vielfältige Weise – bis hin zu „SLAP“, dem Sehen mit den Augen eines Ponys (See like a Pony).

Das nonverbale Kommunizieren zwischen Tier und Mensch zeigen Kameras, die an einer kleinen Herde von Ponys angebracht wurden. Die Aufzeichnungen verdeutlichen, wie diese, angeführt von ihrer Besitzerin, der Daimler Zukunftsforscherin Sabine Engelhardt, interagieren, ihre Wahrnehmungen in Handeln umsetzen. Kooperationspartner mit Daimler sind auch Künstler, die teilweise nichts mit Mobilität zu tun haben.

Bisherige Studien des Hauses zeigten deutlich: Die Fußgänger wünschen sich auf jeden Fall eine Art von Kommunikation. Die Frage ist, wie sie aussehen kann. Der Ansatz der Zukunftsforscher: Sie muss international, intuitiv und schnell erfassbar sein. Es geht darum, eine Art lingua franca, eine universale Sprache für autonome, kooperative Fahrzeuge zu kreieren.

Eine unabdingbare Konstante für Daimler ist dabei das hausinterne Motto „zuerst der Mensch“. Alle Überlegungen haben sich dem Wunsch und der Sicherheit des Menschen unterzuordnen.

Kooperative Fahrzeuge brauchen intuitive Sprache

Konfrontiert mit unterschiedlich stark automatisierten bis hin zu autonomen Fahrzeugen werden die anderen Verkehrsteilnehmer „erstmalig keine Möglichkeit mehr haben, mit einem menschlichen Gegenüber zu kommunizieren und dadurch abzusehen, wie der andere reagieren wird“, sagt Mankowsky. Mercedes schaue sich deshalb intensiv das Thema Empathie an. Schließlich habe man mit Mobilität zu tun, „und Mobilität ist eine kooperative Aktivität.“

Wie wichtig die Funktion der Empathie ist, „spüren wir, wenn wir uns in einer Fußgängerzone bewegen – ohne gegeneinander zu stoßen. Geschieht es aber doch, weil man in die gleiche Richtung ausweicht, müssen beide lachen. Man wacht wie aus einer Trance kurz auf, der nicht spürbare Automatismus ist für eine kurze Zeit gestoppt und kitzelt uns wach. In der Mobilität ist diese Funktion verantwortlich für den harmonischen Fluss, das unfallarme Fahren, oder für den Rhythmus der Stadt.“

Sabine Engelhardt ergänzt: „Mit Empathie meinen wir das Einfühlungsvermögen in andere Menschen oder Situationen. Empathie ist etwas, was wir Menschen gerne und automatisch tun.“

Die Lösung der Frage der Kommunikation ist existenziell, will man erreichen, dass Menschen die automatisierten Fahrzeuge akzeptieren. Dafür brauche es ‚kooperative Fahrzeuge‘, in denen Empathie eine zentrale Rolle spiele, so Mankowsky.

Kooperative Fahrzeuge haben einen langen Weg zur Interaktion

Zwar herrschte auf der diesjährigen CES Anfang des Jahres in Las Vegas die Meinung vor, die Automatisierung geschehe schneller, als man bisher angenommen habe. Dennoch war der Weg bis zum heutigen Stand der Technik ein langer und intensiver, deren Anfang Mankowsky am Jahr 2007 festmacht. Damals nämlich hatte die amerikanische Militär-Zivilforschung DARPA mit der dritten Robot Challenge die sogenannte Urban Challenge ausgerufen, das größte Forschungsprojekt, das sie amerikanische Armee jemals veranstaltet hatte. Sie wollte Platoons haben, also Fahrzeuge, die für Transportzwecke automatisiert hintereinander fahren können.

„Von Anbeginn war dabei das Problem: Wie macht man aus dem Verhältnis Mensch und Maschine eine wünschenswerte Zukunft?“, erinnert sich Mankowsky. Innovation in einen Fortschritt zu wandeln, der allen zugutekommt und in diesen Prozess viele verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu involvieren, das ist das erklärte Ziel von Mankowsky und seiner Truppe. „Automaten auf die Straße zu bringen, das ist nicht etwas, das man hinter verschlossenen Türen beschließen kann.“

Dass die Interaktion und kooperative Fahrzeuge der kritische Punkt sein werden, das hatte sich rasch herauskristallisiert. In der Gestenforschung ging es darum herauszufinden, wie sich Gesten integrieren lassen. „Gestik ist immer eine Aktion, die mehrere Schritte hat. Auch wenn ich einen Automaten habe, dann muss ich erst mal merken, ‚ja, er hat mich gesehen‘“. Der Mensch in der zitierten Fußgängerzone beherrscht die Situation.

Mankowsky muss für solche Extras an den Fahrzeugen bisweilen Überzeugungsarbeit in der Entwicklung leisten. „Ein zusätzliches Wackeln und Blinken kostet zunächst einmal zusätzliche Energie.“

Manga und Minimale Zeichensprache

„Menschen haben tendenziell Respekt bis Angst vor den Automaten“, wissen die Daimler Forscher. „Wenn sie aber sehen: die interagieren, zeigen mir, was sie machen“, dann kamen auch die Sympathien für die Fahrzeug.

Im allseitigen Interesse sind die Zukunftsforscher daher auf der Suche nach minimalistischer Zusatzausstattung für automatisierte, kooperative Fahrzeuge. Der Ansatz: Was erklärst du deinem neunjährigen Kind in punkto Verkehrsregeln, um zu sagen: ‚Das Fahrzeug ist im automatischen Modus, das musst du erkennen können‘? „Wir haben dafür im ersten Schritt die Farbe Türkis rundum für das Auto vorgesehen.“ Die oberste internationale Organisation für Mobilitätstechnologie SAE (Society of Automotive Engineers) in Amerika hat diese Farbe zur Regelung der Lichtkommunikation angenommen. Ab sofort wird mit dieser „weltweit harmonisierbaren Lösung ein schnelles, intuitives und einheitliches Verständnis möglich“, sagt der Daimler Zukunftsforscher Alexander Mankowsky. Diese Lichtfarbe ist im Straßenverkehr noch nicht besetzt. Ein erstes wichtiges Etappenziel ist erreicht auf dem Weg, international einheitliche Standards zu schaffen.

Damit noch lange nicht genug: Zusammen mit Manga-Künstlern sind die Forscher auf der Suche nach weiteren minimalistischen Mitteln der Kommunikation zwischen Mensch und kooperativem Fahrzeug.

Informiertes statt blindes Vertrauen

Wichtig ist es Mankowsky, dass all diese Mittel nicht ein blindes Vertrauen bewirken. Vielmehr pocht er auf „eine Art Handlungsanweisung, sodass das Kind oder der Erwachsene selbst für sich überprüfen kann: Was macht der Automat? Kriegt der Fußgänger also kein Lichtsignal oder sonst etwas, dann bedeutet das für ihn: geh aus der Gefahrenzone weg. Das setzt auch Wissen auf Seiten des Menschen voraus.

Generell gelte es, das Verhalten der automatisierten Fahrzeuge zu lernen, denn „sie agieren anders, für uns Menschen ungewohnt.“ Letztendlich werde der Mensch, der ja naturgemäß ununterbrochen lerne, sich kontinuierlich mit der Technik weiterentwickeln.

Alexander Mankowsky und die Daimler Zukunftsforschung

Wie sieht eine lebenswerte Zukunft aus? Mit dieser weit gefassten Frage beschäftigt sich Alexander Mankowsky hauptberuflich – seit sechs Jahren bei Daimler in der Zukunftsforschung.

Der gebürtige Berliner hat Soziologie, Philosophie und Psychologie studiert und interessierte sich schon bald für Künstliche Intelligenz. Das führte ihn anno 1989 erstmals zu Daimler, ein Unternehmen, von dem er einst sagte, trotz seiner „zeitlosen Eleganz“ sei es eine modische Marke, die Innovation zulasse. Wieviel, das hat er seinerzeit wohl selbst kaum zu träumen gewagt, denn bei seinem Wirken genießt Mankowsky maximale Freiheit.

Er nennt sich Futurologe. Futurologie – das ist keine Pseudo- oder Glaskugeldisziplin. Vielmehr ist es unermüdliches Forschen und Versuchen, Nachdenken und das Zusammenbringen unterschiedlicher Disziplinen und Blickwinkel, um auf Neues zu stoßen und Lösungen zu finden.

Berlin ist dabei der neue Mittelpunkt ihrer innovativen Aktivitäten. Privat wohnen Alexander Mankowsky und seine Partnerin Sabine Engelhardt aber unverändert auf der Zollernalb in einem Fachwerkhaus mit selbst erfundener Klimafassade.

Das Team der Daimler Zukunftsforschung ist flexibel aufgestellt. Mankowsky sucht sich dabei für seine Forschungsthemen die Personen, die er konzernintern wie –extern für sein Vorhaben als inspirierend einschätzt. In Kooperationen oder Workshops entsteht innovatives Gedankengut, an dessen teilweiser Umsetzung der Futurologe zusammen mit Ingenieuren und Designern intensiv arbeitet.