Noch wird auf den Baustellen im Kreis gearbeitet. Doch was, wenn es beim Material Engpässe gibt? Oder die Auftragsbücher sich bald leeren? Momentaufnahme einer Branche im Krisenmodus.

Ludwigsburg - Homeoffice wegen Kontaktverbot, Kurzarbeit wegen Auftragseinbrüchen, Sofortkredite wegen Ladenschließung – jede Branche trifft die Corona-Krise anders. Auch die Bau-Branche ist davon betroffen: Einer Mitgliederbefragung des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) zufolge beklagen etwa 43 Prozent der befragten Unternehmen Engpässe beim Material. Es fehlen Fliesen, Türen und Fenster. Und 76 Prozent der befragten Unternehmen gehen von Verzögerungen im Bau aus – auch weil bei Subunternehmen viele Arbeiter aus dem Ausland angestellt seien, die jetzt in der Krise lieber zuhause bei ihren Familien bleiben.

 

Gilt das alte Sprichwort „Gebaut wird immer“ also nicht mehr in Zeiten der Corona-Krise? Ein Blick in den Kreis oder auf die Autobahnausfahrt Ludwigsburg-Nord zeigt: Es gilt – zumindest derzeit noch. „Es ist nicht so, dass jetzt alle Baustellen zum Erliegen kommen“, sagt Birgit Priebe, Baubürgermeisterin in Remseck. Es werde weiter auf den Baustellen gearbeitet, zum Teil mit einer verminderten Personenzahl. Auf Wunsch der Bauunternehmen habe die Stadt auch neue Sicherheitsvorschriften für die Bauarbeiter ausgegeben. So seien die einzelnen Unternehmen auf den Baustellen nach Stockwerken getrennt worden. Die Kommunalpolitik bleibe trotz der Krise auch handlungsfähig: Der Oberbürgermeister Dirk Schönberger habe jüngst per Eilentscheid die Auftragsvergabe für sieben Gewerke für die neue Grundschule in Pattonville beschlossen. Volumen: 1,6 Millionen Euro für den Innenausbau. Und beim Remsecker neuen Rathaus halte man trotz Krise am Terminplan fest.

Keine Probleme auf kommunalen Baustellen

Auch andere Kommunen berichten auf Nachfrage von einem relativ normalen Baustellenbetrieb bei ihnen: Ludwigsburg sind „keine Einschränkungen auf den Baustellen bekannt“, wie der Pressesprecher Peter Spear sagt. Neubauvorhaben der Ludwigsburger Wohnbau in der Heinrich-Schweitzer-Straße, im Gebiet Muldenäcker und in der Mörikestraße „laufen derzeit wie geplant“. In Korntal-Münchingen werde alles „wie geplant“ vorbereitet und ausgeführt, heißt es in der Verwaltung. Das Gleiche hört man aus Gerlingen. In Hemmingen gibt es derzeit gar keine Hochbaumaßnahmen. Jens Schmukal, Pressesprecher der Stadt Ditzingen, kann „zukünftig Verzögerungen aufgrund der momentanen Situation nicht ausschließen“. Bei der Sporthalle in der Glemsaue sei der Zeitplan nach momentanem Stand nicht gefährdet. Kurzzeitig habe es so ausgesehen, dass sich die Lieferung von Material aus dem Ausland verzögere, dieses Problem scheine aber nach momentanem Stand ausgeräumt zu sein.

Beim Pflegewohnheim in Heimerdingen stelle sich die Situation so dar, dass die Baustelle voll besetzt ist. Zukünftig sei hier jedoch mit einer Verlängerung der Bauzeit zu rechnen, da beispielsweise Subunternehmer beteiligt sind, die aus dem Ausland kommen.

Das betreffe vor allem größere Bauunternehmen, sagt Hermann Lorenz, der Obermeister der Bau-Innung Stuttgart Ludwigsburg Rems-Murr. Diese repräsentiert in ihrem Gebiet 126 Baubetriebe. Kleinere und mittlere Betriebe arbeiteten derzeit noch unter relativ normalen Bedingungen, sagt Lorenz. „Die Lage im Betrieb kann sich aber von heute auf morgen ändern, wenn es einen Infizierten gibt. Dann muss alles stillgelegt werden.“ Ein weiteres Problem sei die psychische Belastung der Bauarbeiter: Wenn der Bauleiter der Kommune beispielsweise nicht mehr auf die Baustelle komme, weil er im Home Office sei, stresse das die Mitarbeiter. „Da setzt Angst ein.“ Einige würden sich dann auch krank melden. Denn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen: „Die Arbeit auf dem Bau ist Teamarbeit, Abstand halten ist da schwierig.“ Der Großteil der Beschäftigten gebe sich aber kämpferisch, sagt Lorenz.

Die IG Bau gibt sich kämpferisch

So klingt auch eine Pressemitteilung der IG Bau Stuttgart. Die 4470 Bau-Beschäftigten im Landkreis Ludwigsburg hielten derzeit einen zentralen Wirtschaftszweig am Laufen. Die Gewerkschaft appelliert gleichzeitig an die Arbeitgeber, die Hygienevorschriften einzuhalten. Große Frühstücksrunden im Baucontainer seien derzeit ebenso tabu wie die Fahrt im voll besetzten Bulli zur Baustelle.

Carsten Schüler, Chef der Bietigheimer Wohnbau, verzeichnet auch „keinerlei Stillstand“ auf seinen Baustellen. Allerdings hätten einige Baufirmen bereits angekündigt, dass es Lieferengpässe geben könnte und sie daher nicht unverschuldet in Vertragsstrafen rutschen wollten. Aber bislang gebe es „weder Personal- noch Materialengpässe“, sagt Schüler. Er fügt allerdings hinzu: Bei „höherer Gewalt“ könne sich ein Fertigstellungstermin eines Hauses verschieben, ohne dass der Auftraggeber eine juristische Handhabe dagegen hätte. Für Schüler ist auch noch unklar, wie sich die Preise für Mieten und Wohnungskäufe entwickeln werden angesichts der Krise.

Karl Strenger, der Geschäftsführer von Strenger Bauen und Wohnen in Ludwigsburg, hat da eine Theorie: Angesichts der Krise sei die Nachfrage nach Wohnungen derzeit geringer. Er bekomme derzeit sogar kurzfristige Absagen von Käufern, beispielsweise, weil sie von Kurzarbeit betroffen sind, oder auch von Banken. Gleichzeitig würde das Baugewerbe gebremst, sodass weniger fertiggestellt wird als benötigt. Die Preise würden also weder fallen noch steigen. Strenger rechnet damit, dass die Branche durch die Krise in diesem Jahr etwa 20 Prozent weniger bauen wird als geplant. Nach „tollen Genehmigungszahlen“ angesichts der Wohnungsnot verfehle man also wieder das Ziel – in diesem Jahr wären das 360 000 Wohneinheiten deutschlandweit.

Was passiert, wenn kein Stahl mehr geliefert wird?

Strenger selbst hat derzeit acht Baustellen im Landkreis. Auf allen wird gearbeitet, wenn auch zum Teil langsamer, beispielsweise beim Innenausbau. Denn auch bei ihm gilt: Pro Wohnung nur ein Gewerk und zwei Personen. Bodenleger und Fliesenleger beispielsweise dürften nicht gleichzeitig eine Wohnung ausstatten. Noch läuft alles. Er rechnet damit, dass es auf Baustellen generell zu Verzögerungen von etwa drei Monaten kommen wird. Strenger sagt aber auch: „Das Material ist der Flaschenhals.“ Wenn aus dem Ausland keine Ware nachkomme, gingen die Vorräte bei allen Handwerkern bald aus. Er meint damit insbesondere Stahl, der häufig aus Tschechien oder Italien kommt.

Während die Rathäuser im Kreis auf Nachfrage sagen, sie würden wie gewohnt Baugenehmigungen erteilen, hat Strenger da eine andere Sicht: „Wir spüren, dass die Rathäuser mit halber Kraft arbeiten“, sagt er mit Blick auf Baugenehmigungen. Das werde „definitiv“ zu Verzögerungen führen. Das fange schon damit an, dass derzeit kein Gemeinderat tage und damit auch keine Bebauungspläne aufgestellt werden könnten – die Bedingung für einen Bauantrag. In Sachsenheim verschiebt sich dadurch beispielsweise der Bau von 80 Wohnungen durch Strenger. Hermann Lorenz von der Bau-Innung sieht das ähnlich: „Bei den Bauämtern geht grade gar nichts mehr.“

Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, sieht darin mittelfristig ein Problem. Aktuelle Baustellen werden noch abgearbeitet, aber wenn danach die Auftragsbücher leer blieben, „kann das im schlimmsten Fall zu einer Rezession im Baugewerbe führen“, sagt er. Möller appelliert daher sowohl an private Bauträger als auch an öffentliche Auftraggeber, das Bauen nun nicht einzustellen: „Bauen schafft nachhaltige Werte.“