Angst und Verunsicherung waren groß nach dem Waffenstillstand 1918: Die meisten Ludwigsburger befürchteten eine große Hungersnot. Und dann strandeten auch noch Zehntausende von Soldaten in der Barockstadt.

Ludwigsburg - Meuterei, Revolution, Sturz der Monarchie – das sind die wiederkehrenden Motive in den Erzählungen vom Ende des Ersten Weltkriegs in Deutschland vor 100 Jahren: Das Kaiserreich endet, die Weimarer Republik beginnt. So steht es in den Geschichtsbüchern, aber wirklich schnell ging nur die Abdankung, die Demokratie ließ auf sich warten. In den letzten Wochen des Jahres 1918 herrschten zwischen Kiel und München chaotische Zustände. So auch in Ludwigsburg.

 

Zwar wurde über die Zukunft des Landes andernorts entschieden, die Krise aber hat sich in der Barockstadt in besonderer Weise kristallisiert – wegen deren Rolle als Residenz- und Garnisonsstadt. Das barocke Schloss wurde von einem auf den anderen Tag Museum – woran an diesem Wochenende mit der Aktion „Stürmt eure Schlösser!“ erinnert wurde – und durch die Stadt streunten Zehntausende Soldaten ohne Sold und Befehl.

Jubel, ja oder nein?

Auch in Ludwigsburg bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte. Aber die Revolution wurde nicht hier angezettelt, sie wurde importiert: Die Aufrührer kamen in Zügen aus Stuttgart und sagten den Bürgern und den hier stationierten Militärs, was sie zu tun haben. „Auf dem Rathaus wehte die rote Fahne, und die Soldaten mussten Kokarden und Waffen ablegen“, sagt Stadtarchivar Simon Karzel. Damit waren gewiss nicht alle einverstanden. „Die Ludwigsburger haben ihren König geliebt“, sagt Andrea Fink, Kulturreferentin in Sachsenheim und Mitarbeiterin im Stadtmuseum Ludwigsburg. Aber ein großes Aufbegehren gegen die neuen Herren hat es offenbar dennoch nicht gegeben.

Zwar sind allerhand Schilderungen der ersten Tage nach dem Waffenstillstand am 9. November erhalten geblieben, aber es gebe keine, die nicht politisch gefärbt sei, sagt Karzel. Die Schnittmenge zwischen den Berichten von enttäuschten Königstreuen, besiegten Soldaten und plötzlich mächtig gewordenen Sozialdemokraten sei gering. Das wird vor allem bei den Beschreibungen der gewaltigen Aufmärsche der aus Frankreich heimkehrenden Heere deutlich: Wurden sie nun bejubelt, wie das die Soldatenräte berichten, oder herrschte das gespenstische Schweigen, von dem Julie Paret berichtet?

In ihrem Tagebuch schreibt die Mutter des Ludwigsburger Archäologen Oscar Paret: „Die Heimkehr ist zu ernst, es ist kein Siegesjubel, keine Friedensfreude.“ Auch die verbalen Verrenkungen, mit denen der Oberbürgermeister Gustav Hartenstein im Dezember auf dem Marktplatz das Feldartillerieregiment 29 begrüßt hat, verraten die innere Zerrissenheit: „Es ist Euch nicht beschieden gewesen, Sieger zu bleiben, die feindliche Übermacht an Menschen und Material war zu groß, aber ungeschlagen und aufrecht kehrt Ihr zurück und Euch grüßt die Heimat.“

Bekannt ist, dass weder der Gemeinderat noch der Oberbürgermeister geschasst wurden, sie agierten parallel zum Soldatenrat. „Wie das funktioniert hat, wissen wir nicht“, sagt Karzel. Allerdings war die Sozialdemokratie auch schon im Januar 1919 abgewählt: Bei den ersten Kommunalwahlen nach dem Krieg errangen die bürgerlichen Parteien mehr als 20 Sitze, die SPD nur sieben. „Ludwigsburg war keine Arbeiterstadt, die Stadt war militärisch und bürgerlich geprägt“, sagt der Archivar.

In Ludwigsburg wird der Krieg abgewickelt

Weil Ludwigsburg „das schwäbischePotsdam“ gewesen sei, habe man hier Dinge mitbekommen, die der offiziellen Propaganda widersprachen, meint Karzel: Etwa die vielen Verwundeten, die im großen Lazarett behandelt wurden, das im Gebäude des heutigen Schillergymnasiums untergebracht war, oder die Kriegsgefangenen, die in einem Lager in Eglosheim (Ecke Hirschberg- und Tammer Straße) festgehalten wurden – allein 5000 Franzosen. „In Ludwigsburg waren am Kriegsende so viele Soldaten stationiert wie in Friedenszeiten in ganz Württemberg“, sagt Andrea Fink: etwa 25 000. Zum Vergleich: Ohne die Militärs zählte Ludwigsburg vier Jahre vor Kriegsbeginn 24 926 Einwohner.

Zur schlechten Versorgung – Lebensmittel, Treibstoff und Kohle waren knapp – kamen die Probleme der Demobilisierung, denn über Ludwigsburg wurde dieser Krieg auch abgewickelt: 70 000 Soldaten bekamen hier im Winter 1918/19 ihre Entlassungsurkunden. Und mit den heimkehrenden Soldaten strandete auch das ganze Kriegsgerät in Ludwigsburg. „Monatelang waren Plätze und Straßen mit Waffen und Fuhrwerken belagert“, sagt Karzel. Das verschärfte die Unsicherheit, und es war offenbar auch der Hauptgrund für gewaltsame Tote: Für Plünderer gab es kein Pardon, wer erwischt wurde, wurde erschossen.

Über die Zahl der in diesem Krieg getöteten Zivilisten gebe es keine zuverlässigen Angaben, sagt Karzel. Vom Ludwigsburger Infanterieregiment Nr. 121 sind 131 Offiziere und 4183 Unteroffiziere gefallen.