Die Stuttgarter Motorpresse macht ein Fass auf und fügt dem Kuriositätenkabinett am Kiosk ein weiteres Highlight hinzu: das Lifestyle Magazin „Bier“. Gerade nüchtern ist das allerdings nur schwer zu konsumieren.

Stuttgart - In einer stattlichen Auflage von rund 60 000 Exemplaren ist am vergangenen Dienstag die erste Ausgabe von „Bier – das Magazin für Genuss und Lebensgefühl“ erschienen, entwickelt bei einem hausinternen Ideenwettbewerb der Stuttgarter Motorpresse. Zum Einstieg ins 164 Seiten starke Heft bekommt gleich mal der alte französische Romantiker Victor Hugo Recht zugesprochen, obwohl der vermutlich nicht vom Saufen sprach als er einst zu Protokoll gab, nichts sei stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen sei. Doch im Kontext des Magazins „Bier“ beläuft sich dieses Zeitgefühl auf 500 Jahre Reinheitsgebot (Titelstory!), auf zeitgenössischen Bier-Hype und darauf, dass man doch ein weiteres Magazin über Bier machen könnte – „was sich in der Szene bewegt und was die Szene bewegt“. Die restlichen Beweggründe werden auf dem Titel erklärt: „weil’s schmeckt“.

 

Fürwahr, der neben Streetfood und Vegan größte innerstädtische Foodtrend der vergangenen Monate ist tatsächlich Craftbeer: handwerklich und weitgehend traditionell gebraut, liebevoll etikettiert und verpackt, allerdings in kleinen, wirtschaftlich kaum relevanten Mengen. Das ist purer Individualismus in kleinen Flaschen, man möchte sich ja abheben. Doch „Bier“ möchte überhaupt nicht an diese angesagte Szene ran, sondern stellt die Flasche beiseite und greift mit beiden Händen nach der großen Welt, der „Biertrinkerszene“ allgemein.

Hopfen und Malz verloren

We are Family, Hauptsache Bier – der kleinste gemeinsame Nenner zum special Interest verklärt. Opa, Oma, Mama, Papa, Du, Ich Wir, Sie, Es und Alle, außer halt denen, die’s mit dem „Lifestyle“ nachweislich übertreiben und bereits um 9 Uhr am Rotebühlplatz schon das zweite Bierchen zischen. „Bier“ preist den verantwortungsvollen Lebensstil, schließlich dürfen sich mittlerweile auch hundsordinäre Biertrinker ein bisschen wie Gourmets fühlen. Eine Bierverköstigung im Pop-Up-Store verleiht dem Kern der Sache zumindest eine ganz neue Romantik. „Bier“ will auch das. Alleine das liebevoll daherdilettierte Editorial erweckt den Anschein, man habe im Überschwang vergessen, was man eigentlich erzählen wollte und bestellt sich vorsorglich ersma nochn Bier – Victor Hugo bitte doch wieder schnell vergessen. Spätestens wenn die Redaktion krampfhaft nach Gründen für alkoholfreies Bier sucht, und dann doch Motorräder, mechanische Uhren, Hybrid Sportwagen, einen Muldenkipper und die schwangere Ehefrau findet, dann ist, Achtung, Hopfen und Malz verloren.

Derartiger Quatsch schlägt selbst das schöne Essay des Stuttgarter Sternekochs Vincent Klink über das Münchner Hofbräuhaus kaputt oder torpediert Ernsthaftigkeit und Gehalt von Porträts über Brauereien wie Schimpf, Hoppebräu oder Schwarzes Lamm in Rottweil. Toll auch: Sommelierkärtchen zu gängigen Biersorten, Kneipenromantik mit Reportagen über den Hamburger Sparclub „Holsten-Schwemme“ oder das „Crazy Horst“. Viel besser wird das leider nicht. Im EM-Special („Welches Bier kickt?“) werden wahllos Biere aus Europa angepriesen und der vollmundig angekündigte Bericht über das Oktoberfest in Hongkong beläuft sich auf eine Terminankündigung zuzüglich einem auf Doppelseite gezogenen Wackelfoto von klatschenden Asiaten.

Immerhin werden gesellschaftspolitisch heiße Eisen wie „Was zum Henker macht man eigentlich in Hannover?“ schonungslos angepackt. Die Antwort darauf: Klar, Biertrinken am Kiosk. Wenigstens dauert es sage und schreibe 84 Seiten, bis da laut und deutlich steht: „Wa, Kalle, Holsten knallt am dollsten“.

An ungewöhnlichen Orten versumpft

Nur sechs Seiten später erklärt ein Kolumnist das wirkliche Dilemma von „Bier“: Das Gesellige am Bier ist, dass es nie wichtiger ist als der Anlass, zu dem man es trinkt. Auch daran scheitert „Bier“, das Spaß am Lifestyle vermitteln möchte, aber weder journalistisch noch geschmacklich sonderlich Leidenschaftliches dazu beiträgt. In ähnlicher Konsequenz fehlt nur noch ein Erotikmagazin, das „Geschlechtsverkehr“ heißt oder ein hippes Magazin wie „Internet“ mit fein säuberlich abgetippten youtube-Links zu witzigen Clips, in denen sich knuffige Kätzchen in einen Pizzakarton werfen. Großes verspricht allerdings die Vorschau auf das kommende Heft: „Für die nächste Ausgabe trinken wir Bier an ungewöhnlichen Orten. Sie erscheint, wenn wir es von dort wieder zurückschaffen.“ Nehmen Sie sich bitte ein Taxi.