Die Sleaford Mods, Meister der elektronisch unterfütterten Krisen-Poesie, legen das Album „Spare Ribs“ vor.

Stuttgart - Auf dieses Duo aus Nottingham ist Verlass: Auch auf dem aktuellen Album der Sleaford Mods kommentiert der Rapper Jason Williamson wortmächtig die Defizite der Gegenwart zu präzise gesetzten Beats und griffigen Basslinien des Musikproduzenten Andrew Robert Lindsay Fearn, der sporadisch kleine Geräusch-Brisen mitwehen lässt. So minimalistisch das Konzept, so groß die Wirkung: Die Sleaford Mods schreiben grimmige Popsongs, die aufwühlen.

 

Immer schwingt eine große Dringlichkeit mit, wie man sie sonst nur vom Punk kennt. Was Ken Loach für den Film ist, sind die Sleaford Mods für den Pop: eine Stimme für das soziale Gewissen der Menschheit. Das Duo fängt den Frust und die Wut über die Verhältnisse ein, dreht sie durch den Sprach- und Musikwolf und lässt einen emotionalen Reichtum erblühen, der als heilsames Ventil wirken kann.

Williamson rechnet ab

Williamson teilt wieder kräftig aus in seinem derben Midlands-Akzent und in seiner scharfkantigen, bilderreichen Lyrik. In „Nudge it“ nimmt er Hipster aufs Korn, die Lebenswelten jenseits ihres eigenen Wohlstands romantisieren, ohne sie wirklich zu kennen: „Fucking class Tourists“, bellt Williamson. Die australische Sängerin Amy Taylor von Amyl and the Sniffers assistiert ihm, und im Hintergrund sägt eine einsame Gitarre.

Auch mit der zuletzt wenig ruhmreichen britischen Politik rechnet Williamson scharfzüngig ab, besonders verdrießen ihn die konservative Partei und die Kleingeistigkeit: „We’re all so Tory tired and beaten by Minds small“, klagt er im 40-Sekunden-Opener „A new Brick“. Der Titel „Shortcummings“ ist ein Wortspiel aus „shortcomings“ (Mängel) und dem Nachnamen von Dominic Cummings, dem früheren Chefberater von Ministerpräsident Boris Johnson. Zum einem pumpenden Bass-Lick geht Williamson ins Gericht mit Mitgliedern einer Elite, die nur an ihren eigenen Vorteil denken.

Kommentare zu Pandemie

Teilweise im Lockdown geschrieben, gelingen den Sleaford Mods erfrischend unpathetischste Bestandsaufnahmen aus der Pandemiezeit. „Top Room“ erzählt von der Potenzierung der Social-Media-Sucht durch das Virus („I think I want something to come out of my Phone that ain’t there“) und geißelt den Konsumwahn („Capitalist Orgy“). „Glimpses“ (flüchtige Eindrücke) erinnert an den abrupten Stillstand der Welt beim ersten Lockdown („The Roads don’t move so fast now“), „Out there“ an die Menschenleere in Quarantänezeiten („Just stared into a cold Month with no People near it“) mit einem deftigen Seitenhieb gegen Brexit und Fremdenfeindlichkeit.

In „Elocution“ (Redekunst) rechnet Williamson mit Opportunisten und Heuchlern ab. Zu fragmenthaften Ausschmückungen, in denen ein großes Pop-Arrangement steckt, findet er im bärbeißigen Chorus zu einer feinen, kleinen Melodie, die lange nachhallt. Ein Hauch von Funk umweht den Titelsong „Spare Ribs“, ein ebenso pointierter wie zorniger Kommentar zum Materialismus.

Sehr universell klingen die Beobachtungen auf diesem Soundtrack zur Gegenwart, der freilich mit einem Warnhinweis versehen sein müsste: Keine Ausflucht!