Mausetot schien die australische Rock-’n’-Roll-Band AC/DC zu sein, endgültig auseinandergefallen – doch die Überlebenden haben sich noch einmal aufgerafft und veröffentlichen nun ein weiteres Album namens „Power up“.

Stuttgart - AC/DC haben den Schalter noch einmal umgelegt, unverhofft und fast mirakulös – und sie klingen auf ihrem aktuellen Album „Power up“ tatsächlich noch einmal wie sie selbst: Unbeirrt rollt der Beat des Drummers Phil Rudd (66) zu den flüssigen Achteln des Bassisten Cliff Williams (70), Angus Young (65) lässt die Gitarre singen, der Sänger Brian Johnson (73) röhrt raunzig.

 

Für die markanten, knochentrockenen Gitarrenriffs, das Markenzeichen des verstorbenen Malcolm Young, sorgt dessen Neffe Stevie Young (63). Er ist schon mehrfach als Vertreter eingesprungen, schlägt sich wacker an der Rhythmusgitarre und passt altersmäßig gut rein wegen einer Generationsverschiebung: Stevies Vater Stephen Crawford Young sr. war 20 Jahre älter als sein Onkel Malcom, der 2017 mit 64 starb – ein Jahr älter, als Stevie jetzt ist.

Klassische Songs

Die Mitgröl-Single „Shot in the Dark“ hat alles, was ein AC/DC-Klassiker braucht, „Witch’s Spell“ klingt ganz typisch nach dem monumentalen Hardrock, den die Band seit den 80ern pflegt. Das Blues-Lauf-Riff in „Demon Fire“ verweist ebenso zurück in die „Highway to Hell“-Ära Ende der 1970er wie das schiebende Gitarrenbrett in „Systems down“. Hohen Unterhaltungswert hat die Hymne „Through the Mists of Time“, in der AC/DC zeigen, wie es klingt, wenn Raubeine einen sonnigen Gitarren-Pop-Song durch die Mangel drehen – inklusive kratziger „Uhs“ und „Ahs“.

Für den fetten Sound war wieder Brendan O’Brien zuständig, der auch schon die beiden AC/DC-Werke „Black Ice“ (2008) und „Rock or bust“ (2014) produziert hat und einst den Red Hot Chili Peppers zum Durchbruch verhalf mit seinem fulminanten Mix des Albums „Blood Sugar Sex Magik“ (1990). Als Tontechniker stand ihm Mike Fraser zur Seite, der schon den AC/DC-Hit „Thunderstruck“ (1990) aufgenommen und gemischt hat.

Originalitätspreise wird „Power up“ natürlich nicht gewinnen, aber für manche der – sehr treuen – Fans der Band ist dieses solide Lebenszeichen schon eine kleine Offenbarung – denn das Album ist das Ergebnis einer doch unerwarteten Wiederauferstehung.

Die Band war 2016 am Ende

2016 schien die australische Kultband am Ende zu sein. Der demente Rhythmusgitarrist Malcom Young und der wegen Drogengeschichten im achtmonatigen Hausarrest sitzende Drummer Phil Rudd konnten an der „Rock or bust“-Welttournee gar nicht erst teilnehmen, in deren Verlauf dann auch noch der Sänger Brian Johnson aufgeben musste, um nicht den vollständigen Verlust seines Hörvermögens zu riskieren.

Axl Rose wurde dann als Ersatz für die restlichen Termine verpflichtet, nach der Tour stieg der Bassist Cliff Williams aus mit dem Hinweis, das sei nun nicht mehr dieselbe Band. Angus Young, Leadgitarrist und Kraftzentrum von AC/DC, allein zu Haus? Spätestens 2017 sah es ganz so aus mit dem Tod seines Bruders Malcolm Young, dem Erfinder der brettharten, für die Band charakteristischen Rock-’n’-Roll-Gitarrenriffs.

Der Inbegriff des Bürgerschrecks

Doch man darf diese zähen Australier, die bis auf Phil Rudd alle gebürtige Briten sind, nicht unterschätzen: Nach dem Alkoholtod ihres Sängers Bon Scott im Februar 1980 gab die Band nicht etwa auf, sondern präsentierte im März den bis dahin unbekannten Brian Johnson als Nachfolger und legte schon im Juli ihr vielleicht stärkstes Album „Back in Black“ vor.

AC/DC sind längst nicht mehr nur eine Band, sie sind ein Symbol. Sie haben Generationen von Jugendlichen ein rebellisches Grundgefühl eingepflanzt, das wieder erwacht, sobald nur ein einziger Gitarrenton von Angus Young erklingt. In den 70ern verkörperte die Band idealtypisch das, was viele sich unter dem Begriff „Bürgerschreck“ vorstellten, gepaart mit einer gehörigen Prise Gottseibeiuns. Man brauchte keinen Hochschulabschluss, um AC/DC zu verstehen, im Gegenteil: Er konnte dabei sogar hinderlich sein.

Als wäre er besessen

Selbst wohlwollende Eltern fragten gequält: „Wieso muss der so schreien, hat der Schmerzen?“ Sie meinten den unvergesslichen Bon Scott, der schon im frühen Hit „T.N.T.“ (1975) in Ich-Form vom „public enemy number one“ sang und dazu riet, Töchter und Ehefrauen wegzusperren, wenn „er“ in der Nähe war. Scott lebte „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“, seine Texte waren erfüllt davon – er starb 33 Jahre jung.

Der Leadgitarrist Angus Young fegte als Teufelchen in Schuluniform mit Chuck Berrys „Duck Walk“ am Bühnenrand hin und her und schüttelte als prototypischer „Headbanger“ wild den Kopf im Takt, während er seinem Instrument virtuos Blues-infizierte Licks entlockte. Manchmal drehte er sich am Boden liegend mit einer Gitarre im Kreis, als wäre er besessen. Das war und ist er auch: von der Macht und der Freiheit des Rock ’n’ Roll, die AC/DC ihren Hörern einhämmerten wie eine funkensprühende Energiepeitsche.

Teufelchen in Schuluniform

Angus posierte gern als Teufelchen in seiner Schuluniform, derer er sich bei jedem Konzert in einer legendären Strip-Einlage entledigte, um dem Publikum schließlich für Sekundenbruchteile seinen nackten Allerwertesten zu zeigen. Rebellischer konnte Rock ’n’ Roll alter Schule kaum werden – so betrachtet waren AC/DC von Beginn an eine Art Endzeitphänomen, allerdings ein extrem langlebiges. Längst aus der Zeit gefallen, zündet die Band nun noch einmal ein kleines Riff-Feuerwerk, das wirklich das letzte gewesen sein könnte.

Es wäre ein würdiger Abgang, nach allem könnten AC/DC den Schalter nun endgültig in die andere Richtung umlegen. Doch es ist nicht auszuschließen, dass sie schon die nächste Welttournee planen; die Fans würden wohl noch einmal strömen – 65-jährige Headbanger bekommt man ja nicht allzu oft zu sehen.