Der britische Popsänger Morrissey ist soeben sechzig Jahre alt geworden. Zum runden Geburtstag legt der Ex-Smiths-Mann sein Album „California Son“ vor – und polarisiert weiterhin mit seinen politischen Ansichten.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Neben Talent, Fleiß und dem unbedingten Willen zu Innovation und Progression zählt zu den Merkmalen guter Popmusiker bekanntlich auch ein Hang zur Exzentrik, dem Überkandidelten und bisweilen sogar der Radikalität. So gesehen bringt Stephen Patrick Morrissey alle Voraussetzungen für einen glänzenden Popmusiker mit; und dass er einer ist, hat er ja nicht nur als Sänger der epochalen Songs der britischen Band The Smiths, sondern auch hernach als Solokünstler mit nunmehr sage und schreibe 17 Soloalben bewiesen. Unter ihnen befinden sich reichlich echte Perlen wie das Debüt „Viva Hate“ von 1988, „Ringleaders of the Tormentors“ von 2006 oder zuletzt vor gerade anderthalb Jahren das durch die Bank vorzügliche Werk „Low in High School“.

 

Wohin das Pendel ausschlägt

Leider allerdings schlagen der Hang zur Exzentrik und das Pendel der Radikalität bei Morrissey, was seine politischen Ansichten betrifft, seit einigen Jahren in eine Richtung aus, die selbst manch ein europäischer Rechtspopulist als zu drastisch empfinden mag. Und Besserung ist leider nicht in Sicht, ganz im Gegenteil. Zuletzt holte sich der Brite vor einigen Tagen in Jimmy Falloons Talkshow mit einem Button der ultrarechten Anti-Islam-Partei For Britain am Revers Applaus von der ganz falschen Seite ab. Zuvor machte er sich bereits über den Akzent des muslimischen Londoner Bürgermeisters Sadiq Khan lustig, bezeichnete der extrem überzeugte Vegetarier Chinesen angesichts ihres Umgangs mit Tieren als „Unterart des Menschen“, nannte Berlin angesichts Angela Merkels Flüchtlingspolitik „Vergewaltigerhauptstadt“ oder pöbelte gegen die Metoo-Debatte.

Das alles ist sehr unappetitlich und gehört angesichts seines neuen Albums erwähnt, da das Wort Altersweisheit für den seit diesem Mittwoch frischgebackenen Sechzigjährigen offenbar ein Fremdwort ist. „Dein Alter sollte dich nicht beeinflussen. Du bist entweder wunderbar oder langweilig, egal wie alt du bist“, sagte er im britischen „Telegraph“ zu diesem Umstand. Auch dieses Statement zeugt immerhin von einer gewissen Entschiedenheit, bringt allerdings bei der nach wie vor gänzlich unbeantworteten Gretchenfrage, wie weit man Künstler und Werk voneinander trennen sollte, kein Stück weiter.

Zudem der Wutbürger Morrissey sich auf seinem an diesem Freitag erscheinenden Werk „California Son“, einem ausschließlich mit Coverversionen bestrittenen Album, ausgerechnet der Protagonisten einer linken Revolte bedient. Er covert Lieder von Bob Dylan und Joni Mitchell, als Gäste begrüßt er Ed Droste von der feinen Alternativeband Grizzly Bear und Billie Joe Armstrong von der amerikanischen Punkband (!) Green Day.

Musikalisch bleibt er sich treu

Der stets blendend gekleidete Dandy Morrissey bleibt musikalisch der ausladenden Geste treu. Quasi in eine Gala-Uniform hat er die Songs aus den sechziger und siebziger Jahren gesteckt, Eleganz versprüht jeder der kristallklar aufgenommenen, in ein samtenes zeitgenössisches Popmusikgewand gemantelten und ebenso sorgfältig wie überraschend ausgewählten Songs. Toll klingt seine Version von „Suffer the little Children“ der längst vergessenen kanadisch-indianischen Songwriterin Buffy Sainte-Marie ebenso wie sein transparenter und noch immer herausragender Bariton in Roy Orbisons umso wohlbekannterem „It’s over“. Leichtfüßig federnd singt er sich mit Billie Joe Armstrong durch den „Wedding Bell Blues“, die Croonergesten lebt er in Burt Bacharachs „Loneliness remembers what Happyness forgets“ aus, das sich gemeinsam mit den anderen zwölf Songs aus sehr unterschiedlichen Federn zu einem verblüffend einheitlichen Guss fügt.

Morrissey ist und bleibt zumindest musikalisch ein ganz Großer. Dass er ans Ende des Albums ausgerechnet den Titel „Some say I got Devil“ der Woodstock-Veteranin Melanie Safka platziert hat – selbst das zeugt bei diesem so janusköpfigen Musiker von echtem Stil.