Eine neue Zeugin könnte die Ermittlungen über das Attentat auf dem Oktoberfest 1980 wieder aufleben lassen. Vielleicht gibt es doch mehrere Täter.

München - Es ist ein lauer Freitagabend, als sich am 26. September 1980 viele Besucher der Wiesn auf den Heimweg machen. Als sie gegen 22.20 Uhr den Haupteingang zum Oktoberfest passieren, detoniert in einem Papierkorb am Wegrand eine Bombe. Die Druckwelle und umherfliegende Metallteile zerfetzen Körper in der Nähe des Papierkorbs. 13 Menschen sterben, weitere 211 werden verletzt.

 

Noch in der Nacht werden alle Spuren, die der Anschlag hinterlassen hat, beseitigt. Gut zwölf Stunden nach der Explosion, gegen 11 Uhr am 27. September, strömen schon wieder Tausende Oktoberfestbesucher durch den Haupteingang. Über Nacht hat man das Blut der Opfer von der Straße gewaschen, von der Bombe beschädigte Steinplatten sind gegen neue ausgetauscht worden. Die Show muss weitergehen.

Zwölf Stunden danach ist nichts mehr zu sehen

Die Eile der CSU-regierten Münchner Stadtverwaltung beim Verwischen der äußeren Spuren des Anschlags überträgt sich wohl auf die Ermittler. Keine drei Wochen nach der Tat legen sich Bundesanwaltschaft und die vom bayerischen Landeskriminalamt eingesetzte Sonderkommission „Theresienwiese“ darauf fest, dass der bei der Explosion ums Leben gekommene Neonazi Gundolf Köhler als Einzeltäter gehandelt habe. Alle Aussagen und Indizien, die dem widersprechen – und es gibt mehrere – werden als unglaubwürdig oder nicht verifizierbar abgetan.

Für den Journalisten Ulrich Chaussy bleibt vor allem das Verhalten der Bundesanwaltschaft ein Rätsel. „Dass die bayerischen Ermittler sich aus politischer Rücksichtnahme auf die Einzeltätertheorie zurückzogen, lässt sich nachvollziehen, da die Behörden des Freistaats über Jahre die Gefahr von rechts heruntergespielt hatten“, sagt Chaussy am Sonntag auf einer Podiumsdiskussion in Berlin. „Aber warum blieb der Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, als seine Behörde 1981 sämtliche Akten und Asservate aus Bayern erhielt, so seltsam untätig?“ Offenbar sei es politisch nicht gewollt gewesen, sich einzugestehen, dass es in Deutschland Rechtsterror gibt. Der 62-jährige Journalist des Bayerischen Rundfunks sieht darin Parallelen zu den heutigen NSU-Ermittlungen, wo sich die Behörden auch auf die Theorie einer autark handelnden Dreierzelle versteifen.

Chaussy geht seit mehr als drei Jahrzehnten akribisch allen Ermittlungsfehlern und Hinweisen auf weitere Mittäter nach. Sein Buch „Oktoberfest – Das Attentat“ gilt inzwischen als Standardwerk. Chaussys Recherchen förderten auch zu Tage, dass die Ermittlungsbehörden nahezu alle Asservate des Attentats vernichten ließen. „Ein unglaublicher Skandal, der eine Aufklärung des Attentats unmöglich macht“, wie der Journalist sagt.

Die Spuren am Tatort sind alle entsorgt

Schon im Februar 1981 etwa warf die bayerische Polizei 48 Zigarettenkippen sechs verschiedener Sorten weg, die man in Köhlers Auto gefunden hatte und die Beleg sein können dafür, dass der Attentäter Komplizen gehabt haben könnte. Entsorgt wurden auch Metallsplitter der Bombe, weil an ihnen mit den damaligen technischen Möglichkeiten keine Reste des bis heute nicht identifizierten Sprengstoffs festgestellt werden konnten.

Verschwunden sind auch die Reste einer Hand, die man 25 Meter vom Explosionsort entfernt fand. Sie sind zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt in der Münchner Rechtsmedizin zusammen mit anderen Leichenteilen entsorgt worden, teilte die Bundesregierung jetzt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion mit. Fingerabdrücke dieser Hand fanden sich auf Unterlagen in Köhlers Wohnung – jedoch nicht in seinem Auto, mit dem er zum Anschlagsort fuhr. Ein starkes Indiz für einen zweiten Täter.

Täterwissen im Spind

So sieht es auch der Münchner Rechtsanwalt Werner Dietrich, der Opfer des Anschlags vertritt. Zweimal ist er seit 1983 mit Anträgen auf eine Wiederaufnahme der Ermittlungen gescheitert. Im September unternahm er einen dritten Anlauf. Diesmal stehen die Chancen gut. Seit Januar hatte der Anwalt 28 Ordner mit den bis dahin unter Verschluss gehaltene Akten des bayerischen LKA auswerten dürfen. Die brachten neue Spuren. Damit begründete Dietrich seinen Wiederaufnahmeantrag. So gibt es mehrere Zeugen, die Köhler vor dem Anschlag in Begleitung von zwei Männern sahen. Erst jetzt ist die Aussage einer Zeugin bekannt geworden, die einen möglichen Mittäter benennen konnte. Die Frau, eine Theologin aus München, habe damals als Studentin Sprachkurse gegeben. Im Spind eines ihrer Schüler habe sie nur einen Tag nach dem Anschlag zufällig Waffen und Flugblätter mit einem Nachruf auf den „Heldentod“ des Attentäters Gundolf Köhler gesehen – zu einem Zeitpunkt, als der Name des Täters gar nicht bekannt war.

Sollte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen wieder aufnehmen, müsste er auch die Unterlagen der Geheimdienste sichten, die beim Verfassungsschutz, beim BND und im Bundeskanzleramt lagern. Das hat die Regierung jetzt zugegeben.