Als gäbe es keine Metoo-Debatte, keinen Rassismus, keine Serien-Konkurrenz: Bei den Academy Awards hat Hollywood sich gekonnt seiner selbst vergewissert.

Stuttgart - Die Show muss weitergehen, und „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ (13 Nominierungen, vier Oscars) steht für alles, was die Traumfabrik groß gemacht hat. Der in den 60er Jahren angesiedelte Film ist inszeniert im Stil der Goldenen Ära Hollywoods, er beschwört in der Romanze zwischen einer stummen Putzfrau und einem Amphibienwesen aus dem Amazonas Toleranz gegenüber dem Fremden, er bietet beinharte weiße Cowboys auf, die genau das verteufeln und bekämpfen – und zeigt in einer Nebenrolle ein prächtiges Kino, das mehr Zuschauer verdient hätte.

 

Eleganter kann man Krisen nicht überspielen: 2016 protestierten die Afroamerikaner, weil sie bei den Oscars notorisch unterrepräsentiert waren, 2017 die Frauen gegen männliche Übergriffe im Filmgeschäft, nachdem die Entgleisungen des Produzenten Harvey Weinstein publik geworden waren. Qualitätsserien machen dem Kinofilm massiv Konkurrenz, und im vorigen Jahr wurden bei den Academy Awards auch noch die Umschläge vertauscht: Minutenlang feierte man „La La Land“ als besten Film, ehe sich herausstellte, dass der afroamerikanische Beitrag „Moonlight“ gewonnen hatte.

Nun steht nun der aus Mexiko stammende Regisseur Guillermo Del Toro am Mikrofon, der für „Shape Of Water“ auch den Regie-Oscar bekommt, und beschwört nicht nur seine Liebe zum Film, sondern auch den Amerikanischen Traum: „Ich bin ein Immigrant“, sagt er, „unsere Kunst und unsere Industrie überwinden Abgrenzungen.“ Er sei aufgewachsen mit Filmen von Steven Spielberg, „der einmal gesagt hat: Wenn du dich bei den Oscars wiederfindest, bist du Teil eines Vermächtnisses. Darauf bin ich sehr stolz.“ Dann ermutigt er junge Filmemacher, „die davon träumen, wahrhaftige Geschichten über die Welt von heute zu erzählen: Ihr könnt es, tut es!“

Das hätte sich niemand schöner ausdenken können. Und weil die Preise äußerst salomonisch verteilt sind, fällt gar nicht sehr auf, dass sich die Afroamerikaner unter den großen Preisen mit dem fürs beste Originaldrehbuch (Jordan Peele für die Horror-Satire „Get Out“, vier Nominierungen) zufriedengeben müssen. Das Drama „Mudbound“ (vier Nominierungen) und die erste in der Kategorie Kamera nominierte Frau Rachel Morrison gehen leer aus – wobei es für sie keine Schande ist, gegen Roger Deakins zu verlieren, der „Blade Runner 2049“ (fünf Nominierungen, zwei Oscars) ins Bild gesetzt hat. Überhaupt ist die Konkurrenz so stark, dass wohl auch Greta Gerwig (34), Debütantin im männlich dominierten Regiefach, verschmerzen dürfte, dass ihre Frauen-Tragikomödie „Ladybird“ (fünf Nominerungen) ohne Oscar blieb.

Afroamerikanern wird besonders engagiert applaudiert

Viel wichtiger ist die spürbare klimatische Veränderung: Wirkte es früher oft so, als wären Frauen bei der Gala vor allem Dekoration und Afroamerikaner eher geduldet, so demonstriert Hollywood 2018 große familiäre Einigkeit. Wenn schwarze Nominierte präsentiert werden, wird im Saal besonders engagiert applaudiert.

Der Sache der Frauen nimmt sich Frances McDormand an. Sie spielt in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (sieben Nominierungen, zwei Oscars) eine Mutter, die Sühne einfordert für den Mord an ihrer misshandelten Tochter. Ihren zweiten Hauptrollen-Oscar nach „Fargo“ (1996) stellt sie neben sich auf die Bühne, wo er auf einmal sehr klein wirkt, dann lässt sie alle Frauen im Saal aufstehen: „Schaut euch um“, ruft sie den männlichen Kollegen zu, „wir haben alle Geschichte zu erzählen und Projekte, die finanziert werden wollen!“

Moderator Jimmy Kimmel greift alle Themen auf

„Ich hoffe, sie bekommt für diesen Auftritt einen Emmy“, kommentiert der gut aufgelegte Jimmy Kimmel, nach 2017 ein weiteres Mal Moderator. Virtuos bearbeitet er die in der Luft liegenden Themen: „Guillermo sei Dank werden wir uns an dieses Jahr als dasjenige erinnern, in dem es die Männer derart versaut haben, dass die Frauen anfingen, sich mit Fischen zu verabreden“, sagt er. Der Oscar sei aus gutem Grund „der beliebteste und respektierteste Mann Hollywoods, schaut ihn euch an: Er lässt die Hände da, wo man sie sehen kann, sagt nie etwas Unanständiges und hat vor allem keinen Penis!“ Zur wunderbaren leichtfüßigen, schwulen Sommerromanze „Call Me By Your Name“(vier Nominierungen, Oscar für James Ivory fürs beste adaptierte Drehbuch) sagt Kimmel mit Blick auf den erzkonservativen Vizepräsidenten der USA: „Wir machen solche Filme nicht, um Geld zu verdienen, sondern um Mike Pence zu ärgern.“

Wesentlichen Anteil an der Wirkung von „Shape of Water“ hat die Musik des Filmkomonisten Alexandre Desplat: Er verwebt seinen nuancierten Score mit Songs aus dem Amerikanischen Songbook, auch sein Oscar ist hochverdient. Auf der Bühne dankt er Del Toro dafür, „dass du die Musik zur Stimme für deine Figuren gemacht hast“ – die Liebenden im Film sind beide sprachlos. Der Engländer Gary Oldman bekommt seinen ersten Oscar für seine überragende Charakterdarstellung des britischen Premierministers Winston Churchill im Historiendrama „Die dunkelste Stunde“. Er dankt seiner Mutter für „die Liebe und die Unterstützung“ und sagt: „Setz den Teekessel auf, ich bringe einen Oscar mit nach Hause!“

Der Coup des Abends: ein Dank an die Kinobesucher

Bei den Präsentatoren fallen vor allem die Frauen auf. Jane Fonda (80) und Helen Mirren (72), die beide blendend aussehen, würdigen die Veränderungen im Geschlechterverhältnis, Jody Foster (55) und Jennifer Lawrence (27) fingieren sehr amüsant einen kleinen Zickenkrieg mit der alle überstrahlenden, bereits zum 21. Mal nominierten Meryl Streep (“Die Verlegerin”, zwei Nominierungen) , und Sandra Bullock (53) sagt selbstironisch: „Dimmt das Licht, damit ich wieder aussehe wie 40.“

Der Coup des Abends gelingt Jimmy Kimmel mit einer Aktion zum Dank an alle Kinobesucher. Mark Hamill („Star Wars“), „Emily Blunt“ („The Edge of Tomorrow“) , Gal Gadot („Wonder Woman“), Armie Hammer („Call Me By Your Name“) und andere folgen ihm vom Dolby Theater ins Chinese Theater nebenan, wo sie Snacks verteilen an reguläre Kinozuschauer, die völlig aus dem Häuschen geraten ob der Wertschätzung. Solche Momente enormer Intensität sind eine Spezialität der Oscars.

Das Finale gelingt unfallfrei

Dazu gehört auch das Gedenken Hollywoods an seine Toten: Zu den Gesichtern von Harry Dean Stanton, Jonathan Demme, Michael Ballhaus, Martin Landau, Roger Moore, Sam Shepard, Jeanne Moreau und Jerry Lewis intoniert der Rocksänger Eddie Vedder gefühlig „Room at the Top“, einen Song des ebenfalls 2017 verstorbenen Tom Petty.

Auch das Finale gelingt diesmal unfallfrei. „Was voriges Jahr passiert ist, ist Waterhouse under the bridge“, scherzt Kimmel, indem er den Namen der Umschlaghüter von Price Waterhouse Coopers (PWC) mit der englischen Redewendung für „Schnee von gestern“ verquickt. Wie 2017 sind es Faye Dunaway und Warren Beatty, die den besten Film verkünden – „so schön, euch wiederzusehen“, witzelt Beatty und kämpft schelmisch ein wenig mit dem Umschlag – dann ist die Zeremonie erfolgreich und harmonisch vollbracht.

Die schönste Anekdote des Abends liefert Sam Rockwell, der für seine Rolle als tumber, aber wandlungsfähiger Polizist in „Three Billboards“ den Nebenrollen-Oscar bekommt. Seine Eltern hätten früh die Liebe zum Film in ihm entfacht, sagt er: „Als ich acht war, musste ich zum Rektor. Da war mein Vater und sagte sehr ernst: Wir müssen gehen, wegen Oma. Im Auto fragte ich: Was ist mit ihr? Und er sagte: Gar nichts, wir gehen ins Kino.“