Das Zahnradbahngespräch mit Prominenten aus dem Sport: auf dem Weg nach oben erzählen sie von ihren Karrierehöhepunkten, auf dem Weg nach unten von Tiefpunkten – diesmal: Deutschlands Fußballanwalt Nummer eins.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Christoph Schickhardt kann nicht anders: Er denkt manchmal in Schlagzeilen. Beim Einsteigen in die Zahnradbahn fällt ihm zum Beispiel diese ein: Fußballanwalt beim Schwarzfahren erwischt. Und deshalb vergewissert sich Christoph Schickhardt vorsichtshalber: „Wir haben doch Fahrscheine?“ Haben wir. Außerdem haben wir auch schnell die Erklärung, warum Deutschlands bekanntester Sportjurist weiß, wie kernige Zeitungsüberschriften entstehen. Neben seinem Jurastudium in Tübingen hat er als Sportberichterstatter bei den „Stuttgarter Nachrichten“ gearbeitet. „Ich weiß, wie die Medien ticken“, sagt Schickhardt mit einem Lächeln: „Im Journalismus gibt es häufig nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse. . .“ Oder auf und ab, wie im Zahnradbahngespräch, bei dem Prominente aus dem Sport über Höhe- und Tiefpunkte in ihrer Karriere berichten.

 

Es ist am Anfang gar nicht so einfach, Christoph Schickhardt am Marienplatz in die entsprechende Spur Richtung Degerloch zu bekommen. „Bei mir lassen sich die Höhepunkte nicht so leicht von den Tiefpunkten trennen. Jeder Arbeitstag ist ein Auf und Ab. Ein Anwalt, der nur von Erfolgen zu berichten weiß, lügt – oder er hat es nur mit unbedeutenden Fällen zu tun.“

Weil Christoph Schickhardt aber a) ein ausgesprochen höflicher Mensch ist und b) weiß, wie das Zahnradbahngespräch funktioniert, geht er dann doch noch streng nach Fahrplan vor und berichtet zunächst von seinen beruflichen Höhepunkten. Zum Beispiel davon, wie er es geschafft hat, in Frankfurt Heldenstatus zu erlangen. 2002 war die Insolvenz und der Zwangsabstieg der Eintracht beschlossene Sache. Mit 8:0 Stimmen hatte sich das DFL-Gremium für den Entzug der Lizenz ausgesprochen. „Ich mag die scheinbar aussichtslosen Fälle“, sagt der 58-jährige Ludwigsburger, der seine Aufgabe nicht allein im juristischen Bereich sieht. „Die depressive Stimmung verjagen, Mut machen, versuchen, die Presse mit ins Boot zu holen“, lautet Schickhardts Begleitprogramm in der Krise. Und so fand er in Frankfurt erst Geldgeber und dann auch noch Schwächen in der DFL-Begründung, was in der Summe zur Eintracht-Rettung führte.

Allein gegen alle – Schickhardts Lieblingsrolle

Zuvor hatte er Hertha BSC schon in ähnlicher aussichtsloser Lage gerettet, und das ausgerechnet am Tag, als Berlin zur Bundeshauptstadt ernannt wurde. „Das war ein Höhepunkt, das hat mir gefallen.“ sagt Christoph Schickhardt. Und der VfL Wolfsburg hört heute noch, 21 Jahre nachdem es bei einem Lizenzkrimi ebenfalls um Kopf und Kragen ging, auf seinen Rat.

Allein gegen alle – diese Rolle gefällt Schickhardt. „Aber ich muss auch ein bisschen aufpassen, dass ich sie nicht überzeichne.“ So wurde Schickhardt, als er Michael Kempter gegen Manfred Amerell im Schiedsrichter-Schmuddelprozess verteidigt hat, vom Richter mit den Worten gemaßregelt: „Herr Schickhardt, wir sind hier am Landgericht Hechingen und nicht in einer amerikanischen Gerichtsserie.“ Er sei eben emotional und wohl auch deshalb im oft von Gefühlen bestimmten Sport gelandet, sagt Schickhardt mit einem entschuldigenden Achselzucken und einem sympathischen Grinsen.

Enthusiastisch ist er immer noch – auch nach rund 700 Fällen vor dem DFB-Sportgericht. Damit ist er Deutschlands gefragtester Sportrechtler. Nur selten wird eine Rote Karte ohne ihn verhandelt, ebenso wenig wie Zuschauerausschreitungen oder Phantomtore. „Robert Hoyzer hätte ich auch verteidigt“, sagt Schickhardt. Das ging allerdings nicht, weil vom betrügerischen Schiedsrichter Vereine betroffen waren, die zu seinen Mandanten zählen. Zum Fall Hoyzer sagt Schickhardt: „Jedem steht ein ordnungsgemäßer Rechtsschutz zu. Nur so kann ein Urteil gesprochen werden, das beiden Seiten gerecht wird.“

Aus Mandanten werden Freunde

Kurz bevor es am Zacke-Wendepunkt in Degerloch mit Christoph Schickhardt bergab geht, spricht er noch über die schönen Seiten seines Berufs: die Zusammenarbeit mit den Trainern Joachim Löw und Armin Veh und mit Hannovers Präsident Martin Kind. „Da sind aus Mandanten Freunde geworden“, sagt Schickhardt, der für Kontinuität im schnelllebigen Fußballgeschäft steht. „Armin Veh hat einmal Folgendes zu mir gesagt: ‚Als ich mit dem VfB Meister wurde, wollte beim Autocorso jeder zu mir in den Wagen steigen, nach der Entlassung warst aber nur du da, als ich meinen Spind ausgeräumt habe.‘“ In guten und in schlechten Zeiten, sagt Christoph Schickhardt, dem es wichtig ist, als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden. „Das ist entscheidend.“ Wichtig ist ihm auch, dass jetzt nicht der Eindruck entsteht, die Nähe zur Sportprominenz würde ihm einen besonderen Kick geben. „Ich halte mich für uneitel, Statussymbole bedeuten mir überhaupt nichts.“

Die Zacke hat sich wieder in Bewegung gesetzt, es geht zurück in Richtung Marienplatz. Herr Schickhardt, kommen wir zu den Tiefpunkten. „Große Enttäuschungen sind für mich Fälle, in die ich viel investiert und am Ende doch nichts erreicht habe“, sagt er und zählt die vergeblichen Anstrengungen bei Dynamo Dresden, Waldhof Mannheim und in Saarbrücken auf. „Da ist es immer auch um Arbeitsplätze auf den Geschäftsstellen gegangen, die nicht gerettet werden konnten.“

Sein Aufgabengebiet als Sportanwalt sei aber lange nicht so bedrückend wie die Erfahrung, die er zuvor im Familienrecht gemacht hat, sagt Schickhardt. „Da ist ein in Scheidung lebender Vater von seinem Wohnort in New York nach Darmstadt geflogen, um seinen kleinen Sohn zu sehen. Die Mutter hat ihn wieder unverrichteter Dinge weggeschickt – mit der Begründung, das Kind habe Schnupfen. Wenn Kinder im Spiel sind, hört bei mir der Spaß auf.“

Er liest keine Romane, er erlebt Romane

„Ich lese viel“, sagt Christoph Schickhardt, „am liebsten politische Sachbücher, nie Romane. Das wirkliche Leben ist spannender und unglaublicher als jeder Roman.“ Und er hat Bilder im Kopf. Zum Beispiel jenes traurige Bild von einer verlassenen und dunklen Halle in Helsinki. Dort sitzt Christoph Schickhardt mit dem Boxer Arthur Abraham. Der hat hier vor Stunden den WM-Serienkampf gegen den Engländer Carl Froch verloren und muss noch zur Dopingkontrolle, kann aber nicht.

Gemeinsame Niederlagen, wie jene vor drei Jahren, schweißen zusammen. Diese Erfahrung hat Christoph Schickhardt mit seinen Boxern gemacht, zu denen auch Luan Krasniqi und Firat Arslan zählen. Auch für sie ist er nicht nur Anwalt. „,Was bist du eigentlich von Beruf?‘, das fragt mich meine Partnerin, wenn ich nachts mal wieder von einem Mandanten angerufen werde.“ Die Antwort lautet wohl: ein gut bezahlter Helfer, der dafür aber auch rund um die Uhr zur Verfügung steht.

Marienplatz, Endstation. Noch auf einen Espresso ins Café Kaiserbau? „Gerne, ich habe mir den ganzen Vormittag frei gehalten“, sagt Christoph Schickhardt, der nicht unglücklich darüber zu sein scheint, nun ganz ohne die thematische Auf-und-Ab-Vorgabe plaudern zu können. Und dann erzählt er von seiner Verbundenheit zu Ludwigsburg und davon, dass er es bedauert, nicht besser Englisch sprechen zu können. Von seiner Arbeit als Verwaltungsratsvorsitzender der Gerald-Asamoah-Stiftung für herzkranke Kinder in Afrika und von Krzystof Nowak. Der Spieler des VfL Wolfsburg starb 2005 an ALS, einer unheilbaren Erkrankung des motorischen Nervensystems. Christoph Schickhardt nutzte seine Kontakte zu Bayern München , um ein Benefizspiel für Nowaks Familie mit zu verabreden. „Ich erlebte dabei das kürzeste Telefonat meiner Karriere. Als ich Uli Hoeneß fragte, ob der FC Bayern für eine solche Partie zur Verfügung stünde, sagte der nur: ‚Ja, außerdem übernehmen wir alle Kosten‘, und legte wieder auf.“

Bis zur A-Jugend spielte Christoph Schickhardt selbst Fußball bei seinem Heimatverein 07 Ludwigsburg. „Engagiert, aber untalentiert“, sagt er. Hartnäckig und frech ist der junge Christoph Schickhardt auch gewesen. Als Schülerzeitungsredakteur lernte er auf einer Veranstaltung den damaligen Staatssekretär, späteren Kultus- und Finanzminister sowie VfB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder kennen. Schickhardt nahm MV beim Wort, als der sagte, er könne sich bei ihm jederzeit melden. Christoph Schickhardt meldete sich bei Mayer-Vorfelder, und zwar als er bei der WM 1974 vor dem Neckarstadion stand, aber keine Karte für das Spiel Polen gegen Italien besaß. Der 19-Jährige bat einen Ordner, MV zu suchen, auf dass der ihm Einlass verschaffe. Tatsächlich erschien Mayer-Vorfelder, lotste Schickhardt auf die Tribüne – und mutmaßte noch, dass so einer bestimmt seinen Weg gehen werde.