Das Zahnradbahngespräch zur Abwechslung einmal in ganz ungewohnter Umgebung: auf der Fahrt mit der bayerischen Zugspitzbahn spricht der deutsche Skistar Felix Neureuther über Höhepunkte und Tiefpunkte in seiner Karriere.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Garmisch-Partenkirchen - Was ARD und ZDF können, das hat die Stuttgarter Zeitung auch drauf und reagiert nun an dieser Stelle auf die immer beliebter werdenden Urlaubs-Specials im Fernsehen. Die StZ-Antwort auf den „Musikantenstadl“ aus Pula oder den „Fernsehgarten“ auf Teneriffa heißt: „Zahnradbahngespräch unter der Zugspitze“. In der Rolle des interviewten Gastgebers: Felix Neureuther, Deutschlands populärster Skifahrer. „Servus, ich bin der Felix“, begrüßt der Neureuther Felix einen an der Zahnradbahnhaltestelle Eibsee, die 15 Autominuten entfernt liegt von seinem Wohnort in Garmisch-Partenkirchen. Nicht am Stuttgarter Marienplatz wie sonst üblich, sondern am Fuße von Deutschlands höchstem Berg beginnt das Zahnradbahngespräch – diesmal für Fortgeschrittene. Nicht nur die Strecke, auch die Preise sind hier hochalpin. 52 Euro pro Person werden aufgerufen für die Fahrt bis zum Zugspitzplatt, das direkt unter den 2962 Meter hohen Gipfel liegt, und die Abfahrt wieder zurück. Daneben macht auch die Fahrzeit von 90 Minuten für die Berg-und-Talfahrt vom Eibsee aus den Unterschied zum Stuttgarter Original (Fahrzeit 25 Minuten) deutlich.

 

Der Gesprächsfahrplan ist aber derselbe wie in Stuttgart, auf der Fahrt nach oben soll es zunächst um die Höhepunkte in Felix Neureuthers Karriere gehen. Trotzdem beginnt die Unterhaltung eher ungewöhnlich. „Meine größten Erfolge sind das bestandene Abitur und die A-Jugend-Fußballmeisterschaft mit dem 1. FC Garmisch-Partenkirchen“, sagt der Slalomspezialist und fügt hinzu: „Die positiven Überraschungen haben schon was.“

Ein Gespräch mit Felix Neureuther hat auch was. Mit seiner unverkrampften Art sorgt der 31-Jährige gleich für eine vertraute Atmosphäre. Und bevor er in der Zugspitzbahn auf seine skifahrerischen Erfolge zu sprechen kommt, sagt er noch: „Titel haben für mich nicht die ganz große Bedeutung. Eine Horrorvorstellung von mir ist es, wie so viele am Ende da zu stehen und nichts zu sein außer Ex-Sportler.“ Und dann sagt er dieses Wort, das so etwas wie ein Leitmotiv in seinem Leben zu sein scheint: „Nachhaltigkeit“.

Der Porsche bleibt in der Garage

Felix Neureuther erzählt davon, dass er auch neben der Piste überzeugen will, dass er deshalb immer für Fotos oder ein Gespräch mit den Fans zu haben sei. „So etwas bleibt länger in Erinnerung als irgendeine Medaille“, sagt er und erzählt dann von seien berühmten Eltern Christian Neureuther und Rosi Mittermaier, die ihn nie zum Skifahren gedrängt hätten; von seiner Schwester Ameli, die Modedesignerin ist, von seiner Freundin, der Biathletin Miriam Gössner, und seinen Garmischer Freunden, die er „die Jungs“ nennt und zu denen unter anderem „der Kink Marcus“ und „der Buchwieser Martel“ gehören, die eben erst mit den Adler Mannheim Meister geworden sind. Und von seiner Heimatverbundenheit. „Hier fühl ich mich wohl, eine Großstadt kommt für mich als Lebensmittelpunkt nicht in Frage.“ Er wisse, dass er ein sehr privilegiertes Leben führe, sagt Neureuther, „mit tollen Menschen um mich rum“, und spricht dann erst von Demut – und dann von seinem Porsche: „Dieses Auto war ein Kindheitstraum, den ich mir erfüllt habe. Ich benutze den Porsche aber praktisch nicht mehr. Wenn ich den Wagen fahre, habe ich das Gefühl, mich über alle anderen zu stellen, die sich so ein Auto nicht leisten können. Genau das möchte ich nicht.“

Die Zugspitzbahn hat auf ihrer Bergfahrt die vorletzte Haltestelle namens Riffelriß erreicht. Höchste Zeit also, auf die weiteren Höhepunkte in der Karriere von Felix Neureuther zu sprechen zu kommen. Da fällt ihm zunächst das Jahr 2003 ein, als er in Madonna di Campiglio mit 19 Jahren als Achter des Slaloms die ersten Weltcuppunkte holte und bei der WM in St. Moritz im zweiten Lauf die Bestzeit fuhr, was ihm Platz 15 einbrachte. „Ich merkte, dass ich das Zeug für die Weltspitze habe, das war ein schönes Gefühl.“ Und das wurde immer besser. „Sehr gut gefallen hat mir auch der Slalom in Beaver Creek 2006. Ich fuhr dort aufs Podium und stellte dann begeistert fest, dass ich gerade Dritter beim einzigen Rennen geworden bin, wo das Preisgeld bar ausgezahlt wird. Ich weiß noch genau, wie ich ‚cash please’ sagte und mich ziemlich gut dabei fühlte.“

Das Familienrennen in Kitzbühel

Emotionaler wurde es 2010 beim Weltcup-Slalom-Klassiker in Kitzbühel, den Felix Neureuther gewann. „Hier siegte schon mein Vater, der im Ziel auf mich zugestürmt kam und mich umarmte. Normalerweise kommen die Eltern ja nicht zu meinen Rennen, auch deshalb war dieser Sieg etwas ganz Besonderes, etwas Familiäres für mich.“ Dieser Moment wird auf Felix Neureuthers persönlicher Highlight-Skala nur noch vom WM-Slalom 2013 getoppt. In Schladming bringen 50 000 Fans einen ganzen Berg zum Beben. „Das war im Starthaus vor dem zweiten Lauf die extremste Situation, die ich erlebt habe“, erzählt Neureuther, der dem Druck standhält und zu Silber fährt. Gold holt Marcel Hirscher, der österreichische Dauerrivale, der für Felix Neureuther aber vor allem ein Freund ist.

Anfang dieses Jahres holt Neureuther mit Bronze in Vail seine zweite WM-Medaille, die für ihn allerdings keine besondere Bedeutung hat. „Ich bin nicht gut gefahren, ich verbinde nicht viel mit diesem dritten Platz“, sagt er und versichert außerdem glaubhaft, dass es für ihn keinen Wert darstelle, mit mittlerweile elf Weltcupsiegen der erfolgreichste deutsche Skifahrer zu sein. Es gibt Themen, die ihm wichtiger sind. Die haben mit Kindern zu tun. Er engagiert sich für das Programm „fit4future“, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kindern, die nichts mit Sport zu tun haben, Freude an der Bewegung zu vermitteln. Dasselbe gilt für die Buchreihe „Beweg dich schlau“ , an der er ebenso mitwirkt wie an Skicamps. „Da stecken nachhaltige Konzepte dahinter. Ich weiß selbst, wie mich als Kind ein Skitraining mit Hugo Nindl motiviert hat. Den kennen wahrscheinlich viele nicht, aber für mich ist er ein ganz Großer.“ Die Zahnradbahn hat ihren Wendepunkt am Zugspitzplatt erreicht – und jetzt wird es voll im Abteil.

Als Erstes getraut sich eine Auswandererfamilie, die in Australien lebt und gerade auf Heimaturlaub in Bayern ist, den prominenten Mitfahrer anzusprechen. Es werden Fotos mit dem Star ohne Allüren gemacht, und nebenher testet Felix Neureuther gleich noch die Englischkenntnisse des kleinen Sohnes. „Hört sich doch schon sehr gut an“, findet er und lacht. Was andere Mitfahrer animiert, Fotos zu machen. Felix Neureuther lockere Art kommt an. Was die Frage aufwirft: Gibt es jemanden, der ihn nicht leiden kann? Weil Felix Neureuther spontan niemand einfällt, wird gemeinsam an einer Antwort gearbeitet. Das Ergebnis: eine Ex-Freundin, aber selbst das scheint nicht ganz sicher zu sein.

Sotschi und die bittere Vorgeschichte

Kommen wir zu den Tiefpunkten in der Karriere. Schließlich hat sich die mit vielen Touristen besetzte Zugspitzbahn auf die Talfahrt gemacht. Jetzt geht es um die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi und Felix Neureuthers persönliche Vorgeschichte, die auf der Autobahn zwischen Garmisch und München ihren dramatischen Lauf nimmt. Es ist der 14. Februar 2014, früher Morgen. Felix Neureuther ist auf dem Weg zum Flughafen in München, von wo aus er zu den Spielen in Russland starten will. Mit ihm Auto: seine Freundin Miriam Gössner. Auf Blitzeis gerät der Wagen ins Schleudern und kracht in die Leitplanken. Felix Neureuther, der zu diesem Zeitpunkt in der Form seines Lebens und Favorit auf Slalom-Gold ist, verliert seine Medaille bereits zuhause – auf Höhe der Ausfahrt Starnberg. Neben einem Schleudertrauma und gebrochenen Rippen sieht sich Neureuther auch noch dem Vorwurf der Fahrerflucht ausgesetzt. „Obwohl kein anderes Auto in den Unfall verwickelt war“, sagt Neureuther, der in München angekommen von einer Schar von Journalisten sowohl zum Arzt als auch zur Polizei begleitet wird. „Das war der absolute Wahnsinn“, erinnert er sich an die Tage, als es im deutschen Sport praktisch kein anderes Thema als diesen Unfall gab.

Felix Neureuther entschließt sich, nach Sotschi nachzureisen und dann auch zu starten. Im olympischen Riesenslalom belegt er stark angeschlagen Platz 8, in seiner Paradedisziplin Slalom scheidet er auf Rang sieben liegend im zweiten Durchgang aus. „An Sotschi habe ich – wenn überhaupt – nur schlechte Erinnerungen. Weil ich starke Schmerztabletten nehmen musste, war ich häufig in einer Art Dämmerzustand.“ Auf Sotschi hatte er schon von Anfang keine große Lust. Die alles andere als umweltverträglichen russischen Spiele waren ihm ein Dorn im Auge. „Außerdem haben die Menschrechtsverletzungen doch ganz klar gegen Russland gesprochen“, meint Neureuther, der dann einen für Sportler außergewöhnlichen Satz sagt: „Ich hätte es wirklich verstanden, wenn Deutschland die Spiele boykottiert hätte.“

Zu den Tiefpunkten gehört für Felix Neureuther neben Sotschi aber auch die WM 2011 vor der Haustür in Garmisch. „Ich wollte es besonders gut machen und funktionieren wie ein Roboter. Ich habe mich abgeschottet, anstatt die Stimmung zu genießen und aufzusaugen. Das Negativergebnis war ein 34. Platz im Riesenslalom und ein nicht zu Ende gebrachter Slalom.

Reha mit den Schwimmnudel-Rentnerinnen

Und dann kommt er noch zu einer anderen Leidensgeschichte: Felix Neureuther und die Verletzungen. Sein Rücken, eine große Baustelle. Immer wieder Bandenscheibenvorfälle. 2009 geht es ihm so schlecht, dass er drauf und dran ist, die Karriere zu beenden. Er überlegt es sich anders. „Dann pflüge ich halt in der Reha weiter durchs Becken – mit all den Schwimmnudel-Rentnerinnen“, sagt er sich.

Jetzt soll nach den Spielen 2018 Südkorea Schluss sein. Eine olympische Medaille wäre nicht schlecht, aber auch nicht das ganz große Ziel der Träume, sagt Neureuther. Und schade findet er es, dass nicht zuhause der Schlusspunkt gesetzt wird. Er sei aber nicht böse auf die Gegner der Münchner Olympia-Bewerbung, die sich durchgesetzt haben. „Das IOC sollte sich darüber Gedanken machen, dass viele Leute keine Veranstaltung wollen, bei der es in erster Linie um den Profit geht.“

Felix Neureuther macht sich um den Sport viele Gedanken. Das Material interessiert ihn allerdings gar nicht. Er weiß gerade noch, dass er Nordica-Ski fährt. Wie das Modell heißt? „Keine Ahnung, ich glaube, Slalom steht drauf.“ Er habe einen guten Servicemann. Und der weiß offenbar, wie er mit seinem Fahrer umgehen muss. „Er klebt mir immer irgendwelche Nummern auf die Ski. Das hat sicher System. Ich verstehe es allerdings nicht. Ich hatte mal einen Ski mit der Nummer 063, der lief wirklich gut. Ich wollte keinen anderen, obwohl mir mein Servicemann dazu riet. Ich gewann mit der 063 dann ein Rennen und sagte: schau her. Es stellte sich dann allerdings heraus, dass die alte Nummer auf den neuen Ski geklebt war.“ Die Geschichte gefällt Felix Neureuther, dass er nicht nur sich, sondern auch seinem Gegenüber auf den Schenkel klopft.

Und dann heißt es auch schon: Eibsee, aussteigen. „Schön war’s “, sagt Felix Neureuther. Stimmt.