Niedersachsens früherer Ministerpräsident bereitet sich zielstrebig für ein politisches Comeback in Brüssel vor. David McAllister soll bei der Europawahl zum Gegenspieler des SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz aufgebaut werden.

Hannover - Ob Gymnasium oder Gesamtschule, dreigeteilter Bildungsweg oder Einheitsschule – „der Streit darüber ist typisch deutsch“, sagt David McAllister mit leichtem Unterton. Noch nicht lange ist es her, da hat er als niedersächsischer Ministerpräsident leidenschaftlich für das Gymnasium gekämpft. Nun klingt er etwas distanzierter: „In den meisten europäischen Ländern herrscht große Einigkeit über die Schulstruktur, da konzentriert man seine Kräfte auf die Lerninhalte.“ Wenn man sich ein wenig von der nationalen Perspektive löse, sagt er, komme einem manche erbitterte Debatte doch etwas seltsam vor. McAllister selbst löst sich von der deutschen Sichtweise.

 

Am Wochenende hat ihn die niedersächsische CDU zum Spitzenkandidaten für die Europawahl am 25. Mai gewählt. Die Union hat zwar Landeslisten, aber womöglich wird McAllister bundesweit zum Aushängeschild der Christdemokraten für die Europawahl. Damit ist nun offiziell, was sich schon seit Monaten still vollzieht – der Wandel vom Landes- zum Europaparlamentarier. Der 42-jährige Jurist aus Bad Bederkesa bei Cuxhaven ist keiner, der unvorbereitet in eine neue Situation stolpert, und so hat er sich in den vergangenen Wochen intensiv und zielstrebig auf die neuen Aufgaben eingestellt. Ein durchaus stressiger Job war das, denn nebenher war er als Landesvorsitzender der CDU gefordert – und das heißt jede Woche mehrfach Termine in den Kreisverbänden von Göttingen bis Leer, von Helmstedt bis Nordhorn.

Zug um Zug hat er sich dazwischen Freiräume für Europareisen geschaffen. Er traf die führenden Politiker der befreundeten – also christdemokratischen und konservativen – Parteien. In Madrid war er und in Rom, in Warschau, in Budapest und in London, in Paris und in Den Haag. Diese Woche reist er nach Mazedonien und in den Kosovo. Er will Europa kennenlernen, mit eigenen Augen. In Frankreich diskutierte er mit dem neuen Oppositionsführer Jean-Francois Copé von der UMP, der Schwesterpartei der CDU. Seit vergangenen März trainiert sich McAllister die französische Sprache an, mindestens einmal wöchentlich nimmt er Privatunterricht. Aber als er dann mit den Franzosen redete, tat er das zur Sicherheit doch lieber auf deutsch. „Die Fragen allerdings habe ich auf französisch schon gut verstanden.“

Charmeoffensive mit ein paar Sätzen auf holländisch

In Holland, beim Treffen mit dem früheren Ministerpräsidenten Jan-Peter Balkenende, entschied er sich für eine besondere Geste: „Ich sagte zur Begrüßung vier Sätze auf holländisch. Die hatte ich vorher auf langen Autofahrten geübt, als ich eine Lern-CD eingelegt hatte.“ Dieser symbolische Schritt sei „sehr gut angekommen“. Die meisten Menschen im kleinen Holland können deutsch sprechen, viele Deutsche erwarten das auch von ihnen. Aber dass ein Deutscher zu Besuch in den Niederlanden sich holländisch äußert, sei schon eine Ausnahme. „So etwas wird honoriert.“

Man spürt bei McAllister in diesen Tagen, mehr noch als früher, seine diplomatische Zurückhaltung. Früher hat er gern Anekdoten erzählt, aber über seine europäischen Gesprächspartner, Premierminister, Außenminister und Parteichefs, schweigt er lieber. Und er achtet auf die Symbolik: Ihm, dem Deutsch-Schotten, wird von vornherein eine Nähe zu Großbritannien nachgesagt. Tatsächlich pflegt er dorthin viele Kontakte, erst vor wenigen Tagen hat er in London vor dem Club der Schotten gesprochen – darüber, wie wichtig es sei, dass Großbritannien in der EU bleibt.

Aber McAllister will nicht als anglophil erscheinen und nimmt sich daher besonders viele Termine in Frankreich vor: „Mir ist doch auch bewusst, wie wichtig vor allem ein gutes deutsch-französisches Verhältnis für die Stabilität der EU ist.“ Wenn man ihn so reden hört, den früheren Ministerpräsidenten, glaubt man fast schon einen führenden Europapolitiker vor sich zu haben. Tatsächlich dienen seine vielen Besuche in europäischen Staaten der Vorbereitung auf das Bevorstehende: Wenn sich die Fraktionen im Europäischen Parlament nach der Europawahl am 25. Mai neu sortieren, wird der deutsche Neueinsteiger David McAllister vielen schon bekannt sein. Er wird auf der anderen Seite wissen, welche Stärken und Macken die maßgeblichen Politiker aus den anderen EU-Ländern haben. Und mit welchen Problemen sie konfrontiert sind.

Die Rückkehr auf die landespolitische Ebene bleibt offen

Abwegig ist ein wichtiges Amt für McAllister in Brüssel auf keinen Fall: Wie kein anderer deutscher Politiker bewegt er sich selbstsicher auf der europäischen Bühne – denn die englische Sprache musste er, Kind eines Schotten und einer Deutschen, sich nicht mühsam aneignen. Er hat sie von Kindesbeinen an gelernt, früher noch als die deutsche. „Das ist eine Stärke in der Politik, die ich in meinen bisherigen Tätigkeiten gar nicht richtig nutzen konnte.“ Also trifft er Politiker, liest EU-Verträge und Akten, studiert Kommentare zu den europäischen Gesetzen. Vieles liest er auf englisch und stellt fest, wie viel weniger bürokratisch im Vergleich zum deutschen Text doch viele Formulierungen klingen. Er legt sich auch schon gute Argumente für europapolitische Diskussionen zurecht – beispielsweise die Forderung, Europa müsse künftig „mehr in den großen Dingen und weniger in den kleinen“ entscheiden. Also lieber mehr gemeinsame Außenpolitik der EU und weniger Vorschriften über die Kennzeichnung von Obst und Gemüse.

Provokative Zuspitzungen allerdings vermeidet der CDU-Mann bisher. Scharfe Töne hat er freilich bisher schon gemieden. Damit steht er nun ganz im Gegensatz zu Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments und SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl. Fast allabendlich erscheint Schulz in der ARD-Tagesschau und liefert irgendeine prägnante Erklärung zu einem politischen Thema. McAllister hält sich bisher zurück, bleibt noch im Hintergrund. Doch je näher der Wahltermin rückt, desto mehr wird auch er als Europapolitiker medial gefordert sein.

Nicht wenige in der niedersächsischen CDU vermuten, dass sich damit automatisch seine landespolitische Bedeutung abschwächt. McAllister will im September 2014 wieder für den CDU-Landesvorsitz antreten, die Partei dürfte die Frage der Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2017 auch möglichst lange offen halten – vermutlich bis Anfang 2017. Nach den Kommunalwahlen Ende 2016 sieht man dann die Kräfteverhältnisse der Parteien im Lande, heißt es. Mit der Erkenntnis über die Chancen der CDU bei der Landtagswahl fällt auch die Kandidatenfrage leichter. Ob McAllister von Europa nach Hannover zurückkehrt und wieder Ministerpräsident werden will? Das ist nicht ausgeschlossen. Aber wenn er gut ankommt in Brüssel und dort rasch Karriere macht, wird es eher unwahrscheinlich sein.