Nach seiner schweren Wahlniederlage will Niedersachsens bisheriger Ministerpräsident David McAllister eine Pause von der Politik. Er hatte keinen Plan B, war auf das Scheitern mental nicht vorbereitet. Was macht er jetzt?

Hannover - An einem lauen Abend im vergangenen Sommer, nach einem langen Arbeitstag, überkam David McAllister die Sehnsucht nach ein paar Stunden fern der Politik. Er legte seine Krawatte ab, zog Jeans an und verließ die Staatskanzlei. Er schickte die Sicherheitsbeamten nach Hause und ging ganz allein in eine Kneipe in der hannoverschen Nordstadt. Dort bestellte er ein Bier und schaute sich in aller Ruhe ein Fußballspiel im Fernsehen an. „Das war wunderbar“, schwärmt er. Denn niemand habe ihn erkannt, niemand habe „Herr Ministerpräsident“ zu ihm gesagt. Endlich ein Stück normales Leben.

 

Als McAllister das erzählt, leuchten seine Augen. Vielleicht denkt er jetzt gern an solche Momente zurück, weil sie ihm den Abschied erleichtern. Weil sie das Regierungsamt, das er unbedingt verteidigen wollte, als nicht nur erstrebenswert beschreiben. Vor einer Woche noch sah es so aus, als werde McAllister stärker denn je in diesem Politikbetrieb gefordert sein. Hätte er die Wahl gewonnen, wäre er wohl der Supermann der CDU geworden: Kronprinz von Angela Merkel und Symbolfigur für den Erfolg der Christdemokraten. Er hätte sich dann nie mehr aus der Staatskanzlei einfach davonstehlen können. Er wäre gefangen gewesen im Gestrüpp von Mächtigen, Parteifreunden und Abhängigkeiten.

Hunderte von Briefen als Trost

Doch dann ging die Wahl verloren, und McAllister wachte auf in einer anderen Welt. Seit 2003 war er Spitzenpolitiker, erst Chef der CDU-Landtagsfraktion, dann Regierungschef. Ein Rädchen in einem riesigen Getriebe, das sich für ihn immer schneller drehte. Nun ist er hinausgeworfen, steht schwindelig daneben und kann es selbst kaum fassen. Im CDU-Präsidium in Berlin, als ihm viele Trost spenden wollten, kamen David McAllister die Tränen. In der Nacht zuvor hatte er kein Auge zugetan, zu aufwühlend war der dramatische Wahlabend. In der Berliner CDU-Runde saßen mitfühlende Parteifreunde neben solchen, die sich ein ganz dickes Fell zugelegt haben. Kurz nach der Sitzung drang die Nachricht über den weinenden Ministerpräsidenten nach draußen, wurde über Nachrichtenagenturen verbreitet. Für McAllister ist das ein Beispiel dafür, wie abgebrüht und gnadenlos der Berliner Politikbetrieb sein kann, ohne jede Privatsphäre. Dort habe er sich nie zu Hause gefühlt, beteuert er.

McAllister ist niemand, der seine Gemütslage verstecken kann. Wenn es ihm schlecht geht, sieht man es auch. Die ersten Tage nach der Wahl waren grausam. Nach und nach realisierte er, was geschehen war. Er muss eine herbe Niederlage verkraften. Die erste, wenn man von einer erfolglosen Kreistagskandidatur vor Jahren absieht. Jetzt wirkt er gelöst, wie befreit vom Druck, er kann wieder scherzen und lachen. Es sind Hunderte von Briefen, Mails und SMS-Nachrichten, die ihn in diesen Tagen ein wenig aufrichten. Eine Kindergartengruppe hat geschrieben, ein Sportverein und eine Schulklasse. Bekannte Politiker meldeten sich; der langjährige Mitstreiter Christian Wulff aber bisher nicht. Lebensweisheiten wurden ihm übermittelt: „Wer weiß, wozu es gut ist.“ In seinem Heimatort Bad Bederkesa meinte ein Mann: „Sie haben die Wahl gar nicht verloren, sie haben sie nur nicht gewonnen.“ Und eine Frau schrieb, die Wahl sei doch „unentschieden“ ausgegangen. McAllister selbst wählt ein Gleichnis aus dem Fußball: „In der Verlängerung ging der Ball nicht ins gegnerische Tor, sondern prallte an der Latte ab.“

McAllister wünscht sich ein paar Monate Ruhe

Tatsächlich hatte er keinen Plan B, war auf das Scheitern mental nicht vorbereitet. Das hätte ihn vom Kämpfen abgehalten, meint er. Der Preis dafür ist die Ratlosigkeit jetzt. „Ich weiß noch nicht, was ich aus meinem Leben mache“, erklärt er. „Ein paar Monate Ruhe“ wünsche er sich. „Damit ich zu mir selbst finden kann.“ Natürlich gibt es viele, die Kanzlerin eingeschlossen, die sich in Berlin eine Verwendung für den 42-Jährigen vorstellen können. Er bleibt ja eines der größten Politiktalente. Vielleicht als CDU-Generalsekretär? McAllisters Neigung, mit Volldampf in Berlin weiterzumachen, ist wenig ausgeprägt. Andere Möglichkeiten gäbe es, im nächsten Jahr sind Europawahlen, außerdem stehen bald einige Oberbürgermeister- und Landrätewahlen bevor. Und dann gibt es nicht wenige, die ihn für den besten Mann an der Spitze der CDU-Landtagsfraktion halten, für den idealen Oppositionsführer.

Doch daraus wird nichts. Jede Kritik, die McAllister einem Ministerpräsidenten Stephan Weil entgegenschleudern würde, könnte von der SPD mit einem lockeren Spruch pariert werden. Und das würde ihn verletzen. McAllister kann sich noch gut an die Zeit vor zehn Jahren erinnern, als sein Vorvorgänger Sigmar Gabriel abgewählt wurde und Oppositionsführer wurde. Er wurde in der Opposition unglücklich. McAllister will es anders machen. Er bleibt CDU-Landeschef, kümmert sich um die Modernisierung der Partei. Im Landtag aber überlässt er die Auseinandersetzung Fraktionschef Björn Thümler. McAllister selbst wird in der dritten Reihe der Fraktion Platz nehmen und zumeist schweigen.

Aber was macht er dann? McAllister hat schon mal ausprobiert, wie ein Leben neben der Politik aussehen könnte. Er fuhr die beiden Töchter zum Musik- und Ballettunterricht, versuchte, mit dem Auto zurechtzukommen. Die Familie plant einen Urlaub. McAllister, bald Ministerpräsident a.D., hat viel Zeit zum Überlegen.