Der Hollywoodstar Ryan Reynolds spricht im Interview über seinen neuen Film „Deadpool 2“, seine Angst-Attacken, seine Familie und eine ganz gewisse „Basic Instinct“-Szene, die nicht herausgeschnitten wurde.

Berlin - Der kanadische Schauspieler Ryan Reynolds, 41, liefert 2016 mit dem Marvel-Comic-Movie „Deadpool“ den Sommerhit des Jahres. Der frühere „Sexiest Man Alive“ spielt darin die Titelrolle als wohl hässlichster Mutant der Filmgeschichte. Nun kommt die Fortsetzung dieser ultra-brutalen und zum Schreien komischen Superhelden-Persiflage ins Kino.

 
Mr. Reynolds, Sie haben kürzlich öffentlich über Ihre Angst- und Panik-Attacken gesprochen. Wie geht es Ihnen heute?
Ganz gut. Diese Angstzustände hatte ich schon immer. Mal waren sie mehr, mal weniger präsent. Aber vor öffentlichen Auftritten kommen sie fast regelmäßig zurück. Bevor ich zum Beispiel bei einer Filmpremiere über den Roten Teppich gehen oder gar live in einer TV-Show auftreten muss, fühle ich mich jedes Mal hundeelend, fange am ganzen Körper an zu zittern, bekomme Schweißausbrüche und muss mich ab und an auch schon mal übergeben. Heute bin ich allerdings erstaunlich entspannt. Auf meiner Panikskala ist mein Herzschlag voll im grünen Bereich.
„Deadpool“ war ein Mega-Erfolg, er hat fast 800 Millionen Dollar eingespielt. Entsprechend war die Erwartungshaltung, was „Deadpool 2“ angeht – wie geht man damit um?
Nachdem es ganze elf Jahre gedauert hatte, bis ich den ersten „Deadpool“-Film ins Kino bringen konnte, bekam ich nach dem großen Erfolg sofort grünes Licht für das Sequel. Mein Team und ich haben schon während der Dreharbeiten zum ersten Film an einer Fortsetzung gearbeitet und hatten bereits damals viele Ideen, die wir gar nicht alle unterbringen konnten. Wir haben uns also mit Feuereifer ins neue Projekt gestürzt, da blieb für Sorgen oder Zweifel wenig Raum. Wenn ich dann doch mal emotionale Unruhe verspürte, habe ich einfach meditiert. Das Meditieren habe ich vor einiger Zeit als sehr gutes Hilfsmittel gegen den Stress entdeckt. Dadurch kriege ich Ruhe und Kraft. Und zwar auch abseits jeglicher Filmsets.
Deadpool ist ein exaltierter Comicbuch-Charakter. Aber es ist wohl kein Zufall, dass Sie sich ausgerechnet diesen Superheld-Chaoten ausgesucht haben, oder?
Ganz gewiss nicht. Deapool war schon immer der Favorit meines Herzens. Ich durfte ihn auch schon 2009 einmal spielen. Das war in „X-Men Origins: Wolverine“. Allerdings hatte man Deadpool da den Mund zugenäht, was ich natürlich überhaupt nicht prickelnd fand – und es war überhaupt ein lausiger Auftritt. (lacht) Aber wie Sie sehen, habe ich mich grausam dafür gerächt! Doch jetzt mal im Ernst: Ich bin sehr froh, dass ich mit Deadpool eine Figur gefunden habe, die voll und ganz zu mir passt und bei der ich meine inneren Abgründe nicht zwanghaft überdecken muss. Deapool ist ja eigentlich ein Anti-Held. Er ist rücksichtslos, ordinär, politisch wunderbar unkorrekt, ein Sprücheklopfer vor dem Herrn und das Letzte, was er im Sinn hat, ist die Welt zu retten. Er kümmert sich allerdings rührend um die Menschen, die er liebt. Und er hat eine große Schwäche für Kinder. Ob es da Parallelen zu mir gibt? Finden Sie’s heraus!
Haben Sie eine Lieblingsszene im Film?
Oh, viele. Aber die berühmte „Basic Instinct“-Sequenz mit Deadpool als Sharon Stone finde ich ziemlich cool. Die ist – ich gebe es zu – ziemlich gewagt, aber das Studio wollte sie unbedingt im Film behalten.
Wie man hörte, mussten Sie aber andere Szenen aus dem Film herausschneiden. Darunter die, in denen Sie Barbara Streisand veralbern?
Nein, überhaupt nicht. Es würde mir nie einfallen Barbra Streisand zu verunglimpfen. Ich bin ein sehr großer Fan von ihr. Die Szenen aus ihrem „Yentl“-Film sind natürlich als Hommage gedacht. Abgesehen davon hatte ich es bei diesem Film ja mit ihrem Stiefsohn zu tun. Nein, die Szenen, die wegfielen, kann man fast alle auf der DVD bestaunen. Sie haben einfach nicht zum Rhythmus des Films gepasst.
Mit „Stiefsohn“ meinen Sie Josh Brolin, der den neuen Superhelden-Cyborg Cable spielt…
… und das ganz fantastisch macht. Ich bin sehr froh, dass er bei diesem Spaß mitmachen wollte. Er und Zazie Beetz als Super-Heldin Domino, sind ein echter Gewinn für den Film. Aber ich will nicht zu viel von der Handlung verraten. Nur soviel: Es gibt viele Überraschungen und Gastauftritte von Superstars, mit denen wohl niemand gerechnet hat. Zumindest nicht ich.
Für einen Cameo-Auftritt haben Sie sogar einen Ex-„Sexiest Man Alive“ gewinnen können.
Psst! Auch das wird nicht verraten.
Sie waren 2010 ja selbst mal der „Sexiest Man Alive“…
… und nun sehen Sie, was aus ihm geworden ist. Traurig, nicht? Ehrlich gesagt war mir das eher peinlich. Ich und Sex-Appeal? Ha! Damals war ich noch mit Scarlett Johansson verheiratet, und die sagte dann gerne: „Sexiest Man Alive, trag doch mal schnell den Müll raus.’“
Nach der Scheidung von Scarlett Johansson haben Sie 2012 Blake Lively, eine andere Hollywoodschönheit, geehelicht. Davor waren Sie lange mit der kanadischen Rocksängerin Alanis Morissette verlobt…
… worauf wollen Sie hinaus?
Was muss ein Mann haben, der mit solch starken Frauen zusammen ist?
Wenn ich das wüsste! Einen gut ausgeprägten Sinn für Humor – das wäre schon mal ein guter Anfang. Liebesbeziehungen kann man aber nicht miteinander vergleichen. Jeder Mensch ist doch anders. Seit ich mit Blake zusammen bin, fühle ich zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich bei mir angekommen bin. Vor allem seit wir zwei wunderbare Kinder haben (die Töchter James, drei Jahre, und Ines, eineinhalb. A.d.Red.), geht mir mein Familienleben über alles. Ich bin wirklich ein sehr, sehr glücklicher Mann. (lacht) Erst unlängst gestand ich meiner Frau, ich würde sie über alles lieben und für sie jederzeit eine Pistolenkugel mit meinem eigenen Körper aufhalten. Dann schaute ich in die Gesichter meiner Töchter – und mir wurde klar: Ich würde Blakes Körper ohne mit der Wimper zu zucken als menschliches Schutzschild für unsere Kids einsetzen. Sie sehen: Die Kinder haben mein Liebesleben total ruiniert. Vater zu sein ist so aufregend, so wunderbar!
Woher kommt denn diese positive Weltsicht?
Von meinen Eltern. Ich bin in Vancouver, British Columbia, aufgewachsen und hatte dort eine wunderschöne Kindheit. Da ich der jüngste von vier Brüdern bin, musste ich schon als Kind meinen ganzen Grips zusammennehmen, um mich in meiner Familie durchzusetzen. Das hat mich sicher sehr geprägt. Und ich hatte immer – gerade weil mir meine Eltern das stets vorgelebt haben – einen guten moralischen Kompass. Hilfsbereitschaft, Geradlinigkeit, Zivilcourage, Fairness: Das sind für mich keine leeren Worte, sondern echte Werte. Wenn es mal nicht so rund lief, hat mir mein Sinn für Humor fast immer geholfen, ziemlich schnell aus meinen emotionalen Tiefs herauszukommen. Ursprünglich wollte ich ja sogar Komiker werden. Leider hat das nicht geklappt.
Leider?
Okay, ich will nicht undankbar sein. Schließlich gab mir die Schauspielerei die Möglichkeit, meine Ängste zu überwinden. Sie müssen wissen, dass ich mich als Kind lange Zeit als viel zu dick empfand. Und als Teenager hatte ich sehr viele, sehr hässliche Pickel. Dadurch war ich wahnsinnig gehemmt und unsicher. Aber immer wenn ich vor der Kamera stand – und sei es für eine furchtbare TV-Soap –, hatte ich das Gefühl, aktiv an einem kreativen Prozess teilzunehmen. Das gab mir ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Und mit der Zeit auch immer mehr Selbstvertrauen.
Sollte es mit der Schauspielerei mal nicht mehr klappen – haben Sie dann einen Plan B?
Oh Gott, darüber mache ich mir lieber keine Gedanken. Denn obwohl ich schon über 20 Jahre im Geschäft bin, habe ich immer noch die Angst, dass es das jetzt gewesen sein könnte. Und ich nie wieder eine Rolle kriege. Das passiert im Unterbewusstsein. Das kann ich nicht steuern. Dagegen bin ich machtlos. Ich kenne so viele hochtalentierte Schauspieler, die nie wirklich einen Karriere-Durchbruch hatten, die nie ihren größten Traum verwirklichen konnten. Aber wer hat gesagt, dass das Leben fair ist?
Sie misstrauen Ihrem persönlichen Happy-End?
Oh ja – und wie! Das Leben ist doch ständig in Bewegung. Und ein permanentes Happy-End? Das wäre der schlimmste Albtraum!
Das ist nicht Ihr Ernst.
Was ich damit sagen will: Man sollte sich nie zu sicher fühlen. Obwohl es für mich seit dem großen Erfolg mit „Deadpool“ sehr gut läuft in Hollywood, würde ich mich nie darauf verlassen, dass das einfach immer so weiter geht. Ich habe nach diversen Kinohits auch wieder grandiose Flops erlebt. Zwar versuche ich jetzt mehr Kontrolle über das zu haben, was ich mache, aber das kann sich auch schnell wieder ändern.
Wobei wir wieder bei Ihren Angst-Zuständen wären…
Ja, aber mittlerweile habe ich die – wie gesagt – viel besser im Griff als früher. Ich tanke viel Kraft bei meiner Familie. Wir leben auch ganz bewusst nicht in Los Angeles, sondern zurückgezogen auf einem Bauernhof bei New York. (Lacht) Das gibt mir verdammt viel Lebenskraft.

Das Gespräch führte Ulrich Lössl