Franz Reindl hat 1976 Olympiabronze in Innsbruck gewonnen – doch das war gar nichts im Vergleich zur Organisation der Eishockey-WM 2017. „Es gibt täglich neue Herausforderungen“, sagt der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)
Herr Reindl, Hand aufs Herz: Haben Sie nicht auch ein wenig darauf gehofft, dass Leon Draisaitl in der NHL ausscheiden würde, damit er nach Köln kommen kann?
Nein, da bin ich noch immer zu sehr Sportler, um so zu denken. Ich sehe das stets aus Sicht des Spielers und freue mich für ihn, wenn er gewinnt. Da schlagen keine zwei Herzen in meiner Brust.
Dass er nun dabei ist, ist aber schon ziemlich erfreulich fürs deutsche Eishockey.
Natürlich, er hilft uns weiter, das hat man ja gegen Italien gleich gesehen.
Nun geht’s gegen die Letten um die Wurst.
Ja, für uns ist das das Finale – da geht es um alles in diesem einen Spiel. Ich bin froh, dass sich die Mannschaft diese große Chance erarbeitet hat und mit einem Erfolg ins Viertelfinale einziehen kann.
Wenn es schiefgeht, ist die Heim-WM dann ein Reinfall gewesen?
Es wäre falsch, Bilanz zu ziehen, bevor das letzte Spiel gespielt wurde – deshalb tue ich das auch nicht. Wir sind auf einem sehr guten Weg und haben alles in unserer Hand.
Welchen Anteil hat Marco Sturm daran?
Die Entwicklung in der Welt geht weiter, und zwar in einem rasanten Tempo. Die Qualität im internationalen Eishockey steigt, Marco Sturm ist es gelungen, den Anschluss zu halten. Er hat wieder die Emotionen für die Nationalmannschaft geweckt, die Spieler kommen wieder gerne zum Team, das sieht man ja auch im Falle von Leon Draisaitl. Um das gesamte Team herum sind Stolz, Herz und Leidenschaft zu spüren – und das ist nicht nur eine Floskel. Das hat Marco Sturm bewegt, und wenn du die stärksten Spieler zur Verfügung hast, hast du auch immer eine Chance weiterzukommen.
2010 endete die Heim-WM mit Platz vier, danach war Deutschland von 2012 bis 2015 nicht mehr im Viertelfinale. Was ging schief?
Ich möchte auf die Vergangenheit gar nicht groß eingehen. Wir haben heute zahlreiche Konzepte, die nicht nur in der Schublade liegen, sondern bereits umgesetzt werden. Da bleiben wir dran. Das Programm „Powerplay 26“ nenne ich – oder die Aktion „Wir sind Eishockey“. Wir sind jetzt vorbereitet auf das, was vor uns liegt – das waren wir seinerzeit nicht. 2010 war viel auf Zufall aufgebaut, jetzt haben wir einen Plan: zusätzliche Trainer einstellen, Lehrgänge und Fortbildungsmaßnahmen erhöhen, mehr Jugendspieler fördern. Ob wir unsere Visionen erreichen, muss man sehen, aber alle halten zusammen, um das deutsche Eishockey besser zu machen.
Diese Maßnahmen kosten Geld.
Das ist mir bekannt (lacht). Deshalb wollen wir mit dieser Weltmeisterschaft die nötigen Mittel generieren, um all diese Programme zu finanzieren.
Dann wäre es umso wichtiger, dass Deutschland ins Viertelfinale einzieht, oder?
Die Zwischenbilanz sieht sehr gut aus. Aber Tatsache ist: Wir haben ein Budget von 23 Millionen Euro, das zu mehr als 85 Prozent aus Zuschauereinnahmen gedeckt werden muss – deshalb ist das auch eine Belastung für uns alle. Wir liegen derzeit etwas überm Soll. Unser Ziel lautet, 600 000 Karten zu verkaufen, da sind wir auf einem guten Weg, es erreichen zu können. Aber wir sind noch nicht übern Berg. Das ist wie bei der Steuer. Du arbeitest sieben Monate nur fürs Finanzamt, erst danach fließt das Geld in deine Tasche. Erst wenn wir unsere gesetzte Hürde übersprungen haben, sind wir von der Organisation richtig glücklich. Natürlich würde uns ein Viertelfinal-Einzug der deutschen Mannschaft helfen, das wäre toll.
In Köln finden zwei Viertelfinals, beide Halbfinals sowie das Spiel um Platz drei und das Finale statt. Müssen Sie zittern, dass die Partien nicht ausverkauft sein werden?
Selbstverständlich liegt es auch daran, wer spielt. Also: Welche Mannschaften kommen nach Köln und wie viele Fans bringen sie mit? Und die deutschen Eishockey-Fans schauen auch sehr dezidiert darauf, welche Teams aufeinandertreffen, bevor sie ein Ticket kaufen. Das verstehe ich auch vollkommen. Die WM-Organisation ist deshalb nicht so auf die deutsche Mannschaft fixiert, sondern sie richtet ihren Blick auf alle Teams. Am Ende gibt es ja immer einen Weltmeister.
Das heißt, Sie sind zuversichtlich.
Man muss sehen, dass es gerade in Köln einen Boom gibt. Der Samstag war ein Tag der Rekorde. Die Partie USA gegen Lettland stellte einen Zuschauerrekord für ein Nachmittagsspiel um 12.15 Uhr auf (17 936 Fans, d. Red.), insgesamt waren am Samstag 55 000 Fans in der Arena – das ist gigantisch, und wenn man die Zahlen von Paris noch dazurechnet, hatten wir an einem Tag mehr Zuschauer als die gesamte WM in Lillehammer. Man muss die Kirche ja auch mal im Dorf lassen. Wir sind sehr, sehr zufrieden.
Ich habe den Eindruck, die Stimmung unter den deutschen Fans ist nicht ganz so überschwänglich wie 2010.
So geht es mir ebenfalls. Die Leute honorieren Leistung, sie warten deshalb aber auch ab. Die Deutschen sind da etwas kritischer und reservierter. Aber das Wichtigste ist, dass viele Anhänger aus verschiedenen Nationen ein großes Fest feiern – das gibt es nur im Eishockey, das macht die Begeisterung aus. Und wir von der Organisation tun alles, damit es gut läuft.
Wie ist die Arbeit im Organisationskomitee verglichen mit den Heim-WM 2001 und 2010?
Die Herausforderungen sind wesentlich höher als 2010, und mit 2001 sind sie schon gar nicht zu vergleichen. Wir müssen täglich auf Überraschungen gefasst sein und diese dann bewältigen. Für mich ist es die anstrengendste WM aller Zeiten, man muss täglich an seine Grenzen gehen.
Das heißt?
Wir haben täglich unsere Challenges. Du kannst ja nicht kalkulieren, wer ins Viertelfinale kommt. Du weißt nicht: Wer reist hin, wer reist her? Wie viele Leute kommen nach Köln? Kommen vielleicht sogar die Kanadier und bringen viele Familienangehörige mit, so dass du 100 Zimmer benötigst? Du kannst nicht einfach Hotels blocken, deshalb ist das unkalkulierbar. Du schaust immer auf die Gruppentabellen, siehst, was sich entwickelt – da schläfst du nicht immer gut. Und dann ist da noch der Kongress, der am Mittwoch beginnt, da kommen Menschen aus 72 Nationen, und du weißt nicht, kommen die zu zweit, zu viert oder zu acht. Da stehst du jeden Morgen auf und hoffst, du mögest die nächste Challenge überstehen.
Ist doch gut, wenn alle Welt zur Eishockey-WM nach Köln will.
Natürlich sind wir froh darüber, es sind schöne Probleme. Wir können das nur bewältigen, weil wir ein hervorragendes OK haben und überragende Freiwillige, die den Gästen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Deutschland und Köln präsentieren sich ebenfalls in Weltklasse.
Waren Sie auch in Paris?
Paris ist, wie es so heißt, immer eine Reise wert. Ich war zweimal dort, habe überragende Spiele vor einem ausverkauften Haus gesehen. Wenn eine WM in zwei Ländern stattfindet, fühlt der Fan vielleicht nicht die Verbindung. Aber wir vom Organisationskomitee fühlen sie schon, und sie ist überragend.
Wann bekommen wir in Deutschland denn die nächste Chance auf eine Heim-WM?
Durch die Partnerschaft mit Paris lagen nur sieben Jahre dazwischen. Aber nun müssen wir damit rechnen, dass wir nun mindestens zehn Jahre warten müssen. Dann setzen sich meine Nachfolger damit auseinander.