Betroffenenvertreter und Betroffenenorganisationen haben sich mit der Landesbehindertenbeauftragten Stephanie Aeffner im Paritätischen Mehrgenerationenzentrum getroffen, um gegen den Entwurf des Bundesteilhabegesetzes zu protestieren.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Vaihingen - Die Bundesregierung hat im Sommer einen Entwurf für das Bundesteilhabegesetz (BTHG) vorgelegt. Es soll die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung verbessern und die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland umsetzen. In Verbindung mit der ebenfalls geplanten Pflegereform und des Dritten Pflegestärkungsgesetzes (PSG III) befürchten verschiedene Organisationen allerdings massive Verschlechterungen für die Bürger mit körperlichem oder psychischem Handicap. Sie sehen die Teilhabe und die Selbstbestimmung gefährdet. „Wir müssen uns vor Augen halten, dass es bei der UN-Behindertenkonvention um Menschenrechte geht, nicht um Sonderrechte. Selbstbestimmung sollte auch für Menschen mit Behinderung selbstverständlich sein“, sagte die baden-württembergische Behindertenbeauftragte Stephanie Aeffner am Montag im Paritätischen Mehrgenerationenzentrum (PMGZ).

 

Manche Behinderte könnten aus dem Raster fallen

Ursel Wolfgramm, die Vorstandsvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Baden-Württemberg, befürchtete, dass viele bisher anspruchsberechtigte Menschen aus dem System der Eingliederungshilfe fallen, denn laut der neuen Definition müssen Behinderte künftig in mindestens fünf von neun Lebensbereichen (Lernen und Wissensanwendung, allgemeine Aufgaben und Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen, bedeutende Lebensbereiche, Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben) dauerhaft eingeschränkt sein, um Leistungen zu beziehen. Bislang genügte eine dauerhafte Einschränkung in zwei Lebensbereichen.

Winfried Specht, der stellvertretende Vorsitzende des Blinden- und Sehbehindertenverbands, sah darin die Gefahr, dass blinde Menschen aus dem Raster fallen, weil sie „nicht behindert genug sind“. Ähnliche Befürchtungen hatte Daniel Büter, Mitglied im Aufsichtsrat des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, im Hinblick auf gehörlose Menschen. Auch Menschen mit einer psychischen Behinderung könnten unter den Tisch fallen. „Menschen mit seelischer Erkrankung haben Phasen, in denen sie keine Symptome zeigen und somit keine Einschränkungen in fünf Lebensbereichen vorweisen“, sagte Barbara Wolf, die Geschäftsführerin des Vereins für Sozialpsychiatrie.

Die Betroffenenorganisationen sehen zudem das Wunsch- und Wahlrecht gefährdet. Unterstützungsleistungen können künftig auch gegen den Willen der Betroffenen gebündelt, also gemeinschaftlich erbracht werden. „Ist das ein selbstbestimmtes Leben, wenn ich nicht frei entscheiden kann, ob ich am Wochenende in den Zoo oder lieber ins Kino möchte?“, fragte Wolfgramm. „Es ist unzumutbar, sich eine Assistenz zu teilen, das schränkt die Freiheit ein“, sagte Peter Epp, der geschäftsführende Vorstand des Zentrums selbstbestimmt Leben Stuttgart. Im Bereich der psychischen Erkrankungen gebe es Menschen, die nicht in der Gruppe betreut werden können, weil sie sich sonst gegenseitig negativ beeinflussen, merkte Wolf an.

Die Verbände fordern eine Überarbeitung des BTHG

Durch das PSG III wird auch die freie Wahl der Wohnform eingeschränkt. In bestimmten Formen des ambulant betreuten Wohnens wird der Anspruch auf Pflegeleistung gedeckelt. „Wir befürchten, dass auf Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf der Druck wächst, aus Kostengründen in eine stationäre Pflegeeinrichtung ziehen zu müssen“, so Wolfgramm. „Es sollte meine eigene Entscheidung sein, ob ich in meiner Wohnung bleiben möchte oder nicht“, bestätigte Epp.

Die Behindertenorganisationen fordern die Aufnahme ihrer Anregungen in den Entwurf des BTHG, „um Menschen mit Behinderung ein Leben in Selbstbestimmung zu ermöglichen“, sagte Wolfgramm. „Menschen mit hohem Pflegebedarf erfahren durch das BTHG große Nachteile“, sagte Peter Benzenhöfer, stellvertretender Vorsitzender der Lebenshilfe Baden-Württemberg. „Man muss schauen, dass jeder die Unterstützung bekommt, die er benötigt und dass er selbst entscheiden kann, wo er leben und arbeiten möchte.“