Die Freiheit ist ein hohes Gut und steht unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. In Zeiten von Corona erwachsen daraus Ansteckungsrisiken, die es zu minimieren gilt. Auf freiwilliger Basis ist das offenbar schwierig. Die Unvernunft zu Vieler erzwingt weitere staatlich verordnete Beschränkungen, meint StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Mit Hysterie hat das rein gar nichts zu tun. Es geht vielmehr um eine Konsequenz, die leider noch nicht überall vorherrscht. Bayern verhängt als erstes Bundesland weitere Ausgangsbeschränkungen. Das ist unausweichlich, wenn man dem Urteil medizinischer Experten vertraut. Andere Länder, darunter Baden-Württemberg, haben prompt nachgezogen. Bundesweit dürften am Sonntag mit hoher Wahrscheinlichkeit einheitliche Regeln beschlossen werden, auch wenn die Kanzlerin vor einer Ausgangssperre zurückschreckt. Dafür gibt es gute Gründe – noch bessere allerdings für verschärfte Restriktionen. Mit einer tatsächlichen Ausgangssperre hat das noch nichts zu tun. Es ist jedoch geboten, die Unvernünftigen, von denen es leider zu viele gibt, in die Schranken zu weisen.

 

Weder in Bayern noch bei uns muss einem die Decke auf den Kopf fallen, weil die Freizügigkeit nun weiter beschnitten wird. Einkäufe, Spaziergänge allein oder zu zweit bleiben erlaubt, ebenso einsame Joggingrunden im Grünen. So ist das auch in Nachbarstaaten wie Frankreich und Österreich geregelt und ebenso in Freiburg, das die erste deutsche Großstadt war, die sich noch vor Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dazu entschlossen hat, Gruppenzusammenkünfte in der Öffentlichkeit zu unterbinden. Sie potenzieren nun einmal das Ansteckungsrisiko, was im Endeffekt einer unnötig hohen Zahl künftiger Corona-Patienten das Leben kosten kann – unter ihnen vielleicht Großeltern derer, die glauben, sie müssten ungeachtet aller Warnungen weiterhin mit Freundescliquen in der Sonne sitzen.

Samstag ist der D-Day

Angela Merkel hat recht: Schon vor Söders neuerlichem Schritt war die Freiheit bundesweit in einer Weise eingeschränkt, wie es im Westen seit 1945, im Osten zumindest seit dem Sturm der Mauer nicht mehr der Fall war. Solche Eingriffe in Grundrechte sind heikel für einen Staat, dessen Verfassung auf individuellen Freiheitsgarantien aufbaut. Merkel vertraute in einer gut gemeint gouvernantenhaften Art auf Eigenverantwortung und die Einsicht der Vielen anstelle vorschneller staatlicher Vorgaben. Sie will den Bürgern noch ein bisschen mehr Zeit einräumen, ihr Verhalten selbst so zu regulieren, dass die Ansteckungsrisiken minimiert werden. Der Samstag soll der D-Day für das weitere Vorgehen werden. Aber vielleicht ist das einfach zu blauäugig. Es gibt bei aller Sensibilität für Freiheitsrechte kein vernünftiges Argument mehr, an einem deutschen Sonderweg festzuhalten.

So wenig hier einer Kasernierung der Bevölkerung das Wort geredet werden soll, so zwingend ist es, tatsächlich alle unnötigen Sozialkontakte abzustellen. Die Zeit der Appelle läuft ab, die Zeit der Egomanie ist vorbei. Ignoranz und kollektive Unvernunft verdienen keinen Schutz: das gilt für Corona-Partys in Parks wie auch für Eltern, die sich infantiler benehmen als ihre Kinder, indem sie die Order missachten, Spielplätze zu meiden, auf denen sich schon andere tummeln.

Verzichtet auf ein kleines bisschen Freiheit sichert langfristig Freiheitsräume

Wenn wir uns ein Minimum an Bewegungsfreiheit und den Anspruch auf gelegentliche Ausflüge an die frische Luft bewahren wollen, sollte Zuhausebleiben ansonsten für die meisten zur Maxime werden. Das wird nicht von Dauer sein, aber umso länger angeordnet bleiben, je weniger wir uns daran halten, je zögerlicher und disparater der Staat die Beachtung dieser Regel einfordert. Vom Ausmaß der Krise, der wir entgegensteuern, wird auch abhängen, welche Freiheiten wir uns insgesamt noch leisten können, wenn sie vorbei ist – was uns der widerwillige Verzicht auf ein kleines bisschen Freiheit jetzt am Ende kosten wird. Wenn wir uns zu lange damit aufhalten, könnten sich existenzielle Fragen in einer Härte stellen, die ebenso Vergleiche mit der bitteren Nachkriegszeit heraufbeschwören.