Plötzlich hart statt zart – warum der Fußball-Bundestrainer Joachim Löw sich ändert und was ihn bei seinem radikalen Umbruch antreibt.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart - Man muss sich das ja noch mal glaubhaft machen in diesen eher unglaublichen Tagen der Nationalelf und ihres Trainers. Dieser Joachim Löw also, der noch im November, nach dem letzten Länderspiel des Jahres, seine erfahrenen Kräfte Manuel Neuer, Mats Hummels, Toni Kroos und Thomas Müller als eine Art unverzichtbare Achse bezeichnete, zerlegte diese nur vier Monate später.

 

Im Handstreich. Brutal. Der sonst so feinfühlige Löw gab den Eisenbieger. Er will Hummels und Müller nicht mehr, Jérôme Boateng auch nicht. Er hat seine einst verlässlichsten Teile ausrangiert. Der loyale Jogi wird zum gnadenlosen Löw.

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Die jeweils fünf Minuten, in denen der Coach seinen drei Münchner Weltmeistern Hummels, Boateng und Müller das Aus in der DFB-Elf mitteilte, haben mittlerweile Berühmtheit erlangt. Für den umstrittenen Bundestrainer ist es noch immer fünf vor zwölf. Für die traurigen drei Bayern-Profis ist es fünf nach Jogi. Fünf Minuten für die Ewigkeit. Und für schier endlose Debatten.

Garniert mit der einen Frage: Warum macht der Löw das? In dieser Art – und für viele: stillos, das Lieblingswort von Löws Kritikern in diesen Tagen.

Rummenigges Replik

Thomas Müller bekam nun für seine Abrechnung mit dem Bundestrainer viel Zustimmung, von seinem Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge etwa, klar, garniert mit einigen feinen Spitzen. Dazu sollte man wissen, dass es sich die Bayern nicht komplett mit dem obersten Übungsleiter beim DFB verscherzen wollen, schließlich wollen sie sich in München ja selbst den FC Bayern Deutschland der Zukunft aufbauen. Mit Joshua Kimmich, mit Leon Goretzka, mit Niklas Süle, mit Serge Gnabry und so weiter.

Man braucht Joachim Löw daher irgendwie noch, aber dennoch darf, ja muss man den Umgang des Trainers als großer FC Bayern mit Boateng, Hummels und Müller nicht gut finden. Man muss die berühmte Kante zeigen. Also sagt Rummenigge dies: „Joachim Löw hat damit natürlich auch eine große persönliche Verantwortung übernommen, denn von Fußball-Deutschland wird jetzt erwartet, dass die Qualifikation zur Europameisterschaft 2020 gelingt.“ Diese, fügte er hinzu, finde schließlich „auch in München statt“. Subtil unter Druck setzen, das also ist die Methode des Rekordmeisters.

Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann wurde da stellvertretend für viele andere Experten deutlicher: „Diese Spieler im letzten Jahr durch die Nations League tingeln zu lassen und ihnen dann, wenn es zur Sache geht, zu sagen, sie werden nicht mehr gebraucht, halte ich für unsäglich. Das wird den Bundestrainer noch einholen.“

Will Löw nur seinen Job retten?

Was aber trieb diesen Löw an, als er so rabiat Schluss machte mit dem Weltmeister-Trio? Fakt ist: Solch eine Entschlossenheit und Radikalität hat man vom Bundestrainer in den 13 Jahren im Amt wohl noch nie erlebt, und es gibt nicht wenige, die sagen, dass Löw aus dem immer noch latenten öffentlichen Druck und der Sehnsucht nach einem echten Neuaufbau des Teams heraus gehandelt habe. Das ist gut möglich, wie vielleicht im Herbst des vergangenen Jahres, als Löw nach dem 0:3 von Amsterdam in der Nations League gegen die Niederlande den echten Neuaufbau mit vielen jungen Kräften einläutete – im nächsten, dann gelungenen Spiel in Paris gegen Frankreich (1:2). Das geschah dem Vernehmen nach auch aufgrund des großen verbandsinternen Drucks, und vielleicht spielte das nun wieder eine Rolle. Will, oder besser muss, Löw mit dem Wandel weiter seinen Job retten? Vielleicht.

Allerdings: Wer diesen Löw kennt, der weiß, dass er sich högschd selten bis nie treiben lässt. Dass er immer sein eigener Herr war. Vor allem bei wichtigen Entscheidungen. Wie es nun zu hören ist, hat dieser Löw schlicht und einfach verdammt viel Lust auf die Fortsetzung seines Neubeginns vom Herbst, auf den echten Umbruch, den er nach der blamablen WM im Sommer in Russland zunächst noch aufgeschoben hatte. Vielleicht hat es jetzt einfach nur klick gemacht bei Löw. Umbruch! Jetzt! Weiter! Und ohne Rücksicht auf Verluste!

Joachim Löw pfeift nun plötzlich auf alte Loyalitäten und ist damit nicht mehr der alte Löw. Auch deshalb kommen jetzt die Stilfragen auf – jedoch nicht bei allen.

Denn der Bundestrainer erhielt auch Zustimmung, etwa von einem seiner ehemaligen Spieler als Coach des VfB Stuttgart. „Das ist eine unheimlich konsequente Entscheidung als klares Signal an alle“, sagte zum Beispiel Fredi Bobic, heute Sportvorstand der Frankfurter Eintracht. „Die Art und Weise seines Vorgehens war gut, da er die Spieler aufgesucht und mit ihnen gesprochen hat. Das hat Stil.“ Wie auch immer: Löw muss nun liefern, es gibt kein Zurück mehr. Neue Erfolge mit neuen Spielern müssen her. Mehr denn je.

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