Die Grünen waren bei der Regionalwahl am 26. Mai knapp die stärkste Kraft vor der CDU. Daraus leiteten sie den Anspruch ab, den Regionalpräsidenten zu stellen und nominierten André Reichel. Doch nun regt sich Widerstand.

Stuttgart - Wer wird neuer Regionalpräsident? Direkt nach der Regionalwahl am 26. Mai war diese Frage leicht zu beantworten, mittlerweile hat sich die Situation geändert. Es wird nicht mehr ausgeschlossen, dass nicht nur der Grüne André Reichel kandidiert, sondern auch die CDU einen Kandidaten oder eine Kandidatin ins Rennen schickt. Auf jeden Fall steht die Mehrheit für Reichel in der Regionalversammlung auf Messers Schneide. Gewählt wird am 18. September.

 

Die Ausgangslage

Die Grünen waren der große Wahlsieger bei der Regionalwahl. Erstmals wurden sie stärkste Kraft in der Region, auch wenn die Entscheidung mit 24,26 Prozent zu 24,15 Prozent des bisherigen Platzhirsches CDU denkbar knapp ausfiel. Mit 22 Sitzen waren die Grünen aber die größte Fraktion in der 88-köpfigen Regionalversammlung vor der CDU mit 21 Sitzen. Daraus leiteten die Grünen den Anspruch ab, das Amt des Regionalpräsidenten zu besetzen, das traditionell der stärksten Fraktion zusteht. Sie nominierten in André Reichel einen erfahrenen Regionalrat. Auch die CDU-Fraktion erklärte, dass sie das Vorschlagsrecht des Wahlsiegers anerkenne.

Die Überraschung

Anfang Juli schlossen sich die beiden ÖDP-Regionalräte überraschend der CDU-Fraktion an. In der vergangenen Legislaturperiode kam der einzige Regionalrat der ÖDP noch bei den Grünen unter. Ausschlaggebend dafür war wohl, dass die CDU sich bereit erklärte, den Namen der ÖDP in die neue Fraktionsgemeinschaft aufzunehmen. Die CDU-ÖDP-Fraktion hat nun 23 Sitze – einen mehr als die Grünen.

Die Folgen

Könnte man daraus ableiten, dass die CDU-ÖDP-Fraktion einen Regionalpräsidenten stellen könnte? Diese Frage beschäftigt seitdem die Regionalpolitik. Im Juli hielten sich die CDU-Granden noch bedeckt, während Reichel seine Vorstellungsrunde in den anderen Fraktionen machte und von „positiven Signalen“ sprach. Allerdings kochte schon damals die Gerüchteküche. Würde die CDU doch einen eigenen Kandidaten nominieren, der offen gegen Reichel antritt? Oder würde sie abwarten, ob Reichel gewählt würde und erst wenn er keine Mehrheit erhielte, einen eigenen Kandidaten benennen – und wäre das der bewährte und erfolgreiche bisherige Regionalpräsident Thomas Bopp, der das Amt seit 2007 inne hat?

Stimmung in den Fraktionen

Ein klares Bekenntnis zu Reichel gibt es nur von der fünfköpfigen Fraktion von Linken und Piraten. „Wir halten ihn für die geeignete Person“, sagt Fraktionssprecher Christoph Ozasek. Reichel sei ein „Politiker mit Gestaltungsanspruch und ein Mensch mit einer klaren Haltung“. Letzteres bezieht sich darauf, dass eine Zusammenarbeit mit der achtköpfigen AfD-Fraktion ausgeschlossen wird. Allerdings reichen die Stimmen von Grünen und Linken bei weitem nicht aus. Andere Fraktionen halten sich bedeckt. Man diskutiere noch, sagt SPD-Fraktionschef Harald Raß, für ihn kommen nur zwei Dinge nicht in Frage – „nämlich, dass der neue Regionalpräsident dank der Stimmen der AfD gewählt wird und dass es am 18. September keinen neuen Regionalpräsidenten gibt.“ Für die Freien Wähler sagt Fraktionschef Andreas Hesky, dass Reichel bei seiner Vorstellung eine gute Figur abgegeben habe. Sollten sich weitere Kandidaturen ergeben, werde man das prüfen. „Da ist aber die CDU-ÖDP-Fraktion am Zug“, so Hesky. Von dort gebe es bisher keine Signale für einen eigenen Bewerber, aber wiederholt die aus seiner Sicht voreilige Aussage, das Vorschlagsrecht der Grünen anzuerkennen. Klar positioniert hat sich am Dienstag die FDP. Sie wird Reichel nicht wählen, weil er nicht der richtige Mann sei angesichts der zu erwartenden schwierigen wirtschaftlichen Lage in der Region. Fraktionschef Kai Buschmann fordert vor allem die CDU, aber auch die Freie Wähler auf, einen eigenen Kandidaten zu benennen: „Sie sind jetzt in der Pflicht.“ Die FDP könne sich vorstellen, einen Kandidaten aus den Reihen der CDU oder der Freien Wähler zu unterstützen.

Die Person Reichel

Der 45-jährige Wirtschaftswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit, der an der International School of Management in Stuttgart lehrt, wird menschlich über die Fraktionsgrenzen hinweg geschätzt. Allerdings gibt es bei CDU, Freien Wählern und FDP Bedenken wegen seiner Position gegen große Straßenbauprojekte in der Region, für die es politisch eine Mehrheit in der Regionalversammlung gibt. Zudem wird befürchtet, dass Reichel nicht entschlossen genug gegenüber der grün geführten Landesregierung und vor allem dem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann auftritt. Dies wird genährt von einem Redebeitrag Reichels, als er Hermann gegen Kritik in Schutz nahm.

Die „Alternative“

Offenbar sondiert die CDU vor der Sitzung des Ältestenrats am Mittwoch die Stimmung für einen eigenen Kandidaten, der nicht unbedingt der bisherige Regionalpräsident Thomas Bopp sein müsse, der wohl den Posten des Aufsichtsratschefs der regionalen Wirtschaftsförder-GmbH übernehmen soll. Die CDU hält sich noch bedeckt. „Wir wissen von Vorbehalten gegen Reichel in unserer und anderen Fraktionen“, sagt Fraktionschef Joachim Pfeiffer. Mehr will er nicht sagen und verweist auf die Klausursitzung der Fraktion am Wochenende.

Die Machtfrage

Der Ministerpräsident ein Grüner, der Stuttgart OB ein Grüner – das Amt des Regionalpräsidenten war die letzte CDU-Bastion. Zwar handelt es sich offiziell nur um den ehrenamtlich tätigen Vorsitzenden der Regionalversammlung, aber er ist bei vielen Terminen dabei und ist als politischer Ansprechpartner ein Machtfaktor.