Seit Tagen diskutiert Deutschland, dass die Hälfte der Spitzensteuerzahler nicht reich ist, sondern zur Mittelschicht zählt. Jetzt gibt es eine Sonderauswertung für Baden-Württemberg.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Dass deutschlandweit 1,7 Millionen Bürger mit einem Bruttoeinkommen in der oberen Mittelklasse zwischen 5000 und 7000 Euro monatlich bereits den Spitzensteuersatz in Höhe von 42 Prozent bezahlen, beflügelt die Debatte über Steuergerechtigkeit auch in Baden-Württemberg. Aufgekommen ist das Thema durch eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Sie hat ergeben, dass 2015 insgesamt etwa 3,5 Millionen Steuerzahler den Spitzensteuersatz entrichten müssen, der von einem Einkommen ab 52 882 Euro zu Buche schlägt. Laut den Angaben zählt etwa die Hälfte der Betroffenen nicht zu den wirklich Begüterten, sondern zur Mittelschicht.

 

Dass ein so hoher Anteil von Arbeitnehmern, die keine Spitzenverdiener sind, eine Spitzenbelastung bei der Einkommensteuer tragen, geht, wie bereits berichtet, auch der Linkspartei zu weit. Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch hat sich erstmals prominent auch für eine Steuerentlastung dieser Einkommensgruppe ausgesprochen.

Im Südwesten gibt es überdurchschnittlich viele Spitzensteuerzahler

In Baden-Württemberg mit seiner leistungsstarken Wirtschaft und dem überdurchschnittlichen Einkommensniveau ist der Blick auf dieses Thema noch ein bisschen relevanter als im übrigen Bundesgebiet. Legt man die analoge Systematik der Angaben für das Bundesgebiet zugrunde, kommen laut einer detaillierten Sondererhebung des Stuttgarter Finanzministeriums, die unserer Zeitung vorliegt, mit 17 Prozent ein knappes Fünftel der deutschen Spitzensteuerzahler aus dem Südwesten. Auch die Mittelschichtangehörigen mit Spitzensteuerlast stammen zu 17 Prozent aus dem Land.

Insgesamt wurden 2015 nach Angaben des Ministeriums 587 458 Baden-Württemberger (7,5 Prozent der Steuerpflichtigen) mit dem Spitzensteuersatz belastet. Die Zahl der Arbeitnehmer in der genannten Einkommensklasse, die grob gerechnet etwa das Eineinhalbfache des Durchschnittseinkommens verdienen und Spitzensteuern zahlen, lag bei knapp 290 000 Betroffenen.

Der Vorsitzende der Linken Bernd Riexinger macht im Gespräch mit unserer Zeitung klar, dass das linke Steuerkonzept nach wie vor „den Schwerpunkt bei der Entlastung von kleineren und mittleren Einkommen“ setzt. Aber „natürlich sehen wir auch die Notwendigkeit, Steuergerechtigkeit für relativ gut verdienende Facharbeiter zu erreichen, also Menschen mit 5000 bis 7000 Euro Einkommen.“ Zur Finanzierung müssten eben höhere Einkommen herangezogen werden.

Rülke sieht die FDP in Konkurrenz zur Linkspartei um die gleiche Wählergruppe

Die ungewohnte Nähe zwischen Liberalen und Linken ficht den FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag Hans-Ulrich Rülke nicht an. „Eine Entlastung der Mittelschicht ist dringend notwendig. Möglich ist dies durch eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Abschaffung der kalten Progression und ein späteres Einsetzen des Spitzensteuersatzes“, erklärt er. „Wir können der Linken nicht verbieten, ähnliche Forderungen zu erheben wie die FDP. Natürlich sind wir offen für Arbeitnehmer. Insofern konkurrieren wir an dieser Stelle mit den Linken um die gleichen Wählergruppen.“ Diese Zielgruppe hat beim Dreikönigstreffen ausdrücklich auch FDP-Bundeschef Lindner in den Blick genommen.

Auch die CDU-Spitzenkandidatin im nächsten Landtagswahlkampf Susanne Eisenmann macht ob dieser Zahlen die Tür zu Steuerentlastungen jedenfalls einen Spalt weit auf. „Ich halte es für angemessen, dass der Spitzensteuersatz frühestens bei einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 60 000 Euro einsetzt. Angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen sollten wir in Deutschland aber auch endlich eine Unternehmenssteuerreform angehen.“ 2020 wird der Spitzensteuersatz von einem Einkommen ab 57 051 Euro fällig.

Der SPD-Landeschef Andreas Stoch will im Blick auf eine auskömmliche Finanzierung des Staates, einer Entlastung nur bei zeitgleicher Einführung einer Vermögenssteuer nähertreten. „Daher muss eine Erhöhung des zu versteuernden Jahreseinkommens, ab welchem der Spitzensteuersatz in Zukunft greifen soll, durch die Einführung einer Vermögensteuer begleitet werden“, betont Stoch. „Alles andere würde die wichtige Entlastung für geringere Einkommen in unerreichbare Ferne rücken.“