Sie war schon oft in Stuttgart zu Gast beim Festival Jazz Open. In diesem Jahr nun hat die US-Sängerin Dee Dee Bridgewater zur Eröffnung die German Jazz Trophy bekommen und sich mit wunderbarem Gesang bedankt.

Stuttgart - Besuchern der jährlich verliehenen German Jazz Trophy ist das Ritual wohlbekannt: Durch das Programm führt - eloquent und charmant wie stets – SWR-Moderator Markus Brock. Sparda-Chef Martin Hettich und Jazz-Open-Veranstalter Jürgen Schlensog tragen ihre Elogen vor, um dann eine Kleinplastik des 2005 verstorbenen Bildhauers O. H. Hajek zu überreichen (und das von der Sparda-Bank ausgelobte Preisgeld in Höhe von 20 000 Euro). Anders als in den 18 Jahren zuvor gestaltet sich jedoch dieses Mal die Laudatio: Nicht Andreas Kolb von der Jazz-Zeitung, sondern die Sängerin Fola Dada verneigt sich bei ihrem sachkundigen und gefühlsbetonten Vortrag vor der „Ikone Dee Dee Bridgewater, die jedem ihrer Songs Seele einhaucht“.

 

Tatsächlich ist es eine gute Wahl, Dee Dee Bridgewater auszuzeichnen. Manche meinen: eine überfällige. Gelegenheit dazu hätte es auch früher schon gegeben. Etwa als die Jazz-Diva bei einem denkwürdigen Konzert mit dem legendären Quincy Jones, Gitarrist und Sänger George Benson und der ausgezeichneten SWR Big Band bei Jazz Open 2017 auf dem Schlossplatz aufgetreten ist. Inzwischen ist sie 69. Sie geht völlig gelassen mit ihrem Alter um und sprüht vor Lebensfreude und Sangeslust. Ganz gleich, ob sie vor einem großen Jazzorchester auftritt oder mit ihrem aktuellen Quartett wie nun in der Stuttgarter Spardawelt.

Sie beherrscht jedes Format

Bridgewater beherrscht jedes Format. Sie hat auf Theaterbühnen von London, Paris und Berlin als eine zweite „Lady Day“ die wunderbare und tragische Billie Holiday verkörpert, sie ist mit „Dear Ella“ auf den Spuren der großen Ella Fitzgerald gewandelt, sie hat in einer Jazzfassung die „Carmen“ interpretiert, mit „Red Earth“ ein afrikanisches Album aufgenommen und für ihre 20 Platten zahlreiche Preise eingeheimst – darunter drei Grammys. Enorm vielseitig, mit einer schönen Stimme gesegnet und einer unglaublichen Bühnenpräsenz ausgestattet, ist die Dee Dee Bridgewater aus Tennessee in der Tat eine Galionsfigur des Jazz.

Jetzt steht sie auf der Bühne, strahlend, lachend, mit einem farbenfrohen afrikanischen Kleid, goldenem Ohrschmuck, einem Nackentattoo und glatt rasiertem Schädel. Manchem Theaterfreund mag da Ionescos Stück „Die kahle Sängerin“ in den Sinn gekommen sein. Doch auf dieser Bühne geht es weder absurd zu noch abstrakt, sondern ganz konkret und sehr sinnlich. Die berühmte Vokalistin erzählt geistreiche Anekdoten aus der Welt des Jazz, ohne dabei eigene Enttäuschungen auszulassen. Sie wirkt authentisch und beschönigt nichts, so sehr sie auch strahlt. Die Herzen der Konzertbesucher fliegen ihr zu. Erst recht, als die Musik beginnt.

Paris ist ihre zweite Liebe

Viele hatten erwartet, sie würde ihr aktuelles Soul-Album „Memphis“ präsentieren. Doch sie stellt ihr altes Projekt „J’ai deux amours“ von 2005 vor, das formidable Album aus der Zeit, als sie in Frankreich gelebt hat. Mit einem kleinen amerikanischen Akzent singt sie bekannte französische Chansons wie „La Mer“ von Charles Trenet, „Ne me quitte pas“ von Jacques Brel, „Et maintenant“ von Gilbert Bécaud und natürlich das traurige „Les feuilles mortes“ von Joseph Kosma und Jacques Prévert, das unter dem Titel „Autumn Leaves“ ein wunderbarer Jazzstandard geworden ist. Beim Intro lässt sie sich von Marc Berthoumieux begleiten und von dessen melancholisch angehauchten Akkordeonklängen inspirieren. Als mit Bassist Ira Coleman, Perkussionist Minino Garay und E-Gitarrist Louis Winsberg die Band einsteigt, verdichtet sich schlagartig der Klangraum, der Jazz hält triumphal Einzug, und wie eine sich öffnende Knospe entfaltet sich die makellose warme Stimme von Dee Dee Bridgewater zu voller Blüte.

Sie bewegt sich bei ihrem oft dramatischen Vortrag tänzerisch wie eine junge Frau, lacht strahlend wie einst Louis Armstrong, singt und parliert Französisch und Englisch, überrascht und begeistert mit einem temperamentvollen Rap, wiegt sich bei einer argentinischen Rumba schwungvoll in den Hüften und bekennt nach dem Titelsong „J’ai deux amours“, dass sie eigentlich nicht zwei, sondern drei Lieben habe: ihr Land, Paris und jetzt auch das enthusiastische Publikum in Stuttgart.