Ian Gillan, der Sänger von Deep Purple, feiert an diesem Mittwoch seinen siebzigsten Geburtstag. Mit der britischen Hardrockband füllt er noch immer die großen Hallen. Im November gastiert er in Stuttgart. Eine Begegnung mit dem Musiker.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Ian Gillan hat rund um seinen Jubeltag Besseres zu tun, als der Stuttgarter Zeitung ein Interview zu geben. Das Gespräch zum runden Geburtstag hat also schon vor einigen Wochen stattgefunden, praktischerweise direkt vor der Haustür. Gillan sitzt in seiner geräumigen Suite in einem vornehmen Stuttgarter Hotel. Er ist ein kantiger Engländer wie aus dem Bilderbuch und ein harter Rocker der ganz alten Schule sowieso, weswegen das Setting ein wenig verblüfft. Der Deep-Purple-Frontmann trägt ein schlichtes T-Shirt mit dem Aufdruck „Too old to die young“ (das gleiche Hemd hatte er übrigens auch auf der Bühne der Schleyerhalle beim letzten Stuttgarter Deep-Purple-Konzert 2013 an), dazu eine Jogginghose und Ugg-Boots, im Hintergrund des Raums stehen, nicht allzu maskulin, zwei pinkfarbene Reisekoffer.

 

Gillan ist oft auf Reisen – Musikerschicksal. Zum Zeitpunkt des Gesprächs hat er mit ein paar anderen in Würde gealterten Rockstars und einem klassischen Orchester gerade eine Crossover-Tour absolviert. „Ich bin gern unterwegs“, erzählt er, „und gerade die Besetzung mit dem Orchester erinnert mich an die ganz frühen Zeiten.“ Gillan spielt damit auf längst vergangene Tage an: seine erste Showtour mit Dusty Springfield, die ihn, wie er sich erinnert, 1965 nach Deutschland führte. Aber auch seine familiären Bande sind gemeint (sein Großvater war Opernsänger), seine eigene Jugend im Kirchenchor des Londoner Vororts Hounslow, in dem er aufwuchs, oder aber das erste der unzähligen Deep-Purple-Livealben, das 1969 veröffentlichte „Concerto for Group and Orchestra“ – das allererste Crossoveralbum in der Musikgeschichte, bei dem eine Rockband mit einem klassischen Orchester musizierte. „Man trifft ein paar andere Musiker, und ich mag es, wenn alles durchorganisiert ist. Bei Deep Purple ist nämlich nichts organisiert“, fügt er über seine Gastauftritte hinzu.

Alles andere als normal

Aber das ist natürlich auch ein bisschen Koketterie, denn die 1968 gegründete Band Deep Purple, der Gillan mit einigen Auszeiten seit 1969 angehört, ist ein weltweit operierendes, hochprofessionell aufgestelltes Unternehmen, wie nicht zuletzt das in der kommenden Woche erscheinende jüngste, in Tokio aufgenommene Livealbum und seine Vorgänger zeigen, die in Stockholm, London, Australien und sogar (2007) in Stuttgart entstanden – allesamt selbstverständlich in den größten vor Ort verfügbaren Hallen. „Letztes Jahr haben wir in 46 Ländern gespielt, das ist recht normal“, bilanziert Gillan lapidar den Status seiner Band, der alles andere als normal ist.

Denn spätestens seit den frühen Alben „Deep Purple in Rock“ und „Fireball“ zählt der Trupp zu den größten Hardrockbands der Welt, auch wenn Gillan demütig sagt, „dass die plötzliche Popularität eher ein Unfall gewesen ist“. Seit dem 1972 erschienenen Klassiker „Machine Head“ ist Deep Purple sogar eine legendäre Hardrockband, weil sich auf dieser Scheibe ihr bis heute größter Kracher „Smoke on the Water“ befindet. Um die Entstehungsgeschichte dieses Lieds ranken sich unzählige Mythen, auch Ian Gillan hat schon diverse Versionen zum Besten gegeben. Kein Grund also, das zu vertiefen.

Einen „Drogensong“ hat Gillan nicht gewollt

Fest steht jedenfalls, dass Gillan damals, 1971 in Montreux, den Text auf einer Papierserviette verfasste, den Songtitel aber zunächst ablehnte, weil er für seinen Geschmack zu sehr nach „Drogensong“ klang. Um Drogen macht Gillan einen Bogen. Trotz seines etwas schluffigen Aufzugs wirkt er sehnig und agil, er spricht viel und verzichtet für sich und seinen Gast dennoch auf jegliches Getränk (was wiederum verblüfft, hat er doch zwischenzeitlich in seiner Auszeit bei Deep Purple unter anderem als Leiter eines Golfhotels gearbeitet). Und er ist unprätentiös. „Niemand“, antwortet Gillan auf die Frage, wie viele Leute ihn erkennen würden, wenn er über die Stuttgarter Königstraße schlenderte. Findet er das gut? „Ich bin sogar entzückt darüber“, sagt Gillan. „Wir waren nie eine Showbusiness-Band, wir haben keinen Glamour, wir kommen nicht in Lifestylemagazinen vor und sind für das Fernsehen nutzlos. Wir beschäftigen keine Promotiontypen und wir sind auch nicht trendy – denn wenn du heute modisch bist, bist du morgen aus der Mode. Unser Talent ist nichts als die Liveperformance“, sagt er.

Studioalben sieht Gillan daher auch eher als Pflichtbeiwerk. „Wir haben anfangs viel aufgenommen, weil wir schlichtweg viel neues Material brauchten. Heute schreiben wir nur noch Songs, wenn wir Lust darauf haben. Heutzutage sagt uns auch keine Plattenfirma mehr wie damals, dass wir aus unserer siebenminütigen Ursprungsversion von ,Smoke on the Water‘ einen Dreiminüter machen sollen, damit sich die Musik besser verkauft. Heutzutage hat uns unser Produzent Bob Ezrin bei unserem letzten Album ,Now what!?‘ sogar gesagt, dass wir unbedingt so spielen sollen, wie wir das auch live tun.“

Livekonzerte von Deep Purple, das sind Shows nach guter alter Handwerkersitte. „Fünfzig Prozent des Songmaterials sind bekannt, vom Rest weiß nur Gott, wie er klingen wird“, spricht Gillan und spielt damit insbesondere auf die ausufernden Soloeinlagen und Improvisationen des Weltklassegitarristen Steve Morse an. Er selber, der auf der Bühne als einzige Instrumente den Gong und den Schellenreif bedient –, fühlt er sich unter all den Könnern, mit denen er schon musiziert hat, von Jon Lord über Ritchie Blackmore bis zu Joe Satriani, nicht zurückgesetzt?

Schreiben ist Gillan wichtiger als Musik

„Ach, ich klimpere daheim gerne auf der Gitarre, aber ich würde es nicht einmal spielen nennen“, sagt der Songschreiber Gillan. „Als ich die Bedeutung von Wörtern begriffen habe, war das eine der größten Bereicherungen meines Lebens. Ich schreibe jeden Tag, und das ist mir sogar viel wichtiger, als Musik zu hören. Aber selbst das ist nicht so wichtig, weil ich der Sänger und Texter einer Band bin, die eher instrumental ausgerichtet ist“, fügt er dann hinzu. Fast so, als wollte er sich für seine Tätigkeit entschuldigen.

Doch genug der Tiefstapelei. Der Mann kann auf eine über dreißigjährige Karriere bei einer der bedeutendsten Rockbands der Welt zurückblicken. Und er hat, nebenbei sei’s vermerkt, ja auch mal bei Black Sabbath gesungen und sich mit mehreren Soloprojekten auch den Respekt der internationalen Jazzgemeinde gesichert. „Too old to die young“ mag er vielleicht von diesem Tag an sein, aber dass er sich alsbald in den Ruhestand verabschiedet, steht wirklich nicht zu befürchten.

Konzerte Deep Purple spielt am 29. August beim neuen Open-Air-Festival Summernights in Sigmaringen und am 28. November in der Stuttgarter Schleyerhalle.