Jüngste beunruhigende Ergebnisse zur Umwelt im Golf von Mexiko werden in den USA weitgehend ignoriert. Eine Zwischenbilanz zum 2. Jahrestag der Katastrophe.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Washington - Knapp Viermal so viele tote Delfine wie im langjährigen Durchschnitt im Januar und Februar. Fast dreimal so viele im März, und auch der April sieht bisher nicht gut aus. Es sind nüchterne Zahlen, welche die US-Meeresbehörde NOAA in ihrem jüngsten Bericht zur ökologischen Lage am Golf von Mexiko zusammenfasst. „Unübliches Todesfallereignis“ heißt das in schönster Bürokratensprache – und politisch motivierte Vorsicht hindert die Behörde, die Verbindung zu ziehen, die sich aufdrängt. Zwei Jahre liegt die Explosion auf der Bohrplattform Deepwater Horizon zurück, die elf Menschen das Leben kostete und in 87 Tagen knapp 800 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko sprudeln ließ.

 

Das Ereignis ist in den USA aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Der Konzern BP will in den kommenden Tagen die Verhandlungen über den Schadenersatz abschließen, der ihn 7,8 Milliarden Dollar (rund sechs Milliarden Euro) kosten wird. Damit würde ein Gerichtsverfahren verhindert – und das Geschehen keine weiteren Schlagzeilen machen. Doch es mehren sich die Indizien, dass die Folgen der Umweltkatastrophe schwerwiegender sind, als es die Ruhe um das Thema nahelegt. „Die Hoffnungen, dass der Golf relativ unbeschädigt geblieben ist, werden geringer“, schreibt selbst das der Ölindustrie wohlgesonnene „Wall Street Journal“.

Nicht alle Schäden zeigen sich sofort nach dem Unfall

Nicht nur die Zahl der toten Delfine verharrt auf einem hohen Niveau. Forscher der Universität East Carolina haben im Plankton des Meeres, von dem sich die meisten größeren Organismen ernähren, Spuren des Öls von der Deepwater Horizon gefunden. Eine Studie der Staatlichen Universität von Pennsylvania hat nachgewiesen, dass eine mit Öl überzogene Korallenformation, die mehrere Kilometer vom Bohrloch entfernt war, allmählich abstirbt. Am Donnerstag wurde eine Untersuchung der Universität South Florida bekannt, die eine wachsende Zahl von kranken Fischen gefunden hat. Die vorhergesagte Apokalypse sei zwar nicht eingetreten, sagt Robert Haddad, der die Untersuchungen der US-Meeresbehörde NOAA zu den Folgen der Ölkatastrophe leitet: „Aber wo auch immer man im Golf hinschaut, sind die Dinge ein wenig aus dem Lot geraten.“

Haddad formuliert vorsichtig; er ist Regierungsangestellter. Barack Obama hat kein Interesse an neuen Katastrophenmeldungen. Dass der US-Präsident eine Zeit lang neue Bohrungen im Meer stoppte, hat ihm wenig Applaus eingebracht – schon gar nicht in der Golfregion selbst, wo man vom Öl lebt wie von Fischfang und Tourismus. Die „New York Times“ schrieb jüngst von einer „abstoßenden Verweigerungshaltung des auf bittere Weise parteipolitisch polarisierten Kongresses, der sich gegen jegliche Regulierung sperrt.“ Statt verschmierter Vögel machen Ölfunde Schlagzeilen. Kaum ein Politiker wagt es, angesichts gestiegener Benzinpreise dem Drang zum Rohstoff im eigenen Land zu widersprechen.

Wissenschaftler tun sich in einem solchem Umfeld schwer. BP achtet penibel darauf, dass in die Verhandlung über den Schadenersatz nur die Untersuchungen einfließen, die mit der US-Regierung vereinbart wurden. Die Fischereiindustrie will keine verkaufsschädlichen Schlagzeilen. Viele Fisch- und Krabbenarten schienen sich nach der Ölverschmutzung schnell zu erholen. Doch auch nach der Katastrophe der Exxon Valdez vor Alaska im Jahr 1989 kollabierten Fischbestände erst drei Jahre nach dem Unglück. Bei einigen Arten von Muscheln und Krabben sind die Erträge im Golf jüngst gesunken. „Es ist leicht zu sehen, wenn Öl einen Vogel bedeckt und ihn tötet. Aber es ist viel schwieriger wahrzunehmen, wenn langsam in einer Flussmündung austretendes Öl die Zahl der von Tieren gelegten Eier und Larven verringert“, sagte David Kimmel von der Universität East Carolina. Die Wissenschaftler sollten, während das Öl noch sprudelte, schnell Ergebnisse liefern. Doch einige Alarmmeldungen erwiesen sich als voreilig. Nun werden die beunruhigenden, langfristigen Resultate kaum zur Kenntnis genommen. Der Umweltschützer Doug Inkley von der National Wildlife Federation nannte dem „Wall Street Journal“ dafür eine Metapher: „Die Ölverschmutzung im Golf ist wie das Rauchen bei einem Menschen: Du kannst zwar insgesamt noch funktionieren, aber du bist nicht mehr der alte.“