Das Gastgeberland der G20 lebt schon seit drei Jahrzehnten mit Mini-Zinsen und mageren Wachstumsraten. Als eine Ursache dafür gilt der demografische Wandel – der in Japan schon weiter fortgeschritten ist als bei uns.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt - Der G-20-Gipfel wird wieder einmal vom Handelsstreit überschattet. Für den Gastgeber Japan ein sensibles Thema, schließlich erwirtschaftet das Land ähnlich wie die Bundesrepublik seit Jahren Leistungsbilanzüberschüsse. Doch es gibt auch weniger schmeichelhafte Parallelen: Als „reife Industrienation im Herbst ihrer Entwicklung“ umschreibt der Vorstandsvorsitzende der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, Karl-Heinz-Paqué, das asiatische Land. In einem Beitrag auf der Website der Stiftung warnt er die Deutschen vor japanischen Verhältnissen: „Es herrschen Blindheit und Ratlosigkeit gegenüber den Herausforderungen … das kann böse enden: in der säkularen Stagnation.“ Die Warnungen vor einem solchen Jahrhundert-Stillstand sowie einer „Japanisierung“ Deutschlands und des ganzen Euroraums häufen sich, seit die Europäische Zentralbank ihren Leitzins auf null gesenkt hat. Denn die Japaner leben schon seit den 90er Jahren mit einem schwachen Wirtschaftswachstum bei Mini-Zinsen. Viele Ökonomen fürchten daher, dass die lockere Geldpolitik auch in Europa nicht zu einer nachhaltigen Konjunkturbelebung führt.

 

Paqué, im Hauptberuf Professor für Volkswirtschaft an der Universität Magdeburg, nennt drei Gründe für die mageren Wachstumsraten in Japan: „Investitionsschwäche selbst bei niedrigsten Zinsen, eine alternde und schrumpfende Bevölkerung, ein Mangel an Gründergeist und Start-up-Kultur.“ In abgemilderter Form seien diese Probleme auch in Deutschland zu beobachten, sagte Paqué unserer Zeitung. Anders als in Japan lindere hierzulande zwar die Zuwanderung den demografischen Wandel, aber „nicht in ökonomisch-rational geregelter Form. Und auch wir haben größte Schwierigkeiten, eine vernünftige Start-up-Kultur zu etablieren.“

Wachsende Ungleichheit

Zwar ist Japan bis heute ein wohlhabendes Land: Gemessen an der Kaufkraft liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf etwa auf dem Niveau Frankreichs, wie aus Zahlen des Internationalen Währungsfonds hervorgeht. Die Arbeitslosenquote liegt bei niedrigen drei Prozent. Allerdings hätten irreguläre Arbeitsverhältnisse „mit schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen gerade für Jüngere“ zugenommen, sagt Werner Pascha, Professor für Ostasienwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Hauptgrund dafür sei die Konkurrenz durch Billiglohnländer.

Besonders beunruhigend: Die Bemühungen der Regierung um eine Belebung der Konjunktur wurden mit einem massiven Anstieg der Staatsschulden erkauft. Sie liegen bei 230 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), sind also doppelt so hoch wie die jährliche Wirtschaftsleistung. Die Schuldenquote ist damit höher als in Griechenland. Dass Japan trotzdem nie in Zahlungsschwierigkeiten geriet, liegt daran, dass sich die Regierung Geld vor allem von heimischen Unternehmen und Haushalten leiht. Letztere stecken ihre Ersparnisse aus Sicherheitsgründen bevorzugt in japanische Staatsanleihen.

Angesichts der niedrigen Zinsen sei das Sparverhalten aber auch in Japan mittlerweile risikoorientierter geworden, sagt Pascha. Überdies ist die Sparquote rückläufig: Laut dem Japanischen Zentrum für Ökonomische Studien fiel sie im Jahr 2000 erstmals unter zehn Prozent und betrug zuletzt noch etwa zwei Prozent.

Langfristig könnten dadurch die Refinanzierungskosten für den Staat steigen. Denn wenn die Japaner weniger Ersparnisse in Staatsanleihen investieren, könnte sich die Regierung eines Tages gezwungen sehen, höhere Zinsen auf ihre Schuldtitel zu bieten – um diese für ausländische Investoren attraktiver zu machen.

Verlust an Innovationskraft

Der Internationale Währungsfonds mahnt immer wieder einen Abbau des japanischen Schuldenbergs an. Doch angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums tut sich die Regierung mit Einsparungen und Steuererhöhungen schwer.

„Japan hat den Zug schon verpasst und sitzt jetzt mit einer extrem hohen Staatsverschuldung in der Klemme“, meint der Vorstandschef der Naumann-Stiftung, Paqué. Das Land biete ein abschreckendes Beispiel dafür, wie eine hoch entwickelte Industrienation an Wettbewerbsfähigkeit verlieren könne: „Der Verlust an Innovationskraft ist ein schleichender Prozess, und den sehe ich auch in Deutschland. Wir ernten derzeit die Früchte einer soliden Wirtschaftsstruktur, aber die Digitalisierung verändert alles – und da sind wir nicht führend“, warnt der Volkswirt. „Die Gefahr besteht darin, dass wir uns in Sicherheit wiegen lassen: Die Arbeitslosenquote ist niedrig, die Inflationsrate auch, das Wirtschaftswachstum immer noch akzeptabel. Aber wir dürfen nicht einschlafen.“