Fachkräftemangel? Die Kanzlerin hofft bei diesem Thema auf qualifizierte Kräfte aus dem Ausland. Der Innenminister hält das aber für keine gute Idee.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Bis 2025 wird es in Deutschland sechs Millionen weniger Erwerbsfähige geben. Bis 2060 wird jeder Dritte älter als 65 sein. Die Bundesregierung hat weder Kosten noch Mühen gescheut, die Probleme in den Blick zu rücken, die damit einhergehen. Sie hat im Berliner Congress Centrum zum Beispiel 15 Meter lange Stellwände installieren lassen, auf denen hellblau unterlegt zu lesen ist: Zweiter Demografiegipfel. Obwohl die Lettern so groß wie Kleinkinder sind, ist drum herum ziemlich viel Leerfläche zu besichtigen. Konkrete Ergebnisse werden bei dem Treffen, zu dem Hunderte Experten und reihenweise Minister anreisen, nicht präsentiert.

 

Der Gastgeber, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), wertet es vielmehr als einen Erfolg, dass nach fünfmonatigen Debatten in Arbeitskreisen „eine gemeinsame Sprache gefunden“ sei, die Probleme des demografischen Wandels zu beschreiben. Bewältigen ließen sich diese nur durch „laufende Dialogprozesse“. Wäre Deutschland ein totalitärer Staat, sagt Friedrich, „dann würden wir große Rechner aufstellen, um einen Masterplan zu errechnen – und an der Komplexität der Herausforderungen kläglich scheitern“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nennt die Serie der von ihr ins Leben gerufenen Demografiegipfel einen „einzigartigen Dialogprozess, der der Größe der Aufgabe angemessen“ sei.

Innenminister widerspricht der Kanzlerin

Im Detail widersprechen sich Merkel und ihr Minister. Die Kanzlerin sagt, um den Fachkräftemangel, der sich in vielen Branchen abzeichnet, meistern zu können, müsse Deutschland „durchaus auf Zuwanderung setzen“. Die Bedingungen dafür seien sehr gut. Allerdings sei Deutschlands Ruf als Ziel von Einwanderern sehr schlecht. Innerhalb Europas sei „sehr viel mehr Mobilität auf dem Arbeitsmarkt“ anzustreben. „Wir müssen offen sein für junge Leute, die zu uns kommen“, sagt die Kanzlerin. Als Beispiel für mehr Mobilität in Europa erwähnt sie die Möglichkeit, Rentenansprüche in andere Länder zu transferieren.

Friedrich betont indessen, es sei „eine Illusion zu glauben, wir könnten demografischen Wandel allein durch Zuwanderung lösen“. Zuwanderung sei „nicht die erste Antwort“ auf die Probleme, die sich in diesem Zusammenhang stellten. Zunächst müsse man sich auf eine bessere Bildung und Fortbildung inländischer Arbeitskräfte kümmern. Dann müsse man angesichts der dort hohen Jugendarbeitslosigkeit einen Blick nach Südeuropa werfen. Auch dort gebe es „Potenziale auszuschöpfen“.

FDP für „gesteuerte Zuwanderung“

Es gibt noch viel zu tun. Die Regierung hat als Fazit der Debatten in den Arbeitsgruppen auf 63 Seiten eine Agenda aufgelistet. Der Katalog reicht vom Stichwort „Arbeitszeitsouveränität für Väter und Mütter“ bis zum barrierefreien Nahverkehr. Mit konkreten Beschlüssen ist vor der Wahl allerdings nicht mehr zu rechnen. Statt dessen gibt es jetzt ein „Demografie Portal“ im Internet, das Bürger aller Generationen einlädt, über die Probleme des demografischen Wandels zu diskutieren.

Aus der Opposition kommt ein kritisches Echo. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil fühlt sich ans Hornberger Schießen erinnert: „Es wird viel geknallt, aber in der Sache bewegt sich nicht wirklich was“. Dies sei „leider eine Tradition bei der Regierung Merkel“. Heil plädiert für ein Punktesystem, das die Einwanderung von Fachkräften steuern könnte. Ähnliches hat auch die FDP im Sinn. Das stößt bei der Union jedoch auf Widerstand. Sie will „die demografischen Herausforderungen für den Arbeitsmarkt dadurch meistern, dass wir verstärkt inländische Potenziale nutzen“, sagt Günter Krings, der Fraktionsvize der Union. Er widerspricht damit den Appellen der Kanzlerin. FDP-Chef Philipp Rösler fordert hingegen „ein System der gesteuerten Zuwanderung“ in den Arbeitsmarkt.

Für die Linke wertet ihr familienpolitische Sprecher Jörn Wunderlich Merkels Treffen als „eine reine Showveranstaltung“: „Frauenquote, Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – all das wird versprochen, aber nicht umgesetzt.“