Bei Kundgebungen in der Innenstadt und am Stöckach wird die patriarchalische Struktur der Gesellschaft angeprangert und die Unterdrückung der Frauen im Iran und in der Türkei thematisiert.

Es ist gerade ein paar Wochen her, da wurde eine 24-jährige Frau abends auf dem Heimweg in der Nähe der Friedenskirche in Stuttgart-Ost von zwei Männern vergewaltigt. Bis heute sucht die Polizei vergeblich nach den Tätern oder nach Zeugen.

 

Bewusst haben daher neun Stuttgarter Frauengruppen wie das Frauenkollektiv und die Gruppe Zusammen kämpfen zum Tag der Gewalt an Frauen am Samstag zu einer Kundgebung am Stöckach, in direkter Nachbarschaft des Verbrechens, aufgerufen. „Um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Gewalt gegen Frauen tagtäglich vor unserer Haustür passiert“, sagt Lisa Fetzer. „Und um deutlich zu machen, dass sich das ändern muss.“

Etwa hundert Teilnehmerinnen

„Der Vergewaltiger warst Du“! Der Vergewaltiger bist Du!“: Anklagend gestreckte Finger und geballte Fäuste bei der aus Chile entliehenen Performance „Un violador en tu camino“ drückten die Wut und Empörung der etwa hundert Teilnehmerinnen, meist jungen Frauen, unmissverständlich aus. „Wir haben es satt und die Schnauze gestrichen voll“, machte Marion Schöndienst als Moderatorin der Kundgebung ihrem Zorn ungeschönt Luft. „Wir sind wütend darüber, dass Gewalt gegen Frauen so alltäglich ist, dass sie oft nicht mehr wahrgenommen und als natürlich akzeptiert wird. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der wir keine Angst haben müssen, wenn wir allein nach Hause gehen“, betonte die Sprecherin des Frauenkollektivs Stuttgart.

Es könne nicht länger hingenommen werden, dass sich Frauen überlegen müssen, was sie anziehen und wo sie hingehen, um nicht im Falle eines Übergriffs noch selbst bezichtigt zu werden. Nach dem Motto: Selbst schuld, warum kleidet sie sich so sexy, warum meidet sie nicht dunkle Orte, warum provoziert sie eine solche Tat geradezu? „Wir wollen frei sein vom Zwang, uns und unseren Körper zu optimieren und zu schützen.“

Krise lässt nichts Gutes erahnen

An der Ursache des Missstandes wurde kein Zweifel gelassen: Es sei die patriarchalische Gesellschaft, in der die strukturelle Gewalt gegen Frauen immer noch tief verankert sei. Als sexualisierte Übergriffe, Vergewaltigungen und, weit verbreitet, auch als häusliche Gewalt wie Vergewaltigungen im Ehebett, Prügel oder Femizid wie im Sommer in Bad Cannstatt, wo ein Mann seine Ehefrau getötet hat. Die Forderung ist eindeutig: „Die Unterdrückung der Frauen muss beendet werden und die Gesellschaft sich dafür ändern.“ Doch angesichts der Krise sieht Giulia (Zusammen kämpfen) „eisige Zeiten“ auf Frauen zukommen: Die drohenden sozialen Probleme würden oft auf deren Rücken ausgetragen.

Das Thema der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, die als Ausdruck von Machtmissbrauch weit verbreitet und leider immer noch ein Tabu sei, hatte Julia Friedrich, Geschäftsführerin der DGB-Region Stuttgart, am Freitag vor etwa 400 Teilnehmerinnen der Demonstration und Kundgebung des Aktionsbündnisses 8. März in der Stuttgarter Innenstadt angeschnitten.

Auch Iran und Türkei kommen zur Sprache

„Ein Angriff gegen eine ist ein Angriff gegen alle!“: Unter diesem Motto der Solidarität kam am Stöckach, ebenfalls wie schon am Freitag, auch die Gewalt gegen Frauen im Iran und in der Türkei zur Sprache. „Der Tod von Mahsa Jina Amini war eindeutig ein Femizid, dem mittlerweile viele folgten“, prangerte die Iranerin Parnian von der Gruppe „Frau.Leben.Freiheit“ die Gewalt gegen die Aufständischen an. Aber nun sei die Zeit gekommen, sich zu erheben. Ein Aufruf, den die Sängerin Tavia Tavakoli musikalisch ergreifend ausdrückte: „Ich bin geflogen über Land, mein Kopf ist frei und unbedeckt.“

In Kampf und Rebellion setzt auch die Türkin Sükran ihre einzige Hoffnung: Im Jahr 2021 seien in der Türkei 280 Frauen von ihrem Partner, Mann, Bruder oder Vater getötet worden, 217 kamen ebenfalls durch Gewalt ums Leben. „Dem kann nur mit organisiertem Kampf entgegengetreten werden“, forderte Sükran eine „demokratische Frauenbewegung“.