Afghanische Mitarbeiter der Bundeswehr geraten in ihrer Heimat oft ins Visier von Extremisten. Manche von ihnen dürfen deswegen nach Deutschland kommen, nicht aber unbedingt auch die Familien. Das ist ein Problem.

Berlin - Wer als Afghane in seiner Heimat etwa als Dolmetscher, Wächter oder Fahrer für die Bundeswehr, das Auswärtige Amt oder das Entwicklungsministerium arbeitet, bringt möglicherweise nicht nur sich selbst, sondern auch seine Familie in Gefahr. Die sogenannten Ortskräfte geraten immer wieder ins Visier der Taliban oder anderer Extremisten und werden als Verräter und Kollaborateure bedroht. Doch in Deutschland aufgenommen werden nach Ansicht der Grünen im Bundestag viel zu wenige der Betroffenen. Die Fraktion ruft die Bundesregierung daher auf, das Aufnahmeverfahren zu erleichtern.

 

„Afghanische Ortskräfte machen die Arbeit der deutschen Bundeswehr oder deutscher Ministerien vor Ort erst möglich“, sagte die Grünen-Flüchtlingsexpertin Luise Amtsberg unserer Zeitung. Die Bundeswehr sei schließlich auf die Orts- und Sprachkenntnisse dieser Mitarbeiter angewiesen. „Wenn diese Menschen und ihre Familien dann aber aufgrund ihrer Arbeit für die deutschen Sicherheitskräfte in das Visier der Taliban und des IS geraten, bedroht und erpresst werden, dann ist es schnell vorbei mit der Solidarität und die verlässlichen Partner werden fallen gelassen“, kritisierte Amtsberg.

Zurückgelassene Schwester getötet

Dem Büro der Bundestagsabgeordneten liegt der Fall einer Ortskraft aus Kunduz vor: Der Mann arbeitete für die deutschen Sicherheitskräfte, bis die Taliban ihn bedrohten. Gemeinsam mit seiner Frau durfte er nach Deutschland kommen, der Rest der Familie musste aber in Afghanistan bleiben. Seitdem wurde eine Schwester des Mannes von den Taliban ermordet, ein Bruder zwischenzeitlich verschleppt, der frühere Mitarbeiter der Deutschen zahlt inzwischen Schutzgeld. Die Visaanträge der noch in Afghanistan lebenden Familienmitglieder lehnten die deutschen Behörden der Schilderung zufolge aber ab, weil sie nicht zur Kernfamilie gehören. Die Klage gegen den ablehnenden Bescheid soll im Januar in Berlin verhandelt werden. Amtsberg findet das „Desinteresse“ der Bundesregierung für die Sicherheit der Ortskräfte und ihrer Familien „beschämend“.

Das Bundesverteidigungsministerium gab die Anzahl der allein für die Bundeswehr in Afghanistan tätigen Ortskräfte im vergangenen August mit 499 Personen an. Demnach waren zu dem Zeitpunkt seit Einführung des sogenannten Ortskräfteverfahrens im Jahr 2013 rund 770 ehemalige Mitarbeiter sowie 2500 Familienangehörige nach Deutschland gekommen. Gleichzeitig lagen den deutschen Behörden aber auch noch 2000 offene Erstanträge von Ortskräften vor, die aufgenommen werden wollten.

Fünf Aufnahmezusagen seit Jahresbeginn

Die Zahl derjenigen, die in diesem Jahr aufgrund von Gefahr für Leib und Leben nach Deutschland kommen durften, ist jedoch gering. Von Anfang 2019 bis Ende September bekamen lediglich fünf afghanische Ortskräfte eine Aufnahmezusage, wie Amtsberg bei der Bundesregierung erfragt hat. Nach Einschätzung der Grünen-Abgeordneten spiegelt diese Zahl nicht die tatsächliche Bedrohung der Ortskräfte in ihrem Heimatland wider. „Das Aufnahmeverfahren ist zum Erliegen gekommen, unter anderem weil die Hürden zu hoch sind“, bemängelte Amtsberg. „Der Nachweis der Bedrohung ist in vielen Fällen unmöglich.“

Die Grünen rufen die Bundesregierung daher auf, das Aufnahmeverfahren in diesen Fällen zu erleichtern. Sie fordern statt der Prüfung von Einzelfällen ein Gruppenverfahren für die Betroffenen. Bei der Verweigerung einer Visumserteilung müsse zudem die deutsche Bundesregierung darlegen, wie sie zum Schluss komme, dass die betreffende Ortskraft weder latent noch konkret gefährdet sei“, heißt es in einem Antrag, den die Bundestagsfraktion im Oktober erstmals ins Parlament einbrachte. „Zum Schutz dieser Menschen braucht es einen Paradigmenwechsel“, fordern die Grünen.